Der Jaguar hielt vor dem Haus meiner Familie. Ich’ konnte Licht im Haus sehen, im Wohnzimmer; meine Mutter, mein Vater, mein Bruder sahen fern.
»Schicken wir die Edwin M. Stanton allein die Treppe hinauf«, sagte Maury. »Sie soll an der Tür klopfen, und wir bleiben im Auto sitzen und sehen zu.«
»Mein Vater wird sie als Fälschung erkennen, eine Meile gegen den Wind. Gut möglich, dass er sie sogar die Treppe hinunterwirft, und dann bist du die sechshundert los, die du in das Ding gesteckt hast.« Oder wie viel Maury doch noch gleich investiert hatte auf MASA-Kosten.
»Das Risiko gehe ich ein.« Er wandte sich um, sah die Maschine an. »Gehen Sie hoch zu der Tür, auf der 1429 steht, und läuten Sie. Und wenn ein Mann aufmacht, sagen Sie: ›Nun gehört er der Ewigkeit an.‹ Und dann bleiben Sie einfach dort stehen.«
»Was soll das denn bedeuten?«, fragte ich. »Was für eine Gesprächseröffnung soll das sein?«
»Das ist Stantons berühmter Kommentar, der in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Bei Lincolns Tod.«
»Nun gehört er der Ewigkeit an«, übte die Stanton, während sie den Gehweg überquerte und die Stufen hinaufging.
»Ich werde dir zu gegebener Zeit erklären, wie die Edwin M. Stanton konstruiert ist«, sagte Maury zu mir. »Wie wir das gesamte verfügbare Datenmaterial über Stanton zusammengestellt und es an der Universität von Los Angeles in die Zentralmonade eingespeist haben, die dem Simulacrum als Gehirn dient.«
»Weißt du eigentlich, was du da tust, Maury? Du ruinierst MASA mit diesen Spielchen, mit diesem hirnverbrannten Blödsinn. Ich hätte mich nie mit dir einlassen sollen. Ich…«
»Ruhig«, unterbrach mich Maury, als die Stanton an der Tür klingelte.
Die Tür ging auf, und mein Vater erschien, in Pyjamahosen, Pantoffeln und dem neuen Bademantel, den ich ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. Zweifellos eine ehrfurchtgebietende Gestalt.
Die Edwin M. Stanton, die schon zu ihrer kleinen Rede angesetzt hatte, stockte. »Sir«, sagte sie schließlich, »ich habe die Ehre, Ihren Sohn Louis zu kennen.«
»Ah ja«, erwiderte mein Vater. »Er ist im Moment unten in Santa Monica.«
Die Edwin M. Stanton schien nicht zu wissen, was Santa Monica war. Neben mir fluchte Maury verzweifelt; ich hingegen fand es urkomisch, wie das Simulacrum dort stand – wie ein trotteliger Handelsvertreter, dem nichts zu sagen einfiel.
Trotzdem war es beeindruckend zu sehen, wie die beiden alten Herren einander gegenüberstanden: die Stanton mit ihrem weißen Kinnbart, in ihrer altmodischen Kleidung, und mein Vater, der auch nicht viel neuer aussah. Das Zusammentreffen der Patriarchen, dachte ich. Wie in der Synagoge.
Nach einer Weile sagte mein Vater: »Wollen Sie nicht hereinkommen?« Er hielt die Tür auf, die Stanton trat ein, die Tür ging zu, und die erleuchtete Veranda war wieder leer.
Verdutzt sah ich Maury an. »Was sagt man dazu?«
Wir folgten den beiden. Die Haustür war nicht abgeschlossen, also gingen wir hinein.
Die Stanton saß im Wohnzimmer, in der Mitte des Sofas, die Hände auf den Knien, und unterhielt sich mit meinem Vater, während Chester und meine Mutter weiter fernsahen.
»Dad«, sagte ich, »du verschwendest nur deine Zeit, wenn du mit diesem Ding sprichst. Weißt du, was das ist? Eine Maschine, die Maury in seinem Keller zusammengebastelt hat.«
Mein Vater und die Stanton hielten inne und sahen mich an.
»Dieser nette alte Herr?« Das Gesicht meines Vaters nahm einen Ausdruck rechtschaffenen Zorns an, seine Brauen sträubten sich. »Vergiss nicht, Louis, dass der Mensch nur ein Schilfrohr ist, das schwächste Glied der Natur. Aber verdammt noch mal, mein Sohn, er ist ein denkendes Schilfrohr. Es muss sich nicht gleich das ganze Weltall gegen ihn waffnen, ein Wassertropfen genügt, um ihn zu töten.« Er deutete mit dem Finger auf mich. »Aber selbst wenn ihn das ganze Weltall zermalmen würde, na und? Weißt du, was ich dann sagen würde? Der Mensch wäre nur umso edler! Und willst du wissen warum? Weil er weiß, dass er sterben wird – und weil das Weltall nichts davon weiß. Darin besteht unsere ganze Würde. Im Denken. Der Mensch ist klein und kann Raum und Zeit nicht ermessen, aber er kann Gebrauch von dem Gehirn machen, das Gott ihm gegeben hat. Und was dieses ›Ding‹ hier angeht, wie du es nennst. Das ist kein Ding. Das ist ein enosch, ein Mensch… Aber da muss ich euch einen Witz erzählen.« Und schon legte er los, halb auf jiddisch, halb auf englisch.
Als er fertig war, schmunzelten wir alle, obwohl es mir so vorkam, als ob das Lächeln der Edwin M. Stanton etwas förmlich, ja gezwungen war.
Ich kramte in meinen Erinnerungen an das, was ich über Stanton gelesen hatte. Er hatte als ziemlich ruppiger Typ gegolten damals, während des Bürgerkriegs und der anschließenden Wiedereingliederung, vor allem in jener Zeit, als er mit Andrew Johnson aneinandergeriet, als er versuchte, den Präsidenten seines Amtes entheben zu lassen. Vermutlich schätzte er den humanistisch angehauchten Witz meines Vaters nicht sonderlich, hatte er sich so etwas während seiner Arbeit doch ständig von Lincoln anhören müssen. Aber mein Vater war auf keine Weise zu bremsen; er war der Sohn eines bedeutenden Spinoza-Experten, und obwohl er nie über die Seventh Grade hinausgekommen war, hatte er doch alle möglichen Bücher und Dokumente gelesen und mit literarischen Persönlichkeiten auf der ganzen Welt korrespondiert.
»Tut mir leid, Jerome«, sagte Maury zu meinem Vater, als der gerade eine kurze Pause einlegte, »aber es stimmt.« Er ging zu der Edwin M. Stanton, bückte sich und betätigte einen Schalter hinter ihrem Ohr.
»Oh«, gab die Stanton von sich und erstarrte. Das Leuchten ihrer Augen erlosch, sie war so leblos wie eine Schaufensterpuppe. Ein ziemlich heftiger Anblick. Wir wurden alle still, und selbst Chester und meine Mutter sahen für einen Moment vom Fernseher auf. Wenn an dem Abend nicht ohnehin schon philosophiert worden wäre, das hätte definitiv dazu geführt. Schließlich stand mein Vater auf und ging hinüber, um das Ding in Augenschein zu nehmen.
Er schüttelte den Kopf. »Wie brutal.«
»Ich kann sie wieder anstellen«, sagte Maury.
»Nein, darum geht es mir gar nicht.« Mein Vater setzte sich wieder, machte es sich leidlich bequem und fragte dann mit leicht resignierter, ernüchterter Stimme: »Und, Jungs? Wie waren die Verkäufe in Vallejo?« Während wir uns noch eine Antwort überlegten, zückte er eine Anthony & Cleopatra-Zigarre, wickelte sie aus und zündete sie an. Es war eine hochwertige Zigarre mit Havannafüllung und grünem Deckblatt, und ihr Duft erfüllte augenblicklich das Wohnzimmer. »Haufenweise Orgeln und Amadeus-Gluck-Klaviere verkauft?« Er kicherte in sich hinein.
»Die Klaviere sind weggegangen wie geschnitten Brot«, sagte Maury. »Aber nicht ein Mensch wollte eine Orgel haben.«
Mein Vater runzelte die Stirn.
»Wir haben uns schon darüber Gedanken gemacht, Jerome, und sind zu einigen Ergebnissen gekommen. Die Rosen-Elektroorgel…«
»Moment. Nicht so schnell, Maurice. Auf dieser Seite des Eisernen Vorhangs gibt es nichts, was mit der Rosen-Orgel vergleichbar wäre.« Mein Vater nahm eine der Hartfaserplatten vom Beistelltisch, auf denen wir zu Demonstrationszwecken Widerstände, Solarzellen, Transistoren, Verkabelung und so weiter angebracht hatten. »Das hier zeigt, wie sie funktioniert. Hier der Verzögerungskreis, der dem Klang mehr Volumen, Kraft und Dynamik verleiht, und hier…«