»Dann wollen die Menschen, die dort leben, also nicht, dass alles abgerissen wird?«
»Oh nein, sie hängen sehr an der Siedlung. Aber ein paar Berühmtheiten wollen damit den Wert ihrer Immobilien hochtreiben. Sie wollen, dass das Land für einen Country-Club oder so etwas genutzt wird. Diese Gruppe nennt sich Nordwestliches Bürgerkomitee für besseres Wohnen. Eine Mrs. Devorac ist die Vorsitzende.«
Ich erinnerte mich, diesen Namen in den Oregoner Zeitungen gelesen zu haben. Ja, Silvia Devorac. Sie war ständig für irgendetwas engagiert, ihr Foto erschien regelmäßig auf der ersten Seite des Lokalteils. »Und warum will Mr. Barrows diese Wohnsiedlung retten?«
»Ihn empört die Tatsache, dass amerikanische Bürger ihrer Rechte beraubt werden. Die meisten Leute dort sind recht arm, sie könnten nirgendwo anders hin. Mr. Barrows versteht ihre Gefühle, weil er selbst jahrelang in Mietshäusern gewohnt hat. Wussten Sie, dass seine Familie auch nicht mehr Geld gehabt hat als andere? Dass er sich das alles selbst verdient hat, durch harte Arbeit?«
»Ja.« Sie schien darauf zu warten, dass ich noch mehr sagte. »Schön, dass er sich immer noch mit der arbeitenden Bevölkerung identifiziert, obwohl er jetzt Milliardär ist.«
»Da Mr. Barrows den Großteil seines Geldes mit Immobilien gemacht hat, hat er ein geschärftes Bewusstsein für die Probleme, denen sich die Menschen in ihrem Kampf um angemessenen Wohnraum gegenübersehen. Für snobistische Damen wie Silvia Devorac ist Green Peach Hat nur eine unansehnliche Ansammlung alter Häuser. Die sie nie betreten hat – das würde ihr auch nie in den Sinn kommen.«
»Wissen Sie, das von Mr. Barrows zu hören, gibt mir Hoffnung, dass unsere Gesellschaft doch noch nicht im Niedergang begriffen ist.«
Sie bedachte mich mit einem warmen Lächeln.
»Was wissen Sie von dem Stanton-Simulacrum?«
»Ich weiß, dass eines gebaut wurde. Miss Frauenzimmer erwähnte das sowohl in ihrem Brief als auch am Telefon. Mr. Barrows hat mir außerdem erzählt, dass Miss Frauenzimmer das Simulacrum in einen Greyhound-Bus setzen und ohne Begleitung nach Seattle fahren lassen wollte, wo sich Mr. Barrows gegenwärtig aufhält. Damit wollte sie demonstrieren, dass es sich in der Öffentlichkeit zeigen kann, ohne aufzufallen.«
»Von dem komischen Bart und der altmodischen Jacke mal abgesehen.«
»Dieser Faktoren war ich mir nicht bewusst.«
»Vielleicht könnte sich das Simulacrum mit dem Taxifahrer über den kürzesten Weg vom Busbahnhof zu Mr. Barrows’ Büro streiten. Das wäre ein zusätzlicher Beweis seiner Menschlichkeit.«
»Ich werde das Mr. Barrows gegenüber erwähnen.«
»Kennen Sie die Rosen-Orgel oder vielleicht unsere Kleinklaviere?«
»Ich bin mir nicht so sicher.«
»Die Rosen-Fabrik in Boise produziert die beste elektronische Chororgel, die es je gegeben hat. Sie übertrifft die Hammerstein-Stimmungsorgel bei weitem.«
»Dessen war ich mir ebenfalls nicht bewusst. Ich werde das Mr. Barrows gegenüber erwähnen. Er hat schon immer etwas für Musik übrig gehabt.«
Ich war immer noch damit beschäftigt, Barrows’ Brief zu lesen, als Maury von seiner Kaffeepause zurückkehrte. Ich zeigte ihm den Brief.
»Aha, Barrows schreibt Pris.« Er setzte sich und dachte nach. »Haben wir es geschafft, Louis? Das ist jedenfalls nicht nur eine Ausgeburt von Pris’ Phantasie. Aber Herrgott, dieser Bursche ist kaum zu verstehen. Hat er nun Interesse an der Stanton oder nicht?«
»Ich verstehe das so, dass er gerade voll und ganz mit einem anderen Projekt zu tun hat, dieser Wohnsiedlung namens Green Peach Hat.«
»Ja, da hab ich mal gewohnt. Ende der Fünfziger.«
»Und? Wie ist es da so?«
»Die reinste Hölle. Diese Dreckslöcher sollten abgefackelt werden. Nur ein Streichholz, nichts anderes, bringt dieser Gegend den Fortschritt.«
»Einige sehen das genauso wie du.«
»Nun, wenn sie wollen, dass es jemand für sie in Brand steckt, ich tu’s gern. Du darfst mich ruhig zitieren. Sam Barrows gehört das alles.«
»Aha.«
»Er macht ein Vermögen mit den Mieten. Mieteinnahmen aus Slums sind heutzutage die reinste Lizenz zum Gelddrucken. Man kriegt fünf- oder sechshundert Prozent seiner Investitionen wieder raus. Aber gut, ich denke, wir müssen persönliche Ansichten außen vorlassen. Barrows ist ein cleverer Geschäftsmann und derjenige, der die Simulacra am besten unterstützen kann, auch wenn er ein reicher Saftsack ist. Aber du meinst, dieser Brief ist eine Ablehnung des Vorschlags?«
»Du könntest ihn ja anrufen und es herauskriegen. Pris hat ihn offenbar angerufen.«
Maury griff zum Hörer und wählte.
»Warte!«
Er starrte mich an.
»Ich habe da eine Vorahnung. Das wird böse enden.«
»Mr. Barrows«, sagte Maury ins Telefon.
Ich nahm ihm den Hörer weg und legte auf.
Maury bebte vor Zorn. »Was bist du nur für ein Feigling!« Er hob wieder ab und sah sich nach dem Brief um, auf dem Barrows’ Durchwahl stand. Ich nahm den Brief, zerknüllte ihn und warf ihn in den Papierkorb.
Mit einem Fluch knallte Maury den Hörer auf die Gabel. »Was ist denn mit dir los?«
»Ich glaube nicht, dass wir uns mit einem Menschen wie ihm einlassen sollten.«
»Mit was für einem Menschen?«
»Wen die Götter verderben wollen, den blenden sie zuerst.«
Maury legt den Kopf schief und funkelte mich an. »Was meinst du damit? Du denkst, ich bin übergeschnappt, dass ich dort anrufen will? Ja, vielleicht hast du recht. Aber ich mach’s trotzdem.« Er ging an mir vorbei, klaubte den Brief aus dem Papierkorb, glättete ihn, merkte sich die Nummer, ging wieder zum Telefon und wählte erneut.
»Damit sind wir geschiedene Leute«, sagte ich.
Stille. »Hallo«, rief Maury plötzlich. »Ich würde gern Mr. Barrows sprechen. Maury Rock aus Ontario, Oregon.«
Wieder Stille.
»Mr. Barrows! Hier ist Maury Rock.« Maury hatte jetzt ein entschlossenes Grinsen im Gesicht. Er beugte sich vor, stützte den Ellenbogen auf den Schenkel. »Ich habe Ihren Brief vorliegen, Sir, an meine Tochter, Pris Frauenzimmer. Betreffend unsere weltbewegende Erfindung, das elektronische Simulacrum, in der Verkörperung der charmanten Persönlichkeit von Lincolns Kriegsminister Edwin McMasters Stanton.« Eine kurze Pause, in der er mich abwesend anstarrte. »Sind Sie interessiert, Sir?« Noch eine Pause, diesmal viel länger.
Du wirst deinen Coup nicht landen, Maury, schoss es mir durch den Kopf.
»Ja, das leuchtet mir ein. Das ist richtig, Sir. Aber lassen Sie mich eines verdeutlichen, falls Sie es übersehen haben sollten…« Das Gespräch schien nicht enden zu wollen; sie kamen vom Hundertsten ins Tausendste.
Schließlich bedankte sich Maury, verabschiedete sich und legte auf. Er sah mich finster und erschöpft an. »Puh.«
»Was hat er gesagt?«
»Das Gleiche wie im Brief. Er sieht das nach wie vor nicht als kommerzielle Unternehmung an. Er hält uns für irgendeinen Patriotenverein.« Er blinzelte und schüttelte verwundert den Kopf.
»So ein Pech, was?«
»Vielleicht ist es besser so.« Aber es hörte sich nicht so an, als ob Maury das auch glaubte – es klang lediglich etwas entmutigt. Er würde es wieder versuchen, er hatte immer noch Hoffnung.
Die Distanz zwischen uns war nie größer.
Fünf
In den darauf folgenden zwei Wochen schienen sich Maury Rocks Voraussagen bezüglich des Absatzrückgangs der Rosen-Elektroorgel zu bestätigen. Die Fahrer meldeten nur wenige bis überhaupt keine Verkäufe von Orgeln. Und wir erfuhren, dass Hammerstein inzwischen eine seiner Stimmungsorgeln für unter tausend Dollar anbot. Natürlich waren dabei Frachtkosten oder Klavierstuhl nicht einberechnet, aber trotzdem – schlechte Nachrichten für uns.