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»Nein, das wäre zu intim.«

»Du kannst ja die Augen zumachen.«

»Dann machen wir lieber das Licht aus.« Sie entzog mir ihre Hände, stand auf und ging zum Lichtschalter.

»Warte. Ich habe das Gefühl, dass gleich etwas Schreckliches passieren wird.«

»Tut mir leid, Louis. Ich kann jetzt nicht aufhören.« Sie machte das Licht aus.

»Hör zu, ich fahre nach Portland und hole das koschere Cornedbeef. Was meinst du?«

»Wo kann ich meinen Rock hintun?«, kam ihre Stimme aus der Dunkelheit. »Damit er nicht verknittert.«

»Das ist alles nur ein verrückter Traum.«

»Nein, es ist das Glück. Erkennst du das Glück nicht, wenn es dir begegnet? Komm, hilf mir, meine Sachen aufzuhängen. Ich muss in einer Viertelstunde gehen.«

Ich hörte, wie sie im Dunklen herumraschelte, ihre Sachen auszog, nach dem Bett tastete. »Es gibt kein Bett, Pris.«

»Dann auf dem Fußboden.«

»Da schürfst du dir die Knie auf.«

»Ich doch nicht. Du.«

»Ich leide an einer Phobie. Ich muss es bei Licht machen oder ich bekomme die Angstvorstellung, dass ich mit einem Ding schlafe, das aus Draht und Klaviersaiten und der alten orangen Steppdecke meiner Großmutter besteht.«

Pris lachte. »Das bin ich. Das beschreibt perfekt mein Wesen. Ich hab dich gleich.« Sie stieß irgendwo an. »Du entkommst mir nicht.«

»Hör auf. Ich mach jetzt das Licht an.« Ich fand den Schalter, drückte ihn, und auf einmal war das Zimmer wieder da und vor mir stand eine vollständig bekleidete Frau. Pris hatte sich gar nicht ausgezogen. Ich starrte sie verblüfft an.

»Reingelegt. Ich wollte dich im letzten Moment abblitzen lassen, wollte dein Begehren auf die Spitze treiben und dann…« Sie schnippte mit den Fingern. »Gute Naahacht.«

Ich versuchte zu lächeln.

»Lass dich bloß nicht gefühlsmäßig auf mich ein. Sonst breche ich dir das Herz.«

»Wieso einlassen?« Meine Stimme klang erstickt. »Ist doch alles nur ein Spielchen, das die Leute im Dunkeln treiben. Ich wollte mir bloß was aufreißen, wie man so sagt.«

»Diese Redewendung kenne ich nicht.« Sie sah mich kühl an. »Aber ich verstehe ihren Sinn.«

»Jetzt mal was anderes. In Boise gibt es doch koscheres Cornedbeef zu kaufen. Ich hätte es die ganze Zeit ohne Probleme besorgen können.«

»Du mieser Kerl.«

»Da rieselt Sand unter der Tür durch.«

»Was?« Sie sah sich um. »Wovon sprichst du?«

»Wir sind hier gefangen. Irgendjemand hat einen Sandhaufen über uns ausgeschüttet, wir kommen hier nie wieder raus.«

»Hör auf damit!«

»Weißt du, du hättest mir nie etwas anvertrauen sollen.«

»Ja, weil du es dann gegen mich benutzt. Um mich zu quälen.«

»Bin nicht ich es, der gequält wurde?«

»Jetzt gerade, meinst du? O Mann, vielleicht wäre ich ja gar nicht rausgerannt. Vielleicht wäre ich geblieben.

Ich hatte mich noch nicht entschieden. Es hätte von dir abgehangen, von deinem Talent. Ich erwarte eine Menge. Ich bin sehr idealistisch.« Sie zog ihren Mantel an.

»Wir ziehen uns wieder an, ohne uns überhaupt erst ausgezogen zu haben.«

»Jetzt bereust du es, was? Reue – für mehr bist du nicht gut.«

»Ich könnte auch ein paar Gemeinheiten über dich sagen.«

»Wirst du aber nicht. Weil du weißt, dass ich dann so scharf zurückschießen würde, dass du auf der Stelle tot wärst.«

Ich konnte nur mit den Schultern zucken.

»Es war also doch Angst.« Pris öffnete die Tür und ging zu ihrem Auto hinunter.

»Angst, genau.« Ich lief ihr nach. »Angst, die auf dem Wissen gründet, dass so etwas aus dem Einverständnis zweier Menschen erwachsen muss. Das kann nicht der eine dem anderen aufzwingen.«

»Angst vor dem Gefängnis, meinst du.« Sie stieg in das Auto. »Was du hättest tun sollen, was ein richtiger Mann getan hätte, wäre mich zu packen und zum Bett zu schleifen, ohne auch nur ansatzweise darauf zu hören, was ich sage.«

»Wenn ich das gemacht hätte, hättest du gar nicht mehr aufgehört, dich zu beklagen. Erst bei mir, dann bei Maury, dann bei der Polizei.«

Darauf schwiegen wir beide.

»Jedenfalls habe ich dich geküsst«, sagte ich schließlich.

»Aber nur auf die Wange.«

»Auf den Mund.«

»Du lügst.«

»Für mich war es der Mund.« Ich schloss die Autotür.

Sie kurbelte das Fenster hinunter. »So legst du dir das alles also zurecht.«

»Ja, ich werde die Erinnerung daran immer bewahren. In meinem Herzen.« Ich legte eine Hand auf die Brust.

Pris ließ den Motor an, schaltete das Licht ein und fuhr davon.

Einen Moment lang stand ich da, dann ging ich zurück in mein Motelzimmer. Wir drehen langsam durch, dachte ich. Wir sind so demoralisiert, dass wir nicht mehr können. Wir müssen uns Barrows unbedingt vom Hals schaffen. Pris – die arme Pris hat es am schlimmsten erwischt. Und zwar durch das Abschalten der Lincoln. Das war der Wendepunkt.

Am nächsten Morgen strahlte die Sonne warm ins Zimmer, und ich fühlte mich schon beim Aufwachen besser. Und dann, nach einem Frühstück im Motelrestaurant mit Eierkuchen und Schinken und Kaffee und Orangensaft, nach dem Zeitunglesen, fühlte ich mich so gut wie neu.

Da kann man mal sehen, was ein Frühstück so vermag, sagte ich mir. Bin ich wieder ein gesunder Mensch? Nein. Uns geht es besser, aber geheilt sind wir noch nicht. Weil wir davor ja auch nicht gesund gewesen sind, und man kann nicht gesund werden, wenn man nie gesund gewesen ist.

Was ist das für eine Krankheit? Pris hat sie in fast tödlichem Ausmaß gehabt. Und dann fiel ihr Hauch auf mich, sie drang in mich ein, ging nicht mehr weg. Dann kamen Maury und Barrows und nach ihm alle anderen bis hin zu meinem Vater; mein Vater hat sie sich als Letzter eingefangen. Vater! Ich hatte es ganz vergessen – er war auf dem Weg hierher.

Ich ging nach draußen und winkte mir ein Taxi.

Ich kam als Erster im Büro von MASA Associates an. Einige Minuten später sah ich durch das Fenster Pris aus ihrem Auto aussteigen. Sie trug ein blaues Baumwollkostüm und eine langärmelige Bluse; ihre Haare waren hochgesteckt, ihr Gesicht glänzte frisch gewaschen.

Als sie das Büro betrat, lächelte sie mich an. »Tut mir leid, wenn ich gestern das Falsche gesagt habe. Vielleicht nächstes Mal.«

»Nicht weiter schlimm.«

»Bist du sicher, Louis?«

»Ja.« Ich erwiderte ihr Lächeln.

Die Tür ging auf, und Maury kam herein. »Ich bin gut drauf. Lasst uns diesem Schweinehund Barrows das Fell über die Ohren ziehen.«

Gleich nach ihm kam mein Vater, in dunklem Nadelstreifenanzug. Er begrüßte Pris, dann wandte er sich Maury und mir zu. »Ist er schon da?«

»Nein, Vater. Aber er müsste jeden Moment kommen.«

»Ich finde, wir sollten die Lincoln wieder einschalten«, sagte Pris. »Wir sollten keine Angst vor Barrows haben.«

Ich nickte. »Finde ich auch.«

»Nein«, erwiderte Maury. »Und ich sag euch auch, warum. Sie regt Barrows’ Appetit an.«

Ich sah ihn an. »Na gut, lassen wir sie abgeschaltet. Barrows kann sie ruhig mit seinen Fäusten bearbeiten. Er wird ohnehin nur von Habgier getrieben.« Und wir, dachte ich, werden nur von Angst getrieben; hinter etlichen unserer Handlungen der letzten Zeit hat Angst gesteckt, nicht gesunder Menschenverstand…

Es klopfte an der Tür.

»Da ist er.«

Die Tür öffnete sich, und dort standen Sam K. Barrows, David Blunk, Colleen Nild und die düstere Gestalt von Edwin M. Stanton.

»Sie war gerade auf dem Weg hierher«, dröhnte Blunk vergnügt. »Da haben wir sie in unserem Taxi mitgenommen.«

Die Stanton-Maschine sah uns säuerlich an.

Großer Gott, schoss es mir durch den Kopf. Damit hat keiner von uns gerechnet. Verändert das nun alles?

Ich hatte keine Ahnung. Aber wir konnten jetzt keinen Rückzieher mehr machen. Jetzt ging es um alles.