»Du als mein Schwiegersohn? Du denkst, ich habe sie zur Welt gebracht, damit sie dich heiraten kann? Ich lach mich tot. Du bist ein Niemand! Scher dich fort!«
Ich war wie betäubt. »Ich… ich will sie heiraten.«
»Hast du Pris gesagt, dass du sie heiraten willst?«
»Nein, noch nicht.«
»Sie wird dir ins Gesicht spucken.«
»Na und.«
»Na und? O Mann, du hast sie wirklich nicht mehr alle. Ich werde mit der Lincoln besprechen, wie ich unsere Partnerschaft für immer beenden kann.«
Das Telefon klickte; er hatte aufgelegt.
Ich konnte es nicht fassen. Ich saß auf dem Bett und starrte zu Boden. Also war Maury genau wie Pris hinter dem Geld her, wollte wie sie ganz nach oben. Nun, von irgendwoher musste sie es ja haben…
Was mache ich jetzt?, fragte ich mich. Wenn ich mir eine Kugel durch den Kopf jage, sind alle zufrieden. Sie kommen bestens ohne mich zurecht.
Doch die Stimme in meinem Kopf, die Stimme meiner Instinkte, sagte Nein. Mach sie alle fertig, sagte sie. Die ganze Bagage – Pris und Maury, Barrows, Stanton, die Lincoln. Steh auf und kämpfe.
Ein Schock, so etwas von seinem Partner zu erfahren: Wie er wirklich über einen denkt, wie er einen insgeheim sieht. Was für eine furchtbare Sache – die Wahrheit.
Kein Wunder, dass er sich auf dieses Babysitter-Simulacrum gestürzt hat; er ist froh, dass seine Tochter abgehauen ist, um Sam Barrows’ Geliebte zu werden. Er hat das Buch auch gelesen: ›Marjorie Morningstar‹.
Jetzt wusste ich, wie die Welt funktioniert. Wie die Menschen tickten. Was ihnen das Wichtigste im Leben war. Und es genügte, um auf der Stelle tot umzufallen oder sich einweisen zu lassen.
Aber ich gebe nicht auf, sagte ich mir. Ich will Pris, sie gehört zu mir. Mir doch egal, was Maury oder Barrows oder sonstwer davon halten. Mir egal, welchen Götzen sie hinterherhecheln. Ich weiß, was mir meine innere Stimme sagt: Hol Pris von ihnen weg und heirate sie. Sie war von Anfang an dazu bestimmt, die Frau von Mr. Louis Rosen aus Ontario, Oregon zu werden.
Ich griff zum Hörer und wählte.
»Northwest Electronics. Guten Morgen.«
»Geben Sie mir noch mal Mr. Barrows. Louis Rosen hier.«
Pause, dann: »Mr. Barrows’ Büro.«
»Geben Sie mir Barrows.«
»Mr. Barrows ist nicht im Hause. Mit wem spreche ich?«
»Louis Rosen. Richten Sie Mr. Barrows aus, er soll Miss Frauenzimmer…«
»Wen?«
»Miss Womankind. Sagen Sie Barrows, er soll sie mit einem Taxi zu mir ins Motel schicken.« Ich gab die Adresse durch. »Sagen Sie ihm, er soll sie auf gar keinen Fall in ein Flugzeug nach Boise setzen. Sagen Sie ihm, dass ich sonst komme und sie hole.«
»Ich kann ihm nichts sagen, weil er nicht hier ist. Er ist nach Hause gefahren.«
»Dann rufe ich ihn eben zu Hause an.« Ich drückte die Gabel und wählte die Nummer von gestern Nacht.
Pris ging ran.
»Ich bin’s. Louis. Louis Rosen.«
»Du meine Güte! Wo bist du? Du klingst so nahe.« Sie wirkte nervös.
»Ich bin in Seattle. Ich bin hier, um dich vor Sam Barrows zu retten.«
»Mein Gott!«
»Hör zu, Pris. Bleib, wo du bist. Ich komme gleich vorbei. Ja? Hast du verstanden?«
»Nein, Louis.« Ihre Stimme wurde hart. »Ich habe heute Morgen mit Horstowski gesprochen. Er hat mich vor dir und deinen Wutanfällen gewarnt.«
»Sag Barrows, er soll dich in ein Taxi setzen und hierher schicken.«
»Ich dachte eigentlich, dass Sam anruft.«
»Wenn du nicht mitkommen willst, bring ich dich um.«
»Ha! Versuch’s doch, du Widerling.«
Ich war wie vor den Kopf geschlagen. »Pris, ich…«
»Du Prolet. Du Schwachkopf. Geh zum Teufel, wenn du denkst, du kannst hier mal eben ein Stück vom Kuchen abkriegen. Ich weiß genau, was du willst. Ihr Idioten kriegt es ohne mich nicht hin, ein Simulacrum zu designen, stimmt’s? Also wollt ihr mich zurückhaben. Aber wenn du hier aufkreuzst, mach ich eine Riesenszene und behaupte, dass du mich vergewaltigt hast, und dann wanderst du für den Rest deines Lebens ins Gefängnis. Also denk lieber noch mal darüber nach.«
»Ich liebe dich, Pris.«
»Ach, geh dir was fürs Bett suchen. Und nenn mich nicht Pris. Ich heiße Pristine, Pristine Womankind. Jetzt tu mir den Gefallen und flieg zurück nach Boise und spiel weiter mit deinen armseligen kleinen Simulacra herum, ja?« Sie wartete, doch mir fiel nichts ein, was ich hätte erwidern können, jedenfalls nichts, das es wert war, ausgesprochen zu werden. »Lebwohl, du jämmerlicher Niemand. Und bitte nerv mich zukünftig nicht mehr mit deinen Anrufen. Heb sie dir für irgendeine Tussi auf, die von dir betatscht werden will. Falls du es überhaupt hinkriegst, eine aufzutreiben, die billig genug ist.« Ein Klicken – sie hatte aufgelegt.
Ich zitterte, bebte vor Erleichterung, endlich vom Telefon, von ihr weggekommen zu sein. Weg von dieser schneidenden, anklagenden, vertrauten Stimme.
Pris, dachte ich, ich liebe dich. Aber warum? Was habe ich getan, dass ich so von dir angezogen werde? Was für ein verrückter Trieb ist das?
Ich setzte mich aufs Bett und schloss die Augen.
Vierzehn
Mir blieb also nichts anderes übrig, als nach Boise zurückzukehren.
Ich war besiegt worden – nicht vom mächtigen Sam K. Barrows, auch nicht von meinem Partner Maury Rock, sondern von der achtzehnjährigen Pris. Es hatte keinen Sinn, länger in Seattle zu bleiben.
Was lag vor mir? Zurück zu R & R Associates, mich wieder mit Maury versöhnen, da weitermachen, wo ich aufgehört hatte. Zurück zur Arbeit an dem Bürgerkriegs-Babysitter, zur Arbeit für den stets schlecht gelaunten Edwin M. Stanton. Zurück zu den endlosen Lesungen des Lincoln-Simulacrums aus ›Winnie Pu‹ und ›Peter Pan‹. Der Geruch von Corina-Lark-Zigarren und ab und an der süßere Duft der A & Cs meines Vaters. Die Welt, die ich verlassen hatte, die Elektroorgel- und Kleinklavierfabrik in Boise und unser Büro in Ontario… Aber es bestand immer noch die Möglichkeit, dass Maury mich nicht zurückkommen ließ, dass es ihm ernst damit war, die Partnerschaft zu beenden. Vielleicht konnte ich also nicht einmal mehr dem entgegensehen.
War jetzt der Moment gekommen, die .38er herauszuholen und mir die Schädeldecke wegzupusten?
Ich spürte, wie sich der Stoffwechsel meines Körpers beschleunigte und wieder verlangsamte, beschleunigte, wieder verlangsamte. Ich griff haltsuchend um mich. Pris hatte mich eingefangen und im selben Moment wieder weggeworfen. Es war, als würde ein Magnet Teilchen anziehen und zugleich abstoßen; ich war in einer tödlichen Schwingung gefangen. Während Pris einfach weitermachte, ohne irgendetwas davon zu merken.
Der Sinn meines Lebens war mir nun klar. Ich war dazu verdammt, ein grausames, kaltes, steriles Etwas zu lieben – Pris Frauenzimmer. Es wäre besser gewesen, die ganze Welt zu hassen.
Die Lage war hoffnungslos, und doch entschloss ich mich zu einer allerletzten Maßnahme. Bevor ich aufgab, wollte ich die Lincoln um Rat fragen. Sie hatte mir schon einmal geholfen – vielleicht konnte sie mir auch jetzt helfen. Ich griff zum Hörer.
»Hier ist noch mal Louis«, sagte ich, als ich Maury dran hatte. »Kannst du bitte jetzt gleich die Lincoln zum Flughafen fahren und in eine Rakete nach Seattle setzen? Ich möchte sie mir für vierundzwanzig Stunden ausleihen.«
Ein hitziger Wortwechsel folgte, doch am Ende gab er nach; als ich auflegte, hatte ich sein Versprechen, dass die Lincoln noch vor Einbruch der Dunkelheit in der Boeing 900 nach Seattle sitzen würde.
Erschöpft legte ich mich hin und dachte: Jetzt holen wir unsere Investition zumindest teilweise wieder herein. Die Lincoln hat uns eine Stange Geld gekostet, und nun sitzt sie den ganzen Tag nur herum, liest aus Kinderbüchern vor und kichert sich eins.