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»Wir sind ein Liebespaar, vergiss das nicht! Wir sind Genossen, Diener der Revolution. Wir leben in der engsten Gemeinschaft von Geist und Körper. Ich bin ein leidenschaftlicher Araber, und ich liebe Worte und Gesten. Küss die Pistole!«

»Jose, das kann ich nicht.«

Sie hatte ihn mit Joseph angesprochen, und er antwortete als Joseph.

»Denkst du etwa, es handelt sich um eine englische Tee-Party, Charlie? Denkst du etwa, weil Michel ein hübscher Bursche ist, ist das alles nur Spiel? Wo sollte er gelernt haben, Spiele zu spielen, wenn die Pistole das einzige war, was ihn zum Mann machte?« fragte er völlig logisch. Sie schüttelte den Kopf, starrte immer noch die Waffe an. Doch ihr Widerstreben erzürnte ihn nicht. »Hör zu, Charlie. Gestern Abend, als wir uns liebten, hast du mich gefragt: ›Michel, wo ist das Schlachtfeld?‹ Weißt du, was ich getan habe? Ich habe dir die Hand aufs Herz gelegt und zu dir gesagt: ›Wir kämpfen einen jehad, und das Schlachtfeld ist hier.‹ Du bist meine Jüngerin. Dein Sendungsbewusstsein ist nie so leidenschaftlich gewesen. Weißt du, was das ist - ein jehad

Sie schüttelte den Kopf.

»Ein jehad ist das, wonach du Ausschau gehalten hast, bis du mich kennen lerntest. Ein jehad ist ein heiliger Krieg. Du stehst im Begriff, deinen ersten Schuss in unserem jehad abzufeuern. Küss die Pistole!«

Sie zögerte, dann drückte sie die Lippen auf das blaue Metall des Laufs.

»So«, sagte er und löste sich von ihr. »Von nun an ist diese Pistole ein Teil von uns beiden. Diese Pistole ist unsere Ehre und unsere Flagge. Glaubst du das?« Ja, Jose, ich glaube es. Ja, Michel, ich glaube es. Zwinge mich nie wieder, das zu tun. Unwillkürlich fuhr sie sich mit dem Handgelenk über die Lippen, als wäre Blut darauf. Sie hasste sich, und sie hasste ihn - und kam sich ein bisschen verrückt vor.

»Typ Walther PPK«, erklärte Joseph, als seine Worte sie wieder erreichten. »Nicht schwer, aber vergiss nie: Jede Handfeuerwaffe ist ein Kompromiss zwischen drei wünschenswerten Eigenschaften: dass man sie verbergen, bei sich tragen und gut damit schießen kann. Auf diese Weise redet Michel mit dir über Pistolen - genauso, wie sein Bruder mit ihm darüber gesprochen hat.«

Hinter ihr stehend, drehte er sie an den Hüften so herum, bis sie - die Füße gespreizt - das Ziel direkt vor sich hatte. Dann umschloss er ihre Hand mit der seinen, verschränkte seine Finger mit ihren und hielt ihren Arm ausgestreckt, dass der Lauf nach unten genau zwischen ihre Füße gerichtet war.

»Den linken Arm nicht verkrampfen. So.« Er lockerte ihn für sie. »Beide Augen offen, hebst du die Pistole langsam in die Höhe, bis sie in gerader Linie auf das Ziel gerichtet ist. Den Arm mit der Pistole hältst du gestreckt. So. Wenn ich sage: Feuer, zweimal abdrücken, den Arm wieder senken, warten.«

Gehorsam senkte sie die Pistole, bis sie wieder auf den Boden gerichtet war. Er gab den Befehl, sie hob den Arm - steif ausgestreckt, so wie er es ihr gesagt hatte; sie drückte den Abzug durch, doch es geschah nichts.

»Jetzt«, sagte er und entsicherte.

Sie wiederholte das Ganze, drückte wieder den Abzug durch, und die Pistole in ihrer Hand ruckte in die Höhe, als wäre sie selbst von einer Kugel getroffen worden. Sie schoss ein zweites Mal, und ihr Herz wurde von der gleichen gefährlichen Erregung erfüllt, die sie gefühlt hatte, als sie das erste Mal mit einem Pferd gesprungen oder nackt im Meer geschwommen war. Sie senkte die Pistole, Joseph gab wieder den Befehl zum Feuern, sie hob sie viel schneller als beim ersten Mal, schoss zweimal rasch nacheinander und dann noch dreimal auf gut Glück. Dann wiederholte sie die Bewegung, ohne dass er den Befehl dazu gegeben hätte, schoss aufs Geratewohl, und das immer stärker werdende Peitschen der Schüsse erfüllte die Luft rings um sie her, die Querschläger sausten wimmernd hinaus ins Tal und übers Meer. Sie schoss, bis das Magazin leer war, dann stand sie - die Pistole an der Seite - mit klopfendem Herzen da und atmete den Duft von Thymian und Schießpulver ein.

»Wie war ich?« fragte sie und wandte sich zu ihm um. »Sieh selbst nach.«

Sie ließ ihn stehen, lief zu dem Benzinkanister. Und starrte diesen ungläubig an, weil er keine Einschüsse hatte. »Aber was ist denn schiefgelaufen?« rief sie empört.

»Du hast vorbeigeschossen«, erwiderte Joseph und nahm ihr die Pistole ab.

»Es waren Platzpatronen!«

»Durchaus nicht.«

»Ich habe aber doch alles so gemacht, wie du es mir gesagt hattest.«

»Zunächst einmal solltest du nicht mit einer Hand schießen. Für ein Mädchen, das nur hundert Pfund wiegt und Handgelenke wie Spargel hat, ist das lächerlich.«

»Warum hast du mir denn dann gesagt, dass man so schießt?«

Er ging schon wieder auf den Wagen zu, führte sie am Arm. »Wenn Michel es dir beibringt, musst du auch schießen wie Michels Schülerin. Er hat keine Ahnung vom zweihändigen Schießen. Er hat sich nach dem Vorbild seines Bruders gerichtet. Willst du etwa, dass dir made in Israel groß ins Gesicht geschrieben steht?« »Warum tut er es denn nicht?« Sie war erbost und packte ihn am Arm. »Warum hat er denn keine Ahnung, wie man richtig schießt? Warum hat es ihm keiner beigebracht?«

»Habe ich dir doch gesagt. Sein Bruder hat es ihm beigebracht.« »Warum hat der es ihm dann nicht richtig beigebracht?« Ihr war wirklich an einer Antwort gelegen. Sie fühlte sich gedemütigt und schien drauf und dran, eine Szene zu machen. Er schien das zu erkennen, denn er lächelte und gab dann auf seine Weise nach. »›Es ist Gottes Wille, dass Khalil nur mit einer Hand schießt‹ «, sagte er.

»Wieso?«

Mit einem Kopfschütteln tat er die Frage ab. Sie kehrten zum Mercedes zurück. »Ist Khalil der Name seines Bruders?« »Ja.»

»Du hast doch aber gesagt, das sei der arabische Name für Hebron.«

Er war erfreut, aber auch merkwürdig abwesend. »Es ist beides.« Er ließ den Motor an. »Khalil für unsere Stadt. Khalil für meinen Bruder. Khalil, der ›Freund Gottes‹ und des hebräischen Propheten Abraham, der vom Islam verehrt wird und in unserer alten Moschee begraben liegt.«

»Also Khalil«, sagte sie.

»Khalil«, pflichtete er kurz angebunden bei. »Präg ihn dir ein. Und auch die Umstände, unter denen er dir das anvertraut hat. Weil er dich liebt. Weil er seinen Bruder liebt. Weil du die Pistole seines Bruders geküsst hast und damit von seinem Blute bist.« Sie fuhren den Hügel hinunter. Joseph saß am Steuer. Sie wusste nicht mehr, wer sie war, falls sie das jemals gewusst hatte. Der Knall ihrer eigenen Schüsse hallte noch in ihren Ohren wider. Sie hatte noch den Geschmack des Pistolenlaufs auf den Lippen, und als er ihr den Olymp zeigte, sah sie nichts weiter als schwarze und weiße Regenwolken, die aussahen wie ein Atompilz. Joseph war genauso befangen wie sie, doch sein Ziel lag wieder vor ihnen, und er trieb beim Fahren unerbittlich seine Geschichte voran und fügte ein Detail ans andere. Wieder Khalil. Die Zeit, die sie zusammen gewesen waren, ehe er in den Kampf gezogen war. Nottingham, ihre große Seelenbegegnung. Seine Schwester Fatmeh und seine große Liebe zu ihr. Und seine anderen Brüder, die tot waren. Sie kamen auf die Küstenstraße. Der Verkehr donnerte dahin, viel zu schnell; auf den verdreckten Stränden standen hier und da eingefallene Hütten, die Fabrikschlote sahen wie Gefängnisse aus, die auf sie warteten. Sie versuchte, seinetwegen wach zu bleiben, doch zuletzt schaffte sie es nicht mehr. Sie legte den Kopf an seine Schulter und entfloh eine Zeitlang.

Das Hotel in Saloniki war ein Klotz aus der Zeit um die Jahrhundertwende mit angestrahlten Kuppeln und einer gewissen Weitläufigkeit. Ihre Suite lag im obersten Stock, hatte einen Alkoven für Kinder und ein sechs Meter langes Badezimmer sowie verschrammte Möbel aus den zwanziger Jahren wie daheim. Sie hatte das Licht angeknipst, doch er befahl ihr, es wieder auszumachen. Er hatte Essen heraufkommen lassen, doch keiner von ihnen hatte es angerührt. Mit dem Rücken zu ihr, stand er am Erkerfenster und schaute hinunter auf den grünen Platz und den mondbeschienenen Hafen dahinter. Charlie saß auf dem Bett. Fetzen griechischer Musik von der Straße erfüllten den Raum.