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Ein paar Tage später stolperte ich über einen weiteren Artikel in einer Seattler Zeitung, diesmal vor Maury.

 Miss Pristine Womankind, das faszinierende junge Starlet mit dem rabenschwarzen Haar, eine Entdeckung von Barrows Enterprises, wird für die Überreichung des goldenen Baseballs an die Champions der Little League zur Verfügung stehen. Das erklärte Irving Kahn, der Pressesprecher von Mr. Barrows, heute gegenüber Vertretern der Nachrichtenagenturen. Da noch ein Entscheidungsspiel der Little League aussteht, ist offen, wer…

Also beschäftigte Barrows neben Blunk und der übrigen Meute auch noch einen Presseagenten. Er hielt seinen Teil des Handels ein, worauf auch immer sie sich geeinigt hatten, daran bestand kein Zweifel. Und ich bezweifelte ebenso wenig, dass auch Pris ihren Teil einhielt. Sie ist in guten Händen, sagte ich mir. Vermutlich gibt es in den USA niemanden, der geeigneter wäre, ihr zu geben, was sie sich vom Leben verspricht.

Der Artikel trug die Überschrift OBERLIGA ZEICHNET DEN NACHWUCHS AUS, womit Pris jetzt ›Oberliga‹ war. Die weitere Lektüre ergab, dass Barrows für die Trikots der Little-League-Mannschaft aufgekommen war, die aller Voraussicht nach den goldenen Baseball gewinnen würde – überflüssig zu erwähnen, dass er auch den goldenen Baseball selbst sponserte.

Ja, ich hatte keinen Zweifel, dass Pris sehr zufrieden war. Schließlich hatte Jayne Mansfield in den 50ern auch als ›Miss Gerader Rücken‹ angefangen; ihre Wahl durch die amerikanischen Chiropraktiker war ihr erster öffentlicher Auftritt gewesen. Und sie hatte damals eine fast schon krankhafte Neigung zu gesunder Ernährung gehabt.

Schauen wir also mal, was für Pris drin ist, dachte ich. Als Erstes überreicht sie einer Schulmannschaft den goldenen Baseball, und von da an steigt sie rasch auf. Vielleicht verschafft ihr Barrows eine Strecke mit Aktfotos in Life, das ist durchaus drin, sie bringen ja jede Woche eine. Das würde ihren Bekanntheitsgrad sprunghaft ansteigen lassen. Dann könnte sie kurz Präsident Mendoza heiraten. Er ist schon wie oft verheiratet gewesen? Einundvierzigmal, manchmal kaum länger als eine Woche. Oder sich zumindest zu einer der Partys im Weißen Haus einladen lassen oder auf die Hochseeyacht des Präsidenten oder auf seinen luxuriösen Feriensatelliten. Aber am besten zu einer Party; die Schönheiten, die dort aufmarschieren, haben eine goldene Zukunft vor sich, ihnen stehen alle möglichen Karrieren offen, vor allem im Showbereich. Denn wenn Präsident Mendoza sie will, dann will sie auch jeder andere Mann in den USA; schließlich hat der Präsident der Vereinigten Staaten, wie jedermann weiß, nicht nur einen unglaublich erlesenen Geschmack, sondern auch die erste Wahl an…

Ich machte mich selbst verrückt mit diesen Gedanken.

Eine Woche später entdeckte ich Pris beim Durchblättern der Fernsehzeitschrift. Sie trat tatsächlich in der Show auf, die von Barrows’ Hundefutterfabrik gesponsert wurde. Dem Programm zufolge spielte sie die Assistentin in einer Messerwerfernummer; brennende Messer wurden auf sie geworfen, während sie den Lunar Fling tanzte und dabei einen dieser neuen durchsichtigen Badeanzüge trug. Die Szene war in Schweden gedreht worden – solche Badeanzüge sind an den Stränden der USA nach wie vor verboten.

Ich erzählte Maury nichts davon, doch er stolperte selbst darüber. Einen Tag vor der Sendung rief er mich zu sich und zeigte mir die Zeitschrift. Dort war auch ein kleines Foto von Pris abgedruckt, nur ihr Kopf und die Schultern. Es war jedoch so aufgenommen, dass man den Eindruck hatte, sie sei nackt. Wir starrten es beide grimmig an. Aber es gab nichts daran zu rütteln – sie sah glücklich aus. Im Hintergrund waren grüne Hügel und Wasser zu sehen. Und davor diese lachende, schwarzhaarige, schlanke junge Frau, voller Leben und Begeisterung und Energie. Voller… Zukunft.

Ja, die Zukunft gehört ihr, wurde mir beim Betrachten des Fotos klar. Ob sie nun nackt auf einem Ziegenhaarteppich für Life posiert oder ein Wochenende lang die Geliebte des Präsidenten spielt oder wild im Fernsehen tanzt, während brennende Messer auf sie geschleudert werden – sie ist immer noch authentisch, so schön wie die Hügel und der Ozean, und niemand kann das zerstören oder beschädigen, wie wütend und elend er sich auch fühlen mag. Was haben Maury und ich denn zu bieten? Was können wir ihr geben? Nur etwas, das nach gestern, nach der Vergangenheit riecht. Nach Alter und Sorge und Tod.

»Ich glaube, ich flieg mal nach Seattle«, sagte ich.

Maury erwiderte nichts; er las zum tausendsten Mal den Text in der Fernsehzeitschrift.

»Ich mache mir ehrlich gesagt nichts mehr aus Simulacra. Tut mir leid, das sagen zu müssen, aber so ist es nun mal. Ich möchte einfach nur nach Seattle und schauen, wie es ihr geht. Vielleicht komme ich danach…«

»Du kommst nicht wieder. Und sie auch nicht.«

»Vielleicht doch.«

»Wollen wir wetten?«

Ich hielt zehn Dollar dagegen. Mehr konnte ich nicht tun – es nutzte nichts, ihm ein Versprechen zu geben, das ich womöglich nicht halten konnte.

»Das ist das Ende von R & R Associates«, murmelte er.

»Vielleicht. Aber ich muss trotzdem dorthin.«

Am gleichen Abend noch packte ich meine Sachen und buchte für den nächsten Morgen einen Raketenflug nach Seattle. Jetzt konnte mich nichts mehr aufhalten; ich machte mir nicht einmal die Mühe, Maury anzurufen und ihm Bescheid zu sagen. Wozu auch? Er konnte ja doch nichts ausrichten.

Meine .45er aus der Militärzeit war zu groß, also packte ich stattdessen eine kleinere Pistole ein, eine .38er. Ich wickelte sie in ein Handtuch und legte eine Schachtel Munition dazu. Ich war nie ein besonders guter Schütze gewesen, doch in einem Raum normaler Größe traf ich ein menschengroßes Ziel. Und wenn alles schiefging – meinen eigenen Kopf würde ich ganz bestimmt treffen.

Da es nichts mehr zu tun gab, machte ich es mir mit ›Marjorie Morningstar‹ gemütlich, das mir Maury geliehen hatte. Vermutlich war es dasselbe Exemplar, das Pris damals gelesen hatte. Durch die Lektüre hoffte ich einen tieferen Einblick in ihre Psyche zu bekommen.

Am nächsten Morgen stand ich früh auf, rasierte mich, nahm ein leichtes Frühstück zu mir und machte mich auf den Weg zum Flughafen.

Dreizehn

Wenn Sie wissen wollen, wie San Francisco ohne das Erdbeben und das Feuer ausgesehen hätte, müssen Sie nach Seattle fahren – eine alte Hafenstadt, die auf Hügeln errichtet wurde, mit Straßen wie Schluchten, durch die der Wind pfeift. Außer der öffentlichen Bibliothek ist nichts modern, und in den Slums sieht man Kopfsteinpflaster und roten Backstein wie in Teilen von Pocatello, Idaho. Die Slums ziehen sich meilenweit hin und wimmeln von Ratten. Im Zentrum, in der Nähe der großen Hotels, gibt es ein blühendes Einkaufsviertel. Der Wind bläst von Kanada herüber, und wenn die Boeing 900 auf dem Sea-Tac-Flugplatz landet, erhascht man einen Blick auf die Berge, aus denen er kommt. Sie sind furchterregend.

Am Flughafen nahm ich ein Taxi. Die Fahrerin kroch mehrere Meilen im Schneckentempo durch den Verkehr, bis wir endlich das Olympus erreicht hatten, ein typisches Großstadthotel mit Einkaufspassage im Untergeschoss und zahllosen Speisesälen. Tatsächlich war es eine Welt für sich, eine gelb beleuchtete Welt aus Teppichen, altem versiegeltem Holz, gut angezogenen und munter plaudernden Menschen, Fluren und Aufzügen sowie Zimmermädchen, die alles fleißig sauber hielten.

Auf meinem Zimmer machte ich das Radio an, sah kurz aus dem Fenster zur Straße hinunter, stellte die Belüftung ein, zog die Schuhe aus und schlurfte auf dem Teppichboden umher. Dann öffnete ich den Koffer und machte mich ans Auspacken. Vor einer Stunde war ich noch in Boise gewesen; jetzt befand ich mich an der Westküste, an der Grenze zu Kanada. Das war besser als Autofahren – ich war von der einen Stadt direkt in die nächste gelangt, ohne das platte Land dazwischen ertragen zu müssen. Nichts hätte mich mehr freuen können.