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An dieser Stelle nun wagten sie es, Yanuka - oder Salim, wie sie ihn jetzt nannten - von sich aus, sozusagen privat, einen guten Rat zu geben. Vor allem, seien Sie genau, beschworen sie ihn, als sie einen Klapptisch für ihn aufstellten, ihm eine Wolldecke gaben und die Hände von den Fesseln befreiten. Verraten Sie ihnen nichts, was Sie geheim halten möchten, aber achten Sie darauf, dass das, was Sie ihnen sagen, absolut der Wahrheit entspricht. Vergessen Sie nicht, dass wir auf unseren guten Ruf bedacht sein müssen. Denken Sie an die, die nach Ihnen kommen und denen ein gleiches Schicksal blühen kann. Tun Sie Ihr Bestes - nicht um unseretwillen, sondern um ihretwillen. Die Art, wie sie ihm das sagten, schien anzudeuten, dass Yanuka bereits auf bestem Wege war, ein Märtyrer zu werden. Wieso eigentlich, schien keine Rolle zu spielen; die einzige Wahrheit, die er bis dahin kannte, war der Schrecken in der eigenen Seele. Es war knapp, aber das hatten sie ja von Anfang an gewusst. Und es kam auch der Augenblick - ein ziemlich langer sogar -, da sie fürchteten, er sei für sie verloren. Das war der Augenblick, als Yanuka ihnen beiden nacheinander tief und durchdringend in die Augen sah und die Schleier der Verblendung abzuschütteln und seine Peiniger klar ins Auge zu fassen schien. Doch Klarheit war niemals die Grundlage ihrer Beziehung gewesen und war es auch jetzt nicht. Als Yanuka den hingereichten Federhalter ergriff, lasen sie in seinen Augen die flehentliche Bitte, sie möchten ihm doch auch weiterhin etwas vormachen.

An dem Tag, der auf diese Dramen folgte - um die Mittagszeit nach normalen Maßstäben -, kam Kurtz dann direkt aus Athen, um Schwilis Kunstwerke zu begutachten und um seine Zustimmung zu geben, dass Tagebuch, Pässe und Quittungen - unter Anbringung gewisser sinnreicher Verschönerungen -wieder dorthin zurückgelegt würden, wohin sie von Rechts wegen gehörten. Kurtz persönlich übernahm auch die Aufgabe, bis zum Anfang zurückzugehen. Doch zunächst einmal hatte er es sich in der unteren Wohnung bequem gemacht und rief alle bis auf die Wächter nacheinander zu sich, um sich von ihnen über die bisher gemachten Fortschritte Bericht erstatten zu lassen, jeder auf seine Weise und so rasch oder so gemächlich, wie er wollte. In weißen Baumwollhandschuhen und trotz der Befragung Charlies, die die ganze Nacht gedauert hatte, offensichtlich nicht müde, betrachtete er die Ausstellungsstücke, hörte zustimmend Bandaufnahmen von entscheidenden Augenblicken ab und beobachtete voller Bewunderung, wie Miss Bachs Tischcomputer Yanukas Leben in der jüngsten Vergangenheit Tag für Tag in grünen Buchstaben auf dem Bildschirm erscheinen ließ: Daten, Flugnummern, Ankunftszeiten, Hotels. Dann sah er wieder hin, als der Bildschirm frei wurde und Miss Bach das fiktive Geschehen über das wirkliche stülpte: »Schreibt Charlie vom City Hotel in Zürich aus, Brief aufgegeben bei der Ankunft um achtzehn Uhr zwanzig auf dem Flughafen de Gaulle…trifft sich mit Charlie im Excelsior Hotel, Heathrow…ruft Charlie vom Münchener Hauptbahnhof aus an…« Und zu jeder Einfügung die entsprechenden Begleitumstände: welche Quittungen und Notizbucheintragungen sich auf welches Zusammentreffen bezogen, wo absichtlich Lücken und Unklarheiten eingebaut worden waren, weil in einer späteren Rekonstruktion nichts zu mühelos oder zu klar erscheinen sollte.

Nachdem Kurtz all dies geschafft hatte - es war inzwischen Abend geworden -, zog er die Handschuhe aus und eine schlichte israelische Heeres-Uniform an mit den Rangabzeichen eines Obersten und ein paar schmutzigen Ordensbändern für Verdienste im Feld über der linken Brusttasche und degradierte sich allmählich äußerlich, bis er zum Inbegriff eines lange nicht beförderten Offiziers geworden war, den man in die Gefängnisverwaltung abgeschoben hatte. Dann stieg er nach oben und trat lebhaft auf Zehenspitzen an das Beobachtungsfenster, von wo aus er Yanuka eine Zeitlang sehr eingehend betrachtete. Dann schickte er Oded und seine Kameraden mit dem Befehl nach unten, man solle ihn und Yanuka vollkommen allein lassen. Mit nichtssagender Bürokratenstimme stellte er Yanuka auf arabisch ein paar einfache, belanglose Fragen, erkundigte sich nach winzigen Einzelheiten: wo er einen bestimmten Zünder herhabe oder einen besonderen Sprengstoff oder ein Auto; oder wo genau etwa Yanuka und das Mädchen sich getroffen hätten, ehe sie die Godesberger Bombe abgegeben hätten. Kurtz’ genaue, so beiläufig preisgegebene Detailkenntnisse entsetzten Yanuka, der ihn als Reaktion darauf anschrie und befahl, aus Sicherheitsgründen den Mund zu halten. Kurtz konnte sich keinen Vers darauf machen. »Aber warum sollte ich den Mund halten?« verwahrte er sich mit der glasigen Begriffsstutzigkeit, die Menschen befällt, die - entweder als Wachpersonal oder als Häftlinge - zu lange im Gefängnis gewesen sind. »Wenn dein großer Bruder nicht den Mund hält, was für Geheimnisse gibt es denn dann noch, die ich bewahren sollte?« Er stellte diese Frage keineswegs so, als wollte er damit etwas enthüllen, sondern als sei dies die logische Folge von etwas allgemein Bekanntem. Während Yanuka ihn noch mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, erzählte Kurtz ihm ein paar Dinge über ihn, die eigentlich nur sein großer Bruder hätte wissen können. Das war keine Zauberei. Nachdem sie wochenlang Yanukas tägliches Leben durchforstet, seine Telefongespräche abgehört und seine Post überwacht hatten - ganz zu schweigen von seinem Dossier in Jerusalem, das vor zwei Jahren angelegt worden war -, war es kein Wunder, wenn Kurtz und sein Team, genau wie Yanuka selbst, mit solchen Einzelheiten vertraut waren wie sichere Adressen, über die er seine Briefe leitete, das sinnreiche Einbahn-System, über das ihm Befehle zugestellt wurden, und der Punkt, an dem Yanuka wie sie selbst auch von der eigenen Befehlsstruktur abgeschnitten wurde. Was Kurtz von seinen Vorgängern unterschied, war die offensichtliche Gleichgültigkeit, mit der er auf diese Dinge anspielte - und seine Gleichgültigkeit gegenüber Yanukas Reaktion. »Wo ist er?« schrie Yanuka. »Was habt ihr mit ihm gemacht? Mein Bruder redet nicht! Er würde niemals reden! Wie habt ihr ihn in die Hand bekommen?«

Die Entscheidung fiel von einem Augenblick auf den anderen. Unten, wo sie sich um den Lautsprecher versammelt hatten, legte sich eine Art ehrfürchtigen Staunens über den gesamten Raum, als sie hörten, wie Kurtz binnen drei Stunden nach seiner Ankunft den letzten Rest von Yanukas Gegenwehr beiseite fegte. Als Gefängniskommandant habe ich nur mit Verwaltungsaufgaben zu tun, erklärte er. Dein Bruder liegt in einer Krankenzelle unten, er ist ein bisschen mitgenommen; selbstverständlich hofft man, dass er überlebt, aber es wird immerhin ein paar Monate dauern, ehe er wieder laufen kann. Wenn du mir die folgenden Fragen beantwortet hast, stelle ich einen Befehl aus, dass du zusammen mit ihm untergebracht wirst und ihn gesund pflegst. Weigerst du dich, bleibst du, wo du bist. Dann - um jedem falschen Verdacht auf Schikane zu begegnen - zeigte Kurtz Yanuka das Polaroid-Farbfoto, das sie zusammengebastelt hatten und das das kaum erkennbare Gesicht von Yanukas Bruder zeigte, wie er aus einer blutbefleckten Gefängnisdecke herausschaute, als die beiden Wächter ihn von einem Verhör fortschafften.