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»Herrgott noch mal, Sie haben sich hier in Ihrer Praxis verbarrikadiert. Was interessiert es Sie schon, was draußen in der Welt vor sich geht?«

Der Arzt grinste leicht süffisant, was mich wütend machte.

»Ich verrate Ihnen mal was, Doktor. Pris spielt ein grausames Spiel mit Ihnen. Sie hat mich hierher geschickt. Ich bin ein Simulacrum, wie die Stanton. Ich sollte Ihnen das eigentlich nicht verraten, aber ich mache dieses Versteckspiel nicht länger mit. Ja, ich bin bloß eine Maschine, ein Haufen Schaltkreise und Relais. Was sagen Sie dazu?«

Horstowski sah mich mit mildem Blick an. »Haben Sie mir nicht erzählt, dass Sie verheiratet sind? Wenn ja, wie lautet der Name Ihrer Frau und wie alt ist sie und hat sie einen Beruf?«

»Ich bin nicht verheiratet. Ich hatte einmal eine Freundin, eine Italienerin, die in einem Nachtklub gesungen hat. Sie war groß und hatte dunkle Haare. Sie hieß Lucrezia, aber wir sollten sie Mimi nennen. Sie ist an TBC gestorben. Das war nach unserer Trennung. Wir hatten uns ständig gestritten.«

Horstowski schrieb das alles sorgfältig auf.

»Dann wollen Sie also meine Frage nicht beantworten, Doktor?« Es war wirklich hoffnungslos. Sollte die Stanton etwas in ihm ausgelöst haben, so würde er mir nicht verraten, was. Aber vielleicht hatte sie ja auch gar nichts in ihm ausgelöst, vielleicht war ihm völlig egal, wer ihm gegenübersaß – vielleicht hatte er sich vor langer Zeit dazu erzogen, jeden zu akzeptieren. Jeden und jedes. »Ich habe eine Militärpistole Kaliber .45 und Munition. Mehr brauche ich nicht, die Gelegenheit wird sich ergeben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Pris sich jemand anderem gegenüber genauso grausam verhält wie mir gegenüber. Ich halte es für meine heilige Pflicht, sie zu beseitigen.«

Wieder dieser milde Blick. »Wissen Sie, Mr. Rosen, Ihr eigentliches ›Problem‹, wie Sie es genannt haben, ist die Feindseligkeit, die Sie empfinden. Eine unterdrückte, versteckte Feindseligkeit, die ein Ventil sucht und sich nun gegen Ihren Partner und seine achtzehnjährige Tochter richtet, die selbst Schwierigkeiten hat und nach Lösungen sucht, so gut sie eben kann.«

So formuliert, war es nicht gerade schmeichelhaft für mich. Es waren meine eigenen Gefühle, die mir zusetzten, nicht der Feind. Es gab keinen Feind. »Und was können Sie für mich tun?«

»Ich kann Ihnen die Wirklichkeit nicht schmackhaft machen. Ich kann Ihnen nur helfen, sie zu verstehen.« Er öffnete eine Schreibtischschublade. Ich sah Schachteln und Flaschen voller Medikamente, ein fürchterliches Durcheinander. Nach einigem Gewühl zog Horstowski ein Fläschchen heraus. »Nehmen Sie hiervon zwei am Tag, eine nach dem Aufstehen und eine vorm Schlafengehen. Hybrisin.« Er gab mir das Fläschchen.

»Welche Wirkung haben die?« Ich steckte die Flasche in meine Jackentasche.

»Hybrisin wirkt anregend auf den vorderen Abschnitt der septalen Region des Gehirns. Die Stimulation dieses Areals führt zu größerer geistiger Schärfe sowie dem Glauben, dass sich alles schon fügen wird. Es lässt sich mit dieser Einstellung der Hammerstein-Stimmungsorgel vergleichen.« Er reichte mir einen Zettel, auf dem Einstellhinweise für die Hammerstein standen. »Aber dieses Medikament wirkt ungleich stärker. Wie Sie ja wissen, ist die Stärke der von der Stimmungsorgel produzierten Erregungsschocks gesetzlich erheblich eingeschränkt.«

Ich sah mir die Einstellungen an. Es war kaum zu glauben, aber wenn man sie in Noten übertrug, kamen sie an den Anfang von Beethovens Streichquartett Nr. 16 heran. Schon allein beim Anblick der Zahlenkombinationen ging es mir besser. »Ich kann dieses Medikament praktisch summen«, sagte ich. »Soll ich?«

»Nein, danke. Also, Mr. Rosen, für den Fall, dass die medikamentöse Behandlung bei Ihnen nicht anschlägt, können wir es immer noch mit einer Lobotomie im Bereich der Temporallappen versuchen, selbstverständlich gestützt auf ein sorgfältiges Brainmapping, das in der Universitätsklinik von San Francisco oder Mount Zion durchgeführt werden müsste – wir sind dafür nicht ausgestattet. Ich persönlich würde das ja vermeiden wollen, da es sich oft herausstellt, dass der beteiligte Abschnitt der Temporallappen unverzichtbar ist. In den staatlichen Kliniken ist man längst wieder davon abgekommen, wissen Sie.«

»Ich würde mir eine Lobotomie auch lieber ersparen. Freunde von mir haben eine machen lassen… aber mir verursacht das eine Gänsehaut. Darf ich Sie etwas fragen, Doktor? Haben Sie vielleicht zufällig ein Medikament, das von der Wirkung her dem Chorsatz von Beethovens Neunter auf der Stimmungsorgel entspricht?«

»Da müsste ich nachsehen.«

»Wenn ich auf der Stimmungsorgel spiele, berührt mich besonders die Stelle, an der der Chor singt: ›Muss ein lieber Vater wohnen‹. Und dann, wie Engel, die Geigen und die Sopranstimmen des Chors antworten: ›Überm Sternenzelt‹.«

»So genau bin ich damit nicht vertraut.«

»Diese Stelle jedenfalls – wenn Sie eine pharmakologische Entsprechung finden würden, davon könnte ich enorm profitieren.«

Horstowski zog eine dicke Mappe aus dem Regal und blätterte sie durch. »Ich fürchte, ich kann kein Medikament finden, das Ihren Wünschen entspricht. Vielleicht wenden Sie sich einmal an die Ingenieure bei Hammerstein.«

»Gute Idee.«

»Nun noch zu Ihrem Verhältnis zu Pris. Ich glaube, Sie übertreiben, wenn Sie meinen, dass sie eine Bedrohung darstellt. Schließlich steht es Ihnen doch frei, nichts mit ihr zu tun zu haben, oder?« Er sah mich verschmitzt an.

»Ja, denke schon.«

»Pris hat Sie herausgefordert. Sie provoziert gern. Ich könnte mir vorstellen, dass es den meisten Menschen, die mit ihr zu tun haben, genauso geht wie Ihnen. Das ist Pris’ Art, sie zu einer Reaktion zu zwingen. Es geht vermutlich Hand in Hand mit ihrer naturwissenschaftlichen Veranlagung – eine Art Neugierde, sie will wissen, wie die Menschen ticken.«

»Nun, in diesem Fall hat sie das Objekt beinahe umgebracht, während sie es erforschte.«

»Bitte?« Horstowski hielt eine Hand hinters Ohr. »Ach so, Objekt, ja. Sie nimmt andere manchmal als ein solches wahr. Aber ich würde mir das nicht so zu Herzen nehmen. Leben wir nicht in einer Gesellschaft, in der Distanziertheit beinahe lebensnotwendig ist?« Er kritzelte etwas in seinen Terminkalender. »Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an Pris denken.«

»Milch.«

»Milch?« Er lüpfte eine Augenbraue. »Interessant. Milch…«

»Ich werde nicht wiederkommen. Sie brauchen mir gar keinen neuen Termin geben.« Ich nahm das Terminkärtchen, das er mir reichte, trotzdem. »Wissen Sie, das war kein Witz, als ich gesagt habe, dass ich so ein Simulacrum bin. Es hat einmal einen Louis Rosen gegeben, aber jetzt nicht mehr. Jetzt gibt es nur noch mich. Und wenn mir etwas zustößt, nehmen Pris und Maury meine gespeicherten Erinnerungen und stellen eine neue Louis Rosen her. Den Körper fertigt Pris aus Badezimmerkacheln an. Er ist ziemlich gut, nicht? Sie sind darauf reingefallen und mein Bruder Chester und beinahe auch mein Vater. Das ist der eigentliche Grund, warum er so unglücklich ist – er hat die Wahrheit erkannt.« Damit verabschiedete ich mich und verließ die Praxis. Sie aber, fügte ich noch in Gedanken hinzu, Sie kommen da nie drauf, Doktor Horstowski, in tausend Jahren nicht. Ich bin gut genug, um Sie und Ihresgleichen reinzulegen.

Ich stieg in meinen Chevrolet Magic Fire und fuhr ins Büro zurück.

Sechs

Nachdem ich Doktor Horstowski erzählt hatte, dass ich ein Simulacrum sei, ließ mich die Vorstellung nicht mehr los. Früher hatte es einmal einen echten Louis Rosen gegeben, aber nun war er tot, und ich nahm seine Stelle ein und täuschte damit jeden, mich eingeschlossen.

Natürlich wusste ich auf einer anderen Ebene, dass es ein völlig absurder Gedanke war, nur ein Haufen Unsinn, den ich mir aufgrund meiner feindseligen Gefühle Doktor Horstowski gegenüber ausgedacht hatte. Dennoch brachte mich diese Vorstellung dazu, gleich nach meinem Termin bei Horstowski die Edwin M. Stanton zu besuchen. Ich fragte Maury, wo die Maschine war.