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»Ein paar von unseren Kollegen in Jerusalem - Mr. Gavron, um nur einen zu nennen - waren sehr skeptisch, weil meine Wahl ausgerechnet auf dich gefallen ist. Mr. Litvak hier übrigens auch. Ich nicht. Ich hatte volles Vertrauen.« Einen milden Fluch murmelnd, riss er das zweite Blatt heraus. »Dieser Gadi, er ist der beste, den ich je gehabt hab’, habe ich ihnen gesagt«, fuhr er fort. »Das Herz eines Löwen und der Kopf eines Dichters - genau das waren meine Worte. Ein Leben der Gewalt hat ihn nicht abgestumpft, hab’ ich gesagt. Wie macht sie sich, Gadi?«

Er drehte sogar den Kopf und legte ihn auf die Seite, um zu sehen, wie Becker antwortete.

»Hast du es nicht gemerkt?« sagte Becker.

Wenn Kurtz es gemerkt hatte, so sagte er es jedenfalls im Augenblick nicht. Als die Nachricht durch war, fuhr er in seinem Drehstuhl ganz herum, hielt die Blätter gerade vor sich hin, um das Licht der Tischlampe darauf fallen zu lassen, das ihm über die Schulter schien. Doch merkwürdigerweise war es Litvak, der als erster sprach - Litvak, der sich mit einem ebenso verkrampften wie schrillen Ausbruch von Ungeduld Luft machte, der seine beiden Kollegen völlig überraschte. »Sie haben wieder eine Bombe gelegt«, entfuhr es ihm. »Sagen Sie’s uns! Wo diesmal? Und wie viele von uns haben sie diesmal umgebracht?«

Bedächtig schüttelte Kurtz den Kopf und lächelte zum erstenmal, seit die Meldung hereingekommen war.

»Eine Bombe vielleicht, Shimon. Aber es ist keiner dabei umgekommen. Noch nicht.«

»Gib’s ihm doch einfach zu lesen«, sagte Becker. »Lass ihn doch nicht zappeln.«

Doch Kurtz zog es vor, ihn noch ein wenig länger im dunkeln zu lassen. »Misha Gavron grüßt uns und schickt noch drei weitere Meldungen«, sagte er. »Meldung Nummer eins: Gewisse Anlagen im Libanon werden morgen beschossen werden, doch die Betreffenden werden unsere Angriffsziele mit Sicherheit auslassen. Meldung Nummer zwei« - er warf die Blätter beiseite - »Meldung zwei ist ein Befehl, der in Qualität und Durchblick dem Befehl ähnlich ist, den wir gestern abend erhalten haben. Wir haben den prächtigen Dr. Alexis fallen zu lassen, am liebsten schon vorgestern. Keinerlei weiteren Kontakt. Misha Gavron hat seine Unterlagen gewissen neunmalklugen Psychologen übergeben, die ihn für vollkommen verrückt erklärt haben.«

Litvak wollte wieder Einspruch erheben. Vielleicht reagierte er so auf extreme Übermüdung. Vielleicht aber auch auf die Hitze, denn die Nacht war sehr heiß geworden. Immer noch lächelnd, redete Kurtz sanft auf ihn ein und holte ihn wieder zurück auf die Erde.

»Beruhige dich, Shimon. Unser prächtiger Chef macht nur ein bisschen in Politik, das ist alles. Sollte Alexis die Seite wechseln, und es kommt zu einem Skandal, der die Beziehungen unseres Landes mit einem bitter benötigten Verbündeten beeinträchtigt, bekommt Marty Kurtz was auf die Finger. Bleibt Alexis aber auf unserer Seite, hält den Mund und tut, was wir ihm sagen, fällt der ganze Ruhm auf Misha Gavron. Ihr wisst ja, wie Misha mit mir umgeht. Ich bin sein Jude.«

»Und die dritte Meldung?« fragte Becker. »Unser großer Meister rät uns, keine Zeit zu verlieren. Die kläffende Meute ist ihm dicht auf den Fersen, sagt er. Womit er selbstverständlich meint: uns auf den Fersen.«

Auf Kurtz’ Vorschlag hin ging Litvak hinaus, um seine Zahnbürste einzupacken. Als er mit Becker allein war, stieß Kurtz dankbar einen Seufzer der Erleichterung aus, gab sich plötzlich viel lockerer, trat an das niedrige Rollbett, nahm einen französischen Pass in die Hand, schlug ihn auf, vertiefte sich in die Personalangaben und prägte sie sich fest ein. »Du bist die Gewähr für unseren Erfolg, Gadi«, meinte er, während er noch las. »Irgendwelche Lücken, Sonderwünsche - du lässt es mich wissen, hörst du?« Becker hörte.

»Unsere Leute haben mir berichtet, ihr hättet da oben auf der Akropolis ein schönes Paar abgegeben. Wie ein Liebespaar im Film, sagen sie.«

»Sag ihnen, ich ließe danken.«

Mit einer alten, fettigen Haarbürste stellte Kurtz sich vor den Spiegel und machte sich daran, sich einen Scheitel zu ziehen. »Einen Fall wie diesen, bei dem ein Mädchen mitspielt, überlass’ ich ganz dem Gutdünken des Einsatzleiters«, meinte er nachdenklich, während er sich mit seinem Haar abmühte. »Manchmal macht es sich bezahlt, Distanz zu wahren, manchmal…« Er warf die Haarbürste in einen offenen Kulturbeutel.

»In diesem Fall macht’s die Distanz«, sagte Becker.

Die Tür ging auf. Litvak, zum Weggehen angezogen, eine Aktenmappe unterm Arm, wartete ungeduldig auf die Gesellschaft seines Herrn und Meisters.

»Wir sind schon spät dran«, sagte er mit einem unfreundlichen Blick auf Becker.

Und doch war Charlie trotz aller Manipulation von ihrer Seite zu nichts gezwungen worden - zumindest nicht nach Kurtz’ Begriffen. Darauf hatte er von Anfang an allergrößten Wert gelegt. Ohne eine dauerhafte sittliche Grundlage, so erklärte er, sei ihr Plan nicht durchzuführen. Gewiss, in den Anfangsphasen war versuchsweise schon mal von Druckausüben, Beherrschung, sogar von sexuell Hörigmachen durch einen weniger von Skrupeln geplagten Apoll als Becker die Rede gewesen; davon, Charlie ein paar Nächte unter sie zerbrechenden Umständen einzusperren, ehe man ihr eine freundschaftliche Hand entgegenstreckte. Gavrons neunmalkluge Psychologen waren, nachdem sie ihr Dossier gelesen hatten, mit allen möglichen albernen Vorschlägen gekommen, darunter einigen, die schlicht brutal genannt werden mussten. Doch Kurtz’ bewährtes Einsatzdenken hatte schließlich die Oberhand gegenüber Jerusalems immer größer werdendem Expertenheer behalten. Freiwillige kämpften härter und länger, hatte er ins Feld geführt. Freiwillige fänden selbst Mittel und Wege, um sich zu überzeugen. Und außerdem, wenn man einer Dame einen Heiratsantrag mache, sei es ratsam, sie vorher nicht zu vergewaltigen. Andere - darunter Litvak - hatten sich laut für ein israelisches Mädchen starkgemacht, das man mit einem background ähnlich dem Charlies ausstatten könne. Litvak war - wie andere auch - verbissen gegen die Vorstellung gewesen, sich in irgendeiner Weise auf die Loyalität einer Nichtjüdin, dazu noch einer Engländerin, verlassen zu müssen. Kurtz hatte nicht minder leidenschaftlich widersprochen. Er liebte die Natürlichkeit bei Charlie und war scharf auf das Original, nicht auf die Imitation. Ihre ideologische Schlagseite störte ihn nicht im geringsten; je näher sie am Ertrinken sei, sagte er, desto größer wäre ihre Freude, an Bord genommen zu werden.

Noch eine andere Denkrichtung - denn das Team arbeitete durchaus demokratisch, wenn man von Kurtz’ naturgegebener Tyrannei einmal absah - hatte ein längeres und langsamer vorgehendes Umwerben befürwortet, das Yanukas Entführung vorausgehen und mit einem geraden, nüchternen Angebot enden sollte, wie es bei der Anwerbung von Geheimdienstmitarbeitern üblich war. Doch auch diesen Vorschlag hatte Kurtz abgewürgt, noch ehe er richtig laut geworden war. Eine Frau von Charlies Temperament treffe ihre Entscheidungen nicht nach Stunden müßigen Überlegens, schrie er - Kurtz selbst übrigens auch nicht. Es sei besser zu komprimieren! Besser gründlich nachzuforschen und alles bis ins kleinste Detail hinein vorzubereiten, um sie dann mit einem gewaltigen Vorstoß im Sturm zu nehmen! Nachdem Becker sie sich angesehen hatte, hatte er zugestimmt: eine impulsive Rekrutierung sei das beste. Aber was machen wir, wenn sie nein sagt, verdammt noch mal? hatten sie gezetert: Gavron, die Krähe, war auch darunter. Alles so sorgsam eingefädelt zu haben, um dann vorm Altar einen Korb zu bekommen!