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Und in der Tat, es waren noch keine vierzig Minuten vergangen, da sah man, wie Yanuka an seinen Ketten riss, erst mit den Handgelenken, dann mit den Knien und schließlich mit allen vieren zusammen wie eine Schmetterlingspuppe, die versucht, ihre Hülle zu sprengen, bis er offensichtlich erkannte, dass man ihn mit dem Gesicht nach unten verschnürt hatte; denn er hielt inne, schien eine Bestandsaufnahme vorzunehmen und ließ dann versuchsweise ein Stöhnen vernehmen. Doch dann brach ohne jede weitere Vorwarnung die Hölle los, als Yanuka einen angstvollen, schluchzenden Schrei nach dem anderen ausstieß, zuckte, sich aufbäumte und sich ganz allgemein mit einer Kraft hin und her warf, die sie doppelt dankbar für seine Ketten machte. Nachdem sie sich diese Vorführung eine Zeitlang angesehen hatten, zogen die Verhörspezialisten sich zurück und überließen den Wachen das Feld, bis der Sturm sich von selbst legte. Wahrscheinlich hatte man Yanuka den Kopf mit haarsträubenden Geschichten über die Brutalität der israelischen Methoden vollgestopft. Vermutlich wollte er in seiner abgrundtiefen Verwirrung sogar, dass sie ihrem Ruf Ehre machten und alle Schrecken für ihn wahr würden. Doch die Wächter weigerten sich, ihm diesen Gefallen zu tun. Sie hatten Auftrag, die mürrischen Kerkermeister zu spielen, Distanz zu wahren und ihm keine Verletzungen zuzufügen; daran hielten sie sich buchstabengetreu, auch wenn es ihnen schwer fiel - besonders Oded, ihrem Benjamin. Seit dem Augenblick von Yanukas schmachvoller Ankunft hatten Odeds junge Augen sich vor Hass verdunkelt. Jeder Tag, der verging, ließ ihn kranker und grauer aussehen, und am sechsten hatten seine Schultern sich allein von der Spannung, Yanuka lebendig unter ihrem Dach zu haben, versteift.

Schließlich schien Yanuka wieder in Schlaf zu versinken, und die beiden Verhörspezialisten kamen zu dem Schluss, dass es jetzt an der Zeit sei anzufangen; folglich spielten sie Bänder mit den Geräuschen von morgendlichem Verkehr ab, knipsten viel helles Licht an, brachten ihm - dabei war es noch nicht einmal Mitternacht - gemeinsam Frühstück und befahlen den Wärtern laut, ihn loszubinden und ihn wie ein menschliches Wesen essen zu lassen und nicht wie einen Hund. Sie selbst nahmen ihm dann fürsorglich die Kapuze ab, denn sie wollten, dass er als erstes ihre freundlichen, nichtjüdischen Gesichter sah, die ihn väterlich-besorgt anblickten. »Dass ihr ihm diese Dinge nie wieder anlegt«, sagte einer von ihnen ruhig auf Englisch zu den Wärtern und warf Kapuze und Ketten unter wütendem Ächzen symbolisch in eine Ecke. Die Wächter zogen sich zurück -besonders Oded übertrieben widerwillig -, und Yanuka ließ sich dazu herbei, etwas Kaffee zu trinken, während seine beiden neuen Freunde ihm zuschauten. Sie wussten, dass er einen furchtbaren Durst hatte, denn ehe der Arzt gegangen war, hatten sie ihn gebeten, diesen Durst hervorzurufen; infolgedessen musste ihm der Kaffee wunderbar schmecken, was immer sonst sie noch hineingemischt haben mochten. Sie wussten auch, dass sein Bewusstsein sich in einem Zustand traumartiger Zersplitterung befand und damit in bestimmten wichtigen Bereichen wehrlos war - zum Beispiel dann, wenn ihm Mitleid entgegengebracht wurde. Nachdem sie ihm ein paar Mal solche Besuche abgestattet hatten - von denen einige nur wenige Minuten auseinander gelegen hatten -, kamen die Verhörspezialisten zu dem Schluss, dass es an der Zeit sei, den Sprung zu wagen und sich vorzustellen. Im großen und ganzen handelte es sich dabei um den ältesten Trick im Gewerbe; allerdings enthielt er originelle Variationen. Sie seien Rot-Kreuz-Beobachter, erklärten sie ihm auf Englisch. Sie seien Schweizer Staatsbürger, wohnten jedoch hier im Gefängnis. In welchem Gefängnis und wo, dürften sie ihm nicht verraten;

allerdings gaben sie eindeutige Hinweise, dass es sich um Israel handelte. Sie zeigten eindrucksvolle Gefängnis-Pässe in Plastikhüllen mit Daumenabdrücken darauf vor, mit eingenieteten Passfotos und aufgedruckten Roten Kreuzen in Wellenlinie, wie auf Banknoten, um Fälschungen zu erschweren. Sie erklärten, ihre Aufgabe sei es, dafür zu sorgen, dass die Israelis die in der Genfer Konvention festgelegten Regeln für Kriegsgefangene einhielten - obwohl das, wie sie sagten, weiß Gott nicht so einfach sei -, und, soweit die Gefängnisvorschriften das zuließen, für Yanuka die Verbindung zur Außenwelt herzustellen. Sie setzten Himmel und Hölle in Bewegung, um ihn aus der Einzelhaft freizubekommen und in den Araber-Block zu überstellen, sagten sie, doch hätten sie erfahren, ein ›strenges Verhör‹ könne jeden Tag beginnen, und dass die Israelis ihn bis dahin in Isolationshaft lassen würden, ob ihnen das nun gefalle oder nicht. Manchmal, so erklärten sie, ließen die Israelis sich einfach von ihrer Besessenheit hinreißen und würden überhaupt nicht mehr an ihr Image denken. Das Wort › Verhör‹ stießen sie voller Abscheu hervor, als ob sie wünschten, sie hätten ein anderes Wort dafür. In diesem Augenblick kam, wie vorgesehen, Oded zurück und tat so, als beschäftigte er sich mit den sanitären Einrichtungen. Die Verhörspezialisten hörten sofort auf zu sprechen, bis er wieder draußen war.

Als nächstes holten sie ein großes, gedrucktes Formular hervor und halfen Yanuka, es eigenhändig auszufüllen: hier der Name, alter Junge, Adresse, Geburtsdatum, die nächsten Angehörigen, ja, so sei es richtig, Beruf - nun ja, wohl Student, oder? -, Ausbildung, Religionszugehörigkeit, tut uns leid, aber das sind nun mal die Vorschriften. Yanuka leistete, trotz anfänglichen Widerstrebens, genau Folge, und dieses erste Anzeichen von Kooperationsbereitschaft wurde unten vom ›Bildungs-Kreis‹ mit stiller Genugtuung zur Kenntnis genommen - selbst wenn seine Handschrift wegen der Drogen recht kindlich ausfiel.

Als sie sich verabschiedeten, reichten die Experten Yanuka eine gedruckte Broschüre, in der auf Englisch seine Rechte dargelegt wurden, und schoben ihm augenzwinkernd und mit einem aufmunternden Klaps auf den Rücken einige Riegel Schweizer Schokolade zu. Und redeten ihn mit seinem Vornamen, Salim, an. Vom Zimmer nebenan beobachteten sie ihn danach eine Stunde lang mit Hilfe von Infrarotlicht, während er völlig im Dunkeln lag, weinte und den Kopf hin und her warf. Dann ließen sie es heller werden, platzten fröhlich bei ihm hinein und riefen: »Guck mal, was wir für dich haben; komm schon, wach auf, Salim, es ist Morgen.« Es war ein Brief, namentlich an ihn adressiert. Poststempel Beirut, c/o Rotes Kreuz und mit dem Vermerk ›Vom Zensor der Haftanstalt geöffnet‹ gestempelt. Von seiner geliebten Schwester Fatmeh, die ihm das vergoldete Amulett geschenkt hatte, das er um den Hals trug. Miss Bach hatte den Brief verfasst, gefälscht hatte ihn Schwili, und Leons chamäleonhafte Begabung hatte ihm den echten Schwung von Fatmehs kritischer Zuneigung verliehen. Als Vorbilder dienten ihnen die Briefe, die Yanuka von ihr erhalten hatte, solange sie ihn beschattet hatten. Fatmeh sandte ihm liebste Grüße und hoffte, Salim werde Mut beweisen, wenn seine Zeit komme - wobei sie unter ›Zeit‹ das gefürchtete Verhör zu verstehen schien. Sie habe beschlossen, ihrem Freund den Laufpass und ihren Bürojob aufzugeben und ihre Arbeit bei der Fürsorge in Sidon wieder aufzunehmen, da sie es nicht länger ertrage, so weit von der Grenze ihres geliebten Palästinas entfernt zu sein, während Yanuka so verzweifelt in der Klemme sitze. Sie bewundere ihn; das werde sie immer tun; Leon schwor es. Bis ans Grab und darüber hinaus werde Fatmeh ihren tapferen, heldenhaften Bruder lieben; dafür hatte Leon gesorgt. Yanuka nahm den Brief scheinbar gleichgültig entgegen, doch nachdem sie ihn wieder allein gelassen hatten, sank er in eine fromme Haltung nieder, reckte den Kopf hoch und edel zur Seite wie ein Märtyrer in Erwartung des Schwertes und drückte Fatmehs Worte an die Wange.