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»Um mich nach Mykonos mit Michel zu treffen?« sagte sie skeptisch.

»Warum nicht?«

»Mykonos mit Al und der Clique, auf die Fähre, Treffen mit Michel in dem Athener Restaurant, und los geht’s?« »Richtig.«

»Ohne Al«, erklärte sie schließlich. »Wenn ich dich gehabt hätte, hätte ich Al nicht mit nach Mykonos genommen. Ich hätte ihm vorher den Laufpass gegeben. Er war ja von der Firma gar nicht eingeladen worden, sondern hat sich nur angehängt. Nein, zwei auf einmal - das hätte ich nie gemacht.«

Diesen Einwand fegte er einfach beiseite. »Solche Art von Treue verlangt Michel nicht; er ist selbst nicht bereit, sie zu geben, und er bekommt sie auch nicht. Er ist Soldat, ein Feind unserer Gesellschaft, er muss jeden Augenblick damit rechnen, verhaftet zu werden. Kann sein, dass eine Woche vergeht, bevor du ihn wiedersiehst, vielleicht aber auch sechs Monate. Glaubst du, er erwartet von dir, dass du plötzlich wie eine Nonne lebst? Rumsitzt und dich nach ihm verzehrst, ab und zu einen Koller kriegst und deinen Freundinnen unter dem Siegel der Verschwiegenheit dein Geheimnis anvertraust? Unsinn! Wenn er es dir sagte, würdest du mit einer ganzen Armee von Männern schlafen.« Sie kamen an einer Kapelle am Straßenrand vorüber. »Fahr mal langsamer«, befahl er und studierte wieder die Karte.

Fahr langsamer. Halt hier an. Marsch! Er hatte den Schritt beschleunigt. Ihr Pfad führte sie zu einer Ansammlung von verfallenen Hütten und daran vorüber zu einem aufgegebenen Steinbruch, der wie ein Vulkankrater in die Kuppe des Hügels gehackt worden war. Am Fuß der Bruchstelle stand ein alter Benzinkanister. Ohne ein Wort zu sagen, füllte Joseph ihn mit kleinen Steinen, und Charlie, die nicht wusste, was sie davon halten sollte, sah ihm dabei zu. Er zog den roten Blazer aus, legte ihn zusammen und dann sorgfältig auf den Boden. Die Pistole trug er an der Hüfte in einer Lederschlaufe, die an seinem Gürtel befestigt war; der Lauf zeigte leicht nach vorn, in einer Linie, die unter seiner rechten Achselhöhle hindurchführte. Über der linken Schulter trug er noch ein zweites Halfter, doch das war leer. Er packte sie beim Handgelenk, zog sie zu Boden, damit sie sich - wie die Araber - im Schneidersitz neben ihn setzte.

»Also - Nottingham haben wir hinter uns und auch York und Bristol und London. Heute ist heute, der dritte Tag unserer griechischen Hochzeitsreise: Wir befinden uns hier, wo wir sind. In unserem Hotel in Delphi haben wir uns die ganze Nacht hindurch geliebt, sind früh aufgestanden, und Michel hat dir wieder einmal einen denkwürdigen Einblick in die Wiege unserer Kultur geboten. Du hast am Steuer gesessen, und mir hat sich bestätigt, was ich schon von dir gehört hatte: dass du gern Auto fährst, und für eine Frau fährst du gut. Jetzt habe ich dich hier hergebracht, auf diesen Hügel - warum, weißt du nicht. Wie du bemerkt hast, bin ich ziemlich in mich gekehrt. Ich brüte vor mich hin, möglich, dass ich mich mit einem folgenreichen Entschluss herumschlage. Deine Versuche, in mich zu dringen, ärgern mich nur. Was ist bloß los? fragst du dich. Geht es mit unserer Liebe weiter? Oder hast du etwas getan, was mir nicht gefällt? Und wenn es weitergeht - wie? Ich setze dich hierhin - neben mich - so -, und ich ziehe die Pistole.« Fasziniert sah sie, wie er sie geschickt aus der Schlaufe herausgleiten ließ und sie zur natürlichen Verlängerung seiner Hand machte. »Ich werde dich in die Geschichte dieser Pistole einführen, das ist ein großes und einmaliges Privileg, und zum ersten Mal« - er verlangsamte seinen Redefluss, um die Bedeutung dessen, was er sagte, zu unterstreichen - »meinen großen Bruder erwähnen, dessen Existenz allein schon ein militärisches Geheimnis ist, in das nur ganz wenige Getreue eingeweiht werden. Ich tue das, weil ich dich liebe und weil…« Er zögerte.

Und weil Michel gern in Geheimnisse einweiht, dachte sie; doch nichts auf der Welt hätte sie dazu gebracht, ihm das Vergnügen zu verderben.

»Weil ich heute vorhabe, den ersten Schritt zu machen, um dich als Mitkämpferin in unsere Geheimarmee aufzunehmen. Wie oft hast du nicht - in deinen vielen Briefen, während wir uns liebten - um

eine Chance gebeten, deine Loyalität durch eine Tat zu beweisen? Heute machen wir den ersten Schritt in diese Richtung.« Wieder war sie sich bewusst, wie er anscheinend mühelos in die arabische Mentalität schlüpfen konnte. Genauso wie gestern abend in der Taverne, wo sie manchmal kaum gewusst hatte, welche seiner miteinander im Widerspruch liegenden Seelen aus ihm sprach, lauschte sie jetzt hingerissen, wie er sich auf seine Weise die blumige arabische Erzählweise zu eigen machte.

»Während meines ganzen unsteten Nomadenlebens als Opfer der zionistischen Usurpatoren leuchtete mein ältester Bruder wie ein Stern vor mir. In Jordanien, in unserem ersten Lager, wo die Schule eine Blechhütte war, in der es von Flöhen wimmelte. In Syrien, wohin wir flohen, nachdem die jordanischen Truppen uns mit Panzern vertrieben hatten. Im Libanon, wo die Zionisten uns von See her beschossen und aus der Luft mit Bomben belegten, und die Schiiten ihnen dabei behilflich waren. Trotzdem - bei allen Entbehrungen, die ich erleiden musste, vergaß ich niemals den großen Helden in der Ferne, meinen Bruder, dessen Heldentaten, von denen meine geliebte Schwester Fatmeh mir flüsternd erzählte, ich mehr als allem anderen auf der Welt nacheifern möchte.« Er fragte sie nicht mehr, ob sie ihm zuhöre. »Ich bekomme ihn selten zu sehen, und wenn, dann nur unter größter Geheimhaltung. Mal in Damaskus. Mal in Amman. Ein knapper Befehl - komm! Dann weiche ich ihm eine ganze Nacht nicht von der Seite, sauge seine Worte in mich auf, den Edelmut seines Herzens, den klaren Geist des geborenen Befehlshabers, seine Tapferkeit. Eines Nachts beordert er mich nach Beirut. Er ist gerade von einer Mission heimgekehrt, die große Unerschrockenheit erforderte, von der ich aber nichts weiter erfahren darf, als dass es sich um einen totalen Sieg über die Faschisten handelte. Ich soll ihn begleiten, um einen großen politischen Redner anzuhören, einen Libyer, einen Mann von wunderbarer Beredsamkeit und Überzeugungskraft. Die schönste Ansprache, die ich je in meinem Leben gehört habe. Bis auf den heutigen Tag kann ich dir daraus zitieren. Alle unterdrückten Völker der Erde hätten diesen großen Libyer hören sollen.« Die Pistole lag flach auf seiner Hand. Jetzt hielt er sie ihr hin, wollte, dass sie die Hand danach ausstreckte.

»Mit vor Aufregung klopfenden Herzen verlassen wir den geheimen Versammlungsort und kehren in der Beiruter Morgendämmerung nach Hause zurück. Arm in Arm, wie es die Araber tun. Mir stehen die Tränen in den Augen. Einer Eingebung des Augenblicks nachgebend, bleibt mein Bruder stehen und schließt mich in die Arme, während wir dort auf dem Bürgersteig stehen. Ich spüre nun, wie er sein kluges Gesicht an das meine presst. Er zieht diese Pistole aus der Tasche und drückt sie mir in die Hand. So.« Charlie bei der Hand packend, legte er die Pistole hinein, hielt jedoch seine Hand auf der ihren und richtete den Lauf auf die Wand des Steinbruchs. »›Ein Geschenk‹ , sagte er. ›Um damit zu rächen. Um unser Volk zu befreien. Ein Geschenk eines Kämpfers an einen anderen. Mit dieser Pistole habe ich auf das Grab meines Vaters meinen Eid geschworen‹. Mir verschlägt es die Sprache.« Seine kühle Hand lag immer noch auf der ihren, hielt die Pistole darin fest, und sie spürte, wie ihre eigene Hand in der seinen zitterte wie ein Wesen, das mit ihr nichts zu tun hatte. »Charlie, diese Pistole ist mir heilig. Ich sage dir das, weil ich meinen Bruder liebe, weil ich meinen Vater geliebt habe und weil ich dich liebe. Gleich werde ich dir zeigen, wie man damit schießt, aber vorher erwarte ich von dir, dass du sie küsst.« Sie starrte erst ihn, dann die Pistole an. Doch die Erregung in seinen Zügen ließ kein Zaudern zu. Er umfasste mit der anderen Hand ihren Arm und zog sie auf die Füße.