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Ich beendete mein Abendessen, bezahlte die Rechnung und trat auf die Straße. Inzwischen war es dunkel geworden. Wohin jetzt? Zurück ins Motel! Ich winkte ein Taxi heran.

Als ich vor dem Motel ausstieg, sah ich Licht in meinem Zimmer. Der Besitzer kam aus seinem Büro gestürzt. »Sie haben einen Gast und er sieht wirklich wie Lincoln aus, wie Sie gesagt haben. Was ist das, ein Gag oder so? Jedenfalls habe ich ihm aufgemacht.«

»Danke.« Ich ging auf mein Zimmer.

Und dort saß, die langen Beine von sich gestreckt, die Lincoln auf einem Stuhl. Sie bemerkte mich erst nicht, sie war in die Biografie von Carl Sandburg vertieft. Neben ihr auf dem Boden stand eine kleine Leinentasche – ihr Gepäck.

»Mr. Lincoln«, sagte ich.

Sie sah auf und lächelte mich an. »Guten Abend, Mr. Rosen.«

»Was halten Sie von dem Buch?«

»Ich hatte noch nicht die Zeit, mir eine Meinung zu bilden.« Sie markierte die Seite, schloss das Buch und legte es weg. »Mr. Rock sagte mir, dass Sie in großen Schwierigkeiten wären und meine Anwesenheit und meinen Rat erbäten. Ich hoffe, ich bin nicht zu spät gekommen.«

»Nein, Sie kommen genau richtig. Wie hat Ihnen der Flug gefallen?«

»Der Anblick der rasch unter uns dahinziehenden Landschaft hat mich in Erstaunen versetzt. Wir waren kaum aufgestiegen, da waren wir auch schon hier, und die junge Dame mit dem Hütchen sagte mir, dass wir über eintausend Meilen geflogen sind.«

»Hütchen? Ach so, die Stewardess.«

»Verzeihen Sie meine Unwissenheit.«

»Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?« Ich deutete auf das Bier, aber sie schüttelte den Kopf.

»Lieber nicht. Warum machen Sie mich nicht mit Ihren Problemen vertraut, Mr. Rosen, und wir schauen, was sich machen lässt.« Die Lincoln sah mich an, wartete.

Ich setzte mich ihr gegenüber. Doch ich zögerte. Nach dem, was ich heute gelesen hatte, fragte ich mich, ob ich sie überhaupt noch zurate ziehen wollte. Nicht, weil ich kein Vertrauen in ihre Ansichten gehabt hätte, sondern weil mein Problem womöglich an das Leid rührte, das sie tief in ihrem Inneren vergraben hatte. Meine Situation ähnelte zu sehr der mit Ann Rutledge.

»Ich bin ganz Ohr.«

»Lassen Sie mich erst ein Bier eingießen.« Ich spielte eine Weile mit der Dose herum und fragte mich, was ich machen sollte.

»Dann sollte vielleicht ich reden. Während meiner Reise hierher habe ich Überlegungen über die Situation mit Mr. Barrows angestellt.« Die Lincoln beugte sich vor, öffnete ihre Reisetasche und zog mehrere mit Bleistift beschriebene Blätter hervor. »Hegen Sie den Wunsch, große Geschütze gegen Mr. Barrows aufzufahren? Damit er Miss Frauenzimmer von sich aus zurückschickt, ganz gleich, wie sie darüber denkt?«

Ich nickte.

»Dann telefonieren Sie mit dieser Person.« Er reichte mir einen Zettel mit einem Namen:

SILVIA DEVORAC

Ich hatte den Namen schon einmal gehört, konnte ihn aber nicht zuordnen.

»Sagen Sie ihr, dass Sie sie gern aufsuchen würden, um eine Angelegenheit von heikler Natur zu besprechen, die mit Mr. Barrows zusammenhängt. Das wird genügen – sie wird Sie sofort einladen.«

»Und dann?«

»Ich werde Sie begleiten. Sie werden Ihre Darstellungen ihr gegenüber nicht ausschmücken müssen. Sie müssen nur Ihre Verbindung zu Miss Frauenzimmer beschreiben – dass Sie ihren Vater vertreten und dass Sie sich sehr zu der jungen Frau hingezogen fühlen.«

»Wer ist diese Silvia Devorac?«

»Die Gegenspielerin von Mr. Barrows. Sie ist es, die versucht, das Green-Peach-Hat-Wohnprojekt, das ihm gehört und aus dem er enorme Mieteinnahmen erzielt, für abbruchreif erklären zu lassen. Sie ist eine sozial engagierte Dame und widmet sich lobenswerten Aktivitäten.« Das Simulacrum reichte mir eine Handvoll Zeitungsausschnitte aus Seattier Blättern. »Wie Sie dem hier entnehmen können, ist sie unermüdlich. Und sie verfügt über einigen Scharfsinn.«

»Sie meinen, dass wir die Geschichte mit Pris’ Minderjährigkeit und ihrer psychischen Verfassung…«

»Ich meine, Mr. Rosen, dass Mrs. Devorac wissen wird, was sich mit den Informationen anfangen lässt, die Sie ihr geben.«

Ich dachte kurz nach. »Aber: Ist es das wert? So etwas zu tun…«

»Das weiß nur Gott.«

»Was ist Ihre Meinung?«

»Pris ist die Frau, die Sie lieben. Ist das nicht der eigentliche Kern der Sache? Würden Sie in diesem Wettstreit etwa nicht Ihr Leben aufs Spiel setzen? Ich denke, Sie haben es bereits getan und, wenn Mr. Rock recht hat, die Leben anderer noch dazu.«

»Die Liebe ist eine amerikanische Obsession. Wir nehmen sie zu ernst. Sie ist praktisch eine Staatsreligion.«

Die Lincoln erwiderte nichts. Sie schaukelte nur vor und zurück.

»Gut. Es ist mir ernst damit.«

»Dann sollten Sie über Folgendes nachdenken: Ist es nicht die Wahrheit, dass Mr. Barrows das genaue Gegenteil von Ihnen darstellt? Ihm ist es mit seinem Gefühl für Pris nicht ernst. Wenn er dieselben Gefühle wie Sie hegen würde, würde er Mrs. Devorac ihren Willen lassen und Pris heiraten. Aber er tut das nicht. Sie dagegen würden alles riskieren – Sie tun es bereits. Für Sie ist der Mensch, den Sie lieben, wichtiger als alles andere.«

»Danke. Wissen Sie, Sie haben ein tiefes Verständnis dafür, was die wichtigen Werte im Leben sind. Ich meine, ich bin schon vielen Leuten begegnet, aber Sie kommen gleich zum Kern der Sache.«

Das Simulacrum beugte sich vor und klopfte mir auf die Schulter. »Ich denke, dass es zwischen uns beiden eine Verbindung gibt, Mr. Rosen. Sie und ich, wir haben viel gemeinsam.«

»Ich weiß.«

Wir waren beide tief bewegt.

Fünfzehn

Die Lincoln ging mit mir durch, was ich am Telefon zu Mrs. Devorac sagen sollte. Ich prägte es mir ein, suchte die Nummer aus dem Telefonbuch heraus und wählte.

Kurz darauf hatte ich die wohlklingende Stimme einer Frau mittleren Alters im Ohr: »Ja?«

»Bitte verzeihen Sie die Störung, Mrs. Devorac. Ich interessiere mich für Green Peach Hat beziehungsweise Ihr Vorhaben, die Siedlung abreißen zu lassen. Mein Name ist Louis Rosen. Ich komme aus Ontario, Oregon.«

»Ich hatte keine Vorstellung, dass unser Komitee so weit weg Beachtung findet.«

»Ich wollte fragen, ob ich einmal kurz mit meinem Anwalt bei Ihnen vorbeischauen und mit Ihnen reden kann.«

»Mit Ihrem Anwalt? Stimmt denn irgendetwas nicht?«

»Es stimmt tatsächlich etwas nicht, aber das betrifft nicht Ihr Komitee. Es betrifft…« Ich sah zur Lincoln, die aufmunternd nickte. »Es betrifft Sam K. Barrows.«

»Ich verstehe.«

»Ich kenne Mr. Barrows aufgrund einer unglückseligen geschäftlichen Verbindung, die ich mit ihm in Ontario hatte. Und ich dachte, Sie könnten mir vielleicht behilflich sein.«

»Sie haben einen Anwalt, wie Sie sagen. Ich weiß nicht, was ich für Sie tun könnte, das er nicht ebenfalls kann. Aber Sie können gerne vorbeikommen, wenn wir es auf, sagen wir, eine halbe Stunde beschränken können. Ich erwarte um acht Gäste.«