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»Du bist doch nur feige.«

»Nein.«

»Doch.«

»Nein, aber ich werde es nicht beweisen, indem ich es tue. Ich bin wirklich nicht feige, ich habe in meinem Leben mit allen möglichen Frauen geschlafen. In Sachen Sex macht mir nichts mehr Angst, dafür bin ich einfach zu alt. Du redest von einem College-Jungen, der sich gerade seine erste Schachtel Präservative gekauft hat.«

»Trotzdem willst du nicht mit mir schlafen.«

»Nein. Weil du nicht nur distanziert bist, du bist brutal. Und das nicht nur zu mir, sondern auch zu dir selbst, indem du deinen Körper verachtest. Erinnerst du dich nicht an die Debatte zwischen Lincoln – der Lincoln-Maschine, meine ich – und Barrows? Das Tier ist dem Menschen nah verwandt, beide sind aus Fleisch und Blut. Und genau das versuchst du, nicht zu sein.«

»Ich versuche es nicht – ich bin’s nicht.«

»Was bist du dann? Eine Maschine?«

»Eine Maschine hat Drähte. Ich habe keine Drähte.«

»Was bist du dann?«

»Ich weiß, was ich bin. Schizoidität ist in diesem Jahrhundert sehr verbreitet, so wie im neunzehnten Jahrhundert die Hysterie. Es ist eine tiefe, innere Entfremdung. Ich wünschte, ich wäre nicht so, aber ich bin es nun mal. Du hast Glück, Louis, du bist in diesem Sinne altmodisch. Ich würde gerne mit dir tauschen. Und es tut mir leid, wenn dich meine Sprache in Sachen Sex verschreckt hat. Ich bin da sehr unbeholfen.«

»Nicht unbeholfen. Schlimmer. Unmenschlich. Du würdest… ich weiß, was du tun würdest. Wenn du Geschlechtsverkehr mit jemandem hättest, würdest du alles beobachten, die ganze Zeit lang. Sämtliche Aspekte. Ganz bewusst.«

»Ist das ein Fehler? Ich dachte, das machen alle so.«

»Gute Nacht, Pris.«

»Gute Nacht, Feigling.«

»Leck mich.«

»Ach, Louis.« Ihre Stimme bebte.

»Entschuldige.«

»Wie kannst du nur so etwas Schreckliches sagen?«

»Verzeih mir. Ich habe meine Zunge nicht mehr ganz unter Kontrolle.«

Sie nickte stumm. Dann ließ sie den Motor an.

»Fahr jetzt nicht weg, Pris. Hör zu, sieh es einfach als einen verrückten unterbewussten Versuch meinerseits, eine Verbindung zu dir herzustellen. Dein Gerede – wie du dich dazu bringst, Sam Barrows noch mehr zu verehren als vorher –, das hat mich wahnsinnig gemacht. Ich habe dich sehr gern, wirklich. Mitzuerleben, wie du dich für einen Augenblick einer warmen, menschlichen Sichtweise öffnest…«

»Danke, Louis. Dafür, dass du versuchst, mich aufzumuntern.« Sie schenkte mir ein Lächeln.

»Lass nicht zu, dass dich das hier noch mehr runterzieht.«

»Wird es schon nicht. Tatsächlich hat es mich kaum getroffen.«

»Komm mit mir rein.«

»Nein. Weißt du, wir stehen einfach alle unter großem Druck. Mir ist klar, dass ich dich verärgert habe. Dass ich solche ungeschickten Worte benutze, liegt einfach daran, dass ich es nicht besser weiß. Niemand hat mir je beigebracht, wie man über solche Sachen spricht.«

»Das wirst du schon lernen, keine Sorge. Aber, Pris, du musst mir etwas versprechen. Versprich mir, dass du vor dir selbst nicht leugnest, dass ich dich verletzt habe. Es ist gut, fühlen zu können, was du gerade eben gefühlt hast.«

»Du meinst, es ist gut, verletzt zu werden?«

»Nein. Ich meine, es ist ermutigend. Die Tatsache, dass du durch das, was ich gesagt habe, eine so intensive Verletzung erfahren hast…«

»Einen Scheiß habe ich.«

»Hast du wohl. Mach dir nichts vor.«

»Okay, Louis.« Sie ließ den Kopf hängen. »Du hast ja recht.«

Ich öffnete die Wagentür. »Komm mit rein, Pris.«

Sie schaltete den Motor ab und stieg aus. Ich nahm sie am Arm.

»Ist das der erste Schritt zu körperlichen Freuden?«, fragte sie.

Ich lächelte sanft.

»Weißt du, ich möchte nur darüber reden können, ich will es gar nicht tun. Wir werden einfach nebeneinandersitzen, und dann fahre ich nach Hause. Das ist für uns beide das Beste.«

Wir betraten das kleine Motelzimmer. Ich schaltete das Licht ein, drehte die Heizung auf und machte den Fernseher an.

»Wieso das denn? Damit uns niemand stöhnen hört?« Sie schaltete den Fernseher wieder ab. »Das ist nicht nötig, ich stöhne immer ganz leise.« Sie zog den Mantel aus und gab ihn mir. »Wo soll ich sitzen. Hier?« Sie setzte sich auf einen Stuhl, faltete die Hände im Schoß und sah mich feierlich an. »Wie ist das? Was soll ich noch ausziehen? Die Schuhe? Alles, was ich anhabe? Oder willst du das übernehmen? Wenn ja, mein Rock hat keinen Reißverschluss, man muss ihn aufknöpfen. Aber pass auf, dass du nicht zu sehr ziehst, sonst geht der oberste Knopf ab und ich muss ihn nachher wieder annähen.« Sie neigte sich zur Seite. »Hier sind die Knöpfe, siehst du.«

»Das ist alles sehr interessant, Pris.«

»Weißt du, was toll wäre?« Ihre Augen leuchteten auf. »Wenn du uns koscheres Cornedbeef und jüdisches Brot und Bier und zum Nachtisch ein bisschen Halvah besorgst. Dieses dünn geschnittene Cornedbeef für zwei fünfzig das Pfund.«

»Würde ich gern machen. Aber das kriegt man hier im Umkreis von über hundert Meilen nicht.«

»Kriegt man es nicht in Boise?«

»Nein. Außerdem ist es längst zu spät für koscheres Cornedbeef. Ich meine nicht zu spät am Abend. Ich meine zu spät in unserem Leben.« Ich setzte mich ihr gegenüber, zog den Stuhl dicht an sie heran und ergriff ihre Hände. Sie waren trocken und fest. Von ihrem Fliesenzerschneiden hatte sie sehnige Arme und starke Finger bekommen. »Lass uns abhauen, Pris. Nach Süden fahren und nie mehr wiederkommen. Weit weg von den Simulacra, weit weg von Sam Barrows.«

»Nein. Sam Barrows ist unser Schicksal, siehst du das nicht? Wir können ihm nicht entkommen.«

»Na schön. Wenn das so ist.«

»Du verhältst dich manchmal wie ein kleines Kind, das vom Leben noch nichts mitbekommen hat.«

»Nun, ich habe hier und da kleine Stücke aus der Wirklichkeit herausgehackt und mich mit ihnen vertraut gemacht. Ungefähr so wie ein Schaf, das einen bestimmten Weg durch das Weideland findet und dann nie wieder von ihm abweicht.«

»Und das gibt dir ein Gefühl von Sicherheit?«

»Ich fühle mich meistens sicher. Nur in deiner Nähe nie.«

Sie nickte. »Für dich bin ich das ganze Weideland.«

»So kann man es sagen.«

Sie lachte unvermittelt auf. »Das ist ja, als würde man mit Shakespeare schlafen. Du wirst zwischen meinen lieblichen Hügeln und Tälern weiden und grasen, vor allem in meinem duftenden Wiesengrund, du weißt schon, wo sich Wildfarne und Gräser in Fülle wiegen. Ich brauche es nicht deutlicher zu sagen, oder?« Ihre Augen blitzten. »Jetzt zieh mich um Himmels willen aus oder versuch es wenigstens.«

»Nein.«

»Haben wir die Poesie-Phase nicht längst hinter uns? Können wir uns das nicht ersparen und einfach zur Sache kommen?« Sie begann, ihren Rock aufzuknöpfen, aber ich hielt sie zurück.

»Ich kann es einfach nicht, Pris. Das hier ist mir alles viel zu hoch. Ich fühle mich, als hätte ich mich in einem dunklen Wald verlaufen. Das Einzige, was ich gerade hinkriegen würde, wäre dich zu küssen. Auf die Wange vielleicht, wenn es dir recht ist.«

»Du bist alt, daran liegt es. Du gehörst einer sterbenden Welt an.« Sie beugte sich vor. »Aber um dir eine Freude zu machen, erlaube ich dir, dass du mich küsst.«

Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange.

»Und wenn du die Wahrheit wissen willst – die Wildfarne und Gräser schwanken gar nicht in Fülle. Da gibt es eine Handvoll Wildfarne und vielleicht vier Grashalme, und das war’s. Ich bin kaum erwachsen, Louis. Ich habe erst vor einem Jahr angefangen, einen BH zu tragen, und manchmal vergesse ich ihn heute noch. Ich brauche eigentlich gar keinen.«

»Kann ich dich auf den Mund küssen?«