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»Also, Charlie.«

»Also, Charlie«, wiederholte sie echogleich und wartete auf die Erklärung, die er ihr schuldig war.

»Du hast gelobt, an meinem Kampf teilzunehmen. Aber was für ein Kampf ist das? Wie wird er ausgetragen? Wo? Ich habe von unserer Sache erzählt, habe von Unternehmungen geredet: Wir glauben, also handeln wir. Ich habe dir gesagt, dass Terror Theater ist und dass die Welt manchmal an den Ohren hochgezogen werden muss, ehe sie auf die Gerechtigkeit hört.« Sie rutschte unruhig hin und her.

»In meinen Briefen und in unseren langen Diskussionen habe ich dir wiederholt versprochen, dich bis zum Einsatz zu bringen. Aber dann habe ich immer wieder Ausflüchte gemacht, habe es hinausgeschoben. Bis heute abend. Vielleicht traue ich dir nicht. Oder vielleicht liebe ich dich inzwischen so sehr, dass ich dich nicht an der vordersten Front sehen möchte. Du weißt nicht, was es von diesen Dingen wirklich ist, aber manchmal hat meine Heimlichtuerei dich verletzt. Wie aus deinen Briefen hervorgeht.« Die Briefe, dachte sie wieder; immer die Briefe. »Ja, wie wirst du nun tatsächlich mein kleiner Soldat? Das ist es, worüber wir heute Nacht reden werden. Hier. In dem Bett, auf dem du sitzt. Am letzten Abend unserer Hochzeitsreise durch Griechenland. Vielleicht ist es überhaupt die letzte Nacht, die wir jemals zusammen verbringen werden, denn du kannst nie sicher sein, mich wieder zu sehen.«

Er wandte sich ihr zu, doch nichts überstürzte sich. Es war, als hätte er seinem Körper vorsichtig die gleichen Einschränkungen auferlegt, die auch seine Stimme beherrschten. »Du weinst viel«, sagte er. »Ich glaube, heute Nacht wirst du auch weinen… Während du mich in den Armen hältst. Während du mir ewige Treue schwörst. Ja? Du weinst, und während du weinst, sage ich zu dir: ›Es ist soweit.‹ Morgen werden wir unsere Chance haben. Morgen früh wirst du den Schwur erfüllen, den du mir auf die Pistole des großen Khalil abgelegt hast. Ich befehle dir - bitte dich« - bedächtig, fast majestätisch, kehrte er ans Fenster zurück -, »den Mercedes über die jugoslawische Grenze und nach Norden, nach Österreich zu fahren, wo er übernommen werden wird. Allein. Wirst du das tun? Was sagst du dazu?«

Oberflächlich empfand sie nichts weiter als das Bedürfnis, es ihm in seiner offenbaren Gefühllosigkeit gleichzutun. Keine Angst, kein Gefühl für Gefahr, keine Überraschung: Sie schloss sie mit einem Knall alle aus. Der Augenblick ist gekommen, dachte sie. Charlie, du bist dran. Ein Auto überführen. Ab geht’s. Die Zähne fest aufeinander gebissen, sah sie ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, an, so, wie sie Menschen ansah, wenn sie log. »Nun - was erwiderst du ihm?« erkundigte er sich und hänselte sie gutmütig ein wenig. »Allein«, erinnerte er sie. »Eine ziemlich weite Strecke, weißt du. Über tausendfünfhundert Kilometer durch Jugoslawien - keine Kleinigkeit, wenn man bedenkt, dass es ein erster Auftrag ist. Was sagst du dazu?«

»Was ist drin?« fragte sie. Ob mit Absicht oder nicht, vermochte sie nicht zu sagen, aber er verstand sie auf jeden Fall falsch: »Geld. Dein Debüt auf der Bühne der Wirklichkeit. Alles, was Marty dir versprochen hat.« Was er dabei dachte, war ihr genauso unerfindlich wie vielleicht auch ihm selbst. Sein Ton war abgehackt und ablehnend.

»Ich habe gemeint, was in dem Auto ist.«

Die Drei-Minuten-Warnung, ehe seine Stimme etwas Herumkommandierendes bekam. »Was spielt es für eine Rolle, was in dem Auto ist? Vielleicht eine militärische Botschaft. Papiere. Glaubst du etwa, du könntest gleich an deinem ersten Tag sämtliche Geheimnisse unserer großen Bewegung erfahren?« Pause, doch sie sagte nichts. »Wirst du den Wagen fahren oder nicht? Das ist alles, worauf es ankommt.«

Es ging ihr nicht um Michels Antwort. Es ging ihr um seine. »Charlie, als Neurekrutierte steht es dir nicht zu , Befehle in Frage zu stellen. Natürlich, wenn du schockiert bist -« - Wer war er? Sie spürte, wie seine Maske fiel, wusste jedoch nicht, welche Maske es war. »Falls dir plötzlich Bedenken kommen -innerhalb der Fiktion -, dass dieser Mann dich manipuliert hat -dass all seine Verehrung für dich, seine Glut, seine Beteuerungen ewiger Liebe…« Doch wieder schien er den festen Boden unter den Füßen zu verlieren. Entsprach es nun ihrem Wunschdenken, oder durfte sie annehmen, dass im Halbdunkel unbemerkt irgendein Gefühl in ihm hochgekommen war, das er sich lieber vom Leib gehalten hätte? »Ich meine nur, dass, wenn« - seine Stimme gewann ihre Festigkeit zurück - »wenn dir in diesem Stadium irgendwie die Schuppen von den Augen fallen sollten oder dir der Mut vergeht, dann musst du selbstverständlich nein sagen.«

»Ich habe dich etwas gefragt. Warum fährst du ihn nicht selbst, du, Michel?«

Rasch drehte er sich wieder zum Fenster, und es kam Charlie so vor, als ob er eine ganze Menge in sich selbst zum Schweigen bringen musste, ehe er ihr antwortete. »Michel sagt dir dies und nicht mehr«, begann er und zwang sich zur Geduld. »Was immer in dem Auto ist« - er konnte es von hier oben sehen, auf dem Platz, wo es von einem Volkswagenbus bewacht abgestellt war -, »es ist überaus wichtig für unseren großen Kampf, aber auch sehr gefährlich. Wen auch immer man irgendwo auf dieser anderthalbtausend Kilometer langen Strecke erwischt, wie er diesen Wagen fährt - ob das Auto nun subversive Literatur oder irgendwelches andere Material enthält, Botschaften etwa -, mit diesem Auto gefasst zu werden, wäre für den Betreffenden außerordentlich belastend. Keinerlei Einflüsse - diplomatischer Druck, gute Anwälte - könnten den Betreffenden davor bewahren, in Teufels Küche zu kommen. Wenn du dabei an deine eigene Haut denkst, musst du das bedenken.« Und mit einer Stimme, die so ganz anders klang als die Michels, setzte er noch hinzu: »Es geht schließlich um dein Leben. Du bist keine von uns.«

Doch sein Zurückschrecken, sein momentanes Zögern, mochte es noch so unmerklich sein, gab ihr eine Sicherheit, wie sie sie in seiner Gesellschaft bisher noch nicht erlebt hatte. »Ich habe gefragt, warum er ihn nicht selbst fährt. Ich warte immer noch auf seine Antwort.«

Und wieder riss er sich zusammen, zu deutlich. »Charlie! Ich bin ein palästinensischer Aktivist. Ich bin als Kämpfer für die Sache bekannt. Ich reise mit falschen Papieren, was jeden Augenblick auffliegen kann. Du hingegen - eine attraktive junge Engländerin, die gut aussieht -, völlig unbelastet, schlagfertig, charmant - für dich besteht selbstverständlich keinerlei Gefahr. Das reicht doch wohl jetzt!«

»Gerade hast du aber gesagt, es bestehe doch Gefahr.«

»Unsinn. Michel versichert dir, dass keine besteht. Für ihn selbst, vielleicht. Aber für dich - keine. ›Tu’s für mich‹ sage ich. ›Tu’s und sei stolz darauf. Tu’s für unsere Liebe und für die Revolution. Tu’s für alles, was wir einander geschworen haben. Tu’s für meinen großen Bruder. Bedeuten deine Schwüre nichts? Hast du denn bloß heuchlerische westliche Lippenbekenntnisse abgelegt, als du dich zur Revolution bekanntest?‹ « Wieder hielt er inne. »Tu es, denn wenn du es nicht tust, wird dein Leben nur noch leerer sein, als es war, ehe ich dich am Strand auflas.« »Du meinst, im Theater«, stellte sie richtig.

Er kümmerte sich kaum noch um sie. Er hatte ihr den Rücken weiter zugekehrt und stand da, den Blick immer noch auf den Mercedes gerichtet. Er war wieder Joseph, der Joseph mit den knappen Vokalen, den überlegten Sätzen und der Mission, die unschuldiges Leben retten sollte.

»Da wärest du also. Dies hier ist dein Rubikon. Weißt du, was das ist? Der Rubikon? Steig jetzt aus - geh nach Hause -nimm ein bisschen Geld und vergiss die Revolution, Palästina, Michel, alles.«