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»Charlie, es besteht nicht der allergeringste Zweifel, dass wir die richtige haben«, rief Kurtz entzückt und hob beide dicken Arme gleichzeitig vom Tisch. Er sah zu Litvak hinüber, dann durchs Zimmer auf Joseph, ein wohlwollender, gleichwohl hartberechnender Blick, und gleich darauf legte er los und sprach mit jener animalischen Kraft, mit der er im Laufe seiner ungewöhnlichen Karriere Quilley und Alexis und unzählige andere unwahrscheinliche Mitarbeiter überwältigt hatte; sprach mit demselben volltönenden europäisch-amerikanischen Akzent und denselben hackenden Bewegungen des Unterarms.

Aber Charlie war Schauspielerin, und ihr beruflicher Instinkt war nie sicherer gewesen. Weder Kurtz’ Redeschwall noch ihre eigene Verblüffung über die Tatsache, dass man ihr Gewalt angetan hatte, hatten ihr vielfaseriges Wahrnehmungsvermögen in Bezug auf das, was im Raum vorging, einzuschläfern vermocht. Wir stehen auf der Bühne, dachte sie; Schauspieler und Zuschauer. Als die jungen Wachen sich im Halbdunkel am Rand verteilten, hörte sie förmlich, wie die Zuspätkommenden sich auf der anderen Seite des Vorhangs auf Zehenspitzen tastend auf ihre Plätze stahlen. Das Bühnenbild erinnerte sie jetzt, als sie es prüfend betrachtete, an das Schlafzimmer eines abgesetzten Tyrannen; ihre Häscher an die Freiheitskämpfer, die ihn verjagt hatten. Hinter Kurtz, der ihr mit seiner breiten, väterlichen Stirn gegenübersaß, erkannte sie auf dem abbröckelnden Putz den schattenhaft-hellen Abriss vom Kopfende eines verschwundenen kaiserlichen Bettes. Hinter dem ausgemergelten Litvak hing - strategisch zur Lust längst verblichener Liebespaare aufgehängt - ein Spiegel mit verschnörkeltem Goldrahmen. Die nackten Dielenbretter sorgten für ein hohl klingendes bühnengerechtes Echo; das von oben kommende Licht brachte das Eingefallene im Gesicht der beiden Männer sowie das Abgerissene ihrer Partisanenuniform zur Geltung. Charlie konnte diesen Vergleich mangels Erfahrung zwar nicht anstellen, doch statt des glänzenden Madison Avenue-Anzugs trug Kurtz jetzt eine formlose Militär-Buschjacke mit dunklen Schweißflecken unter den Achseln und einer Reihe von metallisch schimmernden Kugelschreibern in der zuknöpfbaren Brusttasche, wohingegen Litvak, der Partei-Intellektuelle, ein kurzärmeliges Khaki-Hemd anhatte, aus dem seine weißen Arme wie entrindete Stecken hervorschauten. Trotzdem brauchte sie die beiden Männer bloß genau anzusehen, um zu erkennen, dass sie etwas mit Joseph gemein hatten: Sie sind in denselben Dingen gedrillt, dachte sie; sie sind von denselben Ideen beseelt, sie handeln gleich. Kurtz’ Uhr lag vor ihm auf dem Tisch. Sie erinnerte sie an Josephs Feldflasche. Zwei französische Fenster mit Fensterläden davor gingen nach vorn hinaus. Von zwei anderen aus konnte man überblicken, was hinten vor sich ging. Die Doppeltüren zu den Fensterflügeln waren geschlossen, und wenn sie jemals daran gedacht hatte, dort rauszustürzen, so wusste sie jetzt, dass das hoffnungslos war; denn wenn die Wachen sich auch unbekümmert wie in einem Werkstatt-Theater gaben, hatte sie in ihnen - mit Grund - bereits die Wachsamkeit von Profis erkannt. Hinter den Wachen, in den äußersten Ecken der Bühne, glommen wie langsam brennende Zündschnüre vier Stangen Elektro-Insektenfrei und verströmten einen moschusartigen Geruch. Und hinter ihr Josephs kleine Leselampe - trotz allem oder vielleicht gerade deswegen das einzige behagliche Licht.

All dies hatte sie in sich aufgenommen, fast noch ehe Kurtz’ volltönende Stimme anfing, den Raum mit seinen gewundenen, zwingenden Sätzen zu füllen. Wenn Charlie nicht schon vorher geahnt hatte, dass ihr eine lange Nacht bevorstand, so verriet ihr das jetzt seine unerbittlich skandierende Stimme.

»Charlie, zunächst geht es uns einmal darum, uns darzustellen und vorzustellen, und wenn auch keiner von uns hier viel von Entschuldigungen hält, möchten wir doch sagen, dass es uns leid tut. Es gibt Dinge, die müssen eben gemacht werden. Wir haben das nicht zum ersten Mal gemacht, so ist es nun mal. Tut uns also leid, und jetzt nochmals: willkommen. Hi

Nachdem er lange genug innegehalten hatte, um ihr Gelegenheit zu geben, eine neuerliche Salve von Verwünschungen abzufeuern, lächelte er breit und fuhr fort.

»Charlie, ich bezweifle nicht, dass Sie viele Fragen haben, die Sie uns stellen möchten, und Sie können sicher sein, zu gegebener Zeit werden wir sie Ihnen nach bestem Wissen und Gewissen beantworten. Aber zunächst einmal lassen Sie uns Ihnen einiges Grundsätzliche sagen. Sie fragen, wer wir sind.« Diesmal machte er keineswegs eine Pause, denn ihm war wesentlich weniger daran gelegen zu beobachten, wie seine Worte auf sie wirkten, als daran, sie einzusetzen, um sein Vorgehen und sie auf freundliche Weise in den Griff zu bekommen. »Charlie, in allererster Linie sind wir anständige Leute, wie Joseph ja schon gesagt hat, gute Leute. Und zwar in dem Sinn, dass Sie uns, wie gute und anständige Menschen überall auf der Welt, mit Recht als nicht sektiererisch, als ungebunden bezeichnen können, und genauso wie Sie selbst sind wir tief besorgt über all das, was in der Welt in die falsche Richtung läuft. Wenn ich noch hinzufüge, dass wir israelische Staatsbürger sind, gehe ich davon aus, dass Sie deshalb nicht gleich Schaum vor den Mund bekommen, kotzen oder aus dem Fenster springen, es sei denn natürlich, Sie wären der Überzeugung, Israel sollte ins Meer gefegt, mit Napalm vernichtet oder in Geschenkverpackung der einen oder anderen äußerst wählerischen Araber-Organisation überreicht werden, die sich geschworen hat, uns auszulöschen.« Kurtz, der spürte, wie sie insgeheim zusammenzuckte, hakte sofort nach. »Ist das Ihre Überzeugung, Charlie?« wollte er wissen und senkte die Stimme. »Vielleicht ist es so. Warum sagen Sie uns nicht einfach, wie Sie dazu stehen? Möchten Sie auf der Stelle aufstehen? Nach Hause gehen? Ich glaube, Sie haben noch Ihr Flugticket. Wir geben Ihnen Geld. Interessiert Sie dieses Angebot?«

Eisige Stille senkte sich über Charlies Verhalten und verbarg, wie durcheinander und aufgewühlt sie innerlich war. Dass Joseph Jude war, daran hatte sie seit ihrem fehlgeschlagenen Verhör am Strand nicht gezweifelt. Aber Israel, das war eine verschwommene, abstrakte Vorstellung für sie, die sowohl ihren Beschützerinstinkt als auch ihre Feindseligkeit weckte. Sie war nie auch nur für eine Sekunde auf die Idee gekommen, dass es vor ihr aufstehen und ihr in Fleisch und Blut entgegentreten könnte.

»Was wird hier denn eigentlich gespielt?« fragte sie und schenkte Kurtz’ Angebot, die Verhandlungen abzubrechen, ehe sie richtig begonnen hatten, keinerlei Beachtung. »Sind wir hier auf einem Kriegszug? Auf einer Strafexpedition? Wollen Sie mich mit Elektroschocks behandeln? Was, zum Teufel, geht hier denn eigentlich vor?«

»Je einen Israeli kennengelernt?« fragte Kurtz.

»Nicht, dass ich wüsste.«

»Haben Sie grundsätzlich irgendwelche rassischen Vorurteile Juden gegenüber? Was gegen Juden als Juden - punktum? Riechen wir für Ihre Begriffe schlecht, oder haben wir keine Tischmanieren? Sagen Sie es uns. Wir haben Verständnis für so was.« »Seien Sie doch nicht albern.« Mit ihrer Stimme war was nicht in Ordnung - oder lag es an ihrem Ohr?

»Haben Sie das Gefühl, hier unter Feinden zu sein?«

»Himmelherrgott, wie kommen Sie darauf? Ich mein’, jeder, der mich entführt, ist für mich ein Freund fürs Leben«, schlug sie zurück und erntete damit zu ihrer Überraschung einen Ausbruch spontanen Gelächters, in das sie alle einstimmen zu können glaubten. Das heißt, alle, bis auf Joseph, der zu sehr damit beschäftigt war, die Unterlagen vor sich auf dem Tisch zu lesen, wie sie an dem Rascheln hörte, mit dem er umblätterte.

Kurtz setzte ihr noch ein bisschen mehr zu. »Also beruhigen Sie uns ein bisschen«, forderte er sie auf und sah sie immer noch gütig strahlend an. »Lassen Sie uns vergessen, dass Sie in gewissem Sinne hier eine Gefangene sind. Darf Israel überleben, oder müssen wir hier alle unsere sieben Sachen packen, zurück in unsere Herkunftsländer und wieder von vorn anfangen? Vielleicht wäre es Ihnen lieber, wir nähmen uns ein Stück von Zentral-Afrika? Oder gingen nach Uruguay. Nicht nach Ägypten, vielen Dank; das haben wir schon mal versucht und hatten keinen Erfolg damit. Oder sollen wir uns wieder auf die Ghettos Europas und Asiens verteilen und auf das nächste Pogrom warten? Was meinen Sie, Charlie?«