»Und gefällt es Ihnen? Entspricht es Ihren Erwartungen?«
»Oh, es ist unglaublich bereichernd, nicht, Ralf?« Ihr Kollege nickte. »Wir möchten hier gar nicht wieder aufhören.«
»Wissen Sie irgendetwas über mich?«
»Nur dass Doktor Shedd mit Ihnen arbeiten wird«, erwiderte Ralf.
»Und er ist super«, fügte Julie hinzu. »Er wird Ihnen gefallen. Er tut so viel für die Menschen, er hat so viele geheilt!«
Meine Koffer kamen; Ralf nahm einen, ich den anderen, und wir gingen zum Ausgang.
»Das ist ein schöner Flughafen«, sagte ich. »Ich bin hier noch nie gewesen.«
»Ja, sie haben ihn erst dieses Jahr fertiggestellt. Es ist der Erste, der sowohl Erd- als auch Weltraumflüge abfertigen kann. Sie können von hier aus direkt zum Mond fliegen.«
»Ich nicht«, flüsterte ich.
Kurz darauf saßen wir in einem Klinik-Hubschrauber und flogen über die Dächer von Kansas City. Die Luft war kalt und frisch, und unter uns glühten eine Million Lichter in unzähligen Mustern, die gar keine Muster waren.
»Glauben Sie«, fragte ich meine Begleiter, »dass jedes Mal, wenn jemand stirbt, in Kansas City ein neues Licht aufblinkt?«
Ralf und Julie schmunzelten.
»Wissen Sie, was mit mir passiert wäre, wenn es das FBMH-Programm nicht gäbe? Ich wäre jetzt tot. Es hat mir buchstäblich das Leben gerettet.«
Jetzt lächelten sie.
»Gott sei Dank ist der McHeston Act durch den Kongress gekommen.«
Sie nickten feierlich.
»Sie wissen nicht, wie es ist, dieses katatone Drängen zu spüren, diesen Druck. Er treibt einen weiter und weiter, und dann bricht man plötzlich zusammen. Man weiß, dass man nicht richtig im Kopf ist, dass man in einem Schattenreich lebt. Ich hatte vor meinem Vater und meinem Bruder Geschlechtsverkehr mit einer Frau, die nur in meiner Phantasie existierte. Ich hörte Leute über uns reden, während wir es miteinander machten. Durch die Tür.«
»Sie haben es durch die Tür miteinander gemacht?«, fragte Ralf erstaunt.
Julie schüttelte den Kopf. »Er meint, er hat sie durch die Tür reden gehört. Nicht wahr, Mr. Rosen?«
»Ja. Dass Sie es erklären mussten, zeigt, in welchem Maße mir meine Fähigkeit zur Kommunikation abhanden gekommen ist. Früher hätte ich das mit Leichtigkeit klar und deutlich ausdrücken können. Erst als Doktor Nisea zu dem Stein, der rollt, kam, wurde mir bewusst, was für eine Kluft sich zwischen mir und dem Rest der Gesellschaft aufgetan hat.«
»Ah ja, die Nummer 6 im Benjamin-Sprichwort-Test.«
»Ich frage mich, welches Sprichwort Pris damals nicht hinbekommen hat.«
»Pris?«, fragte Julie.
»Schätze mal«, sagte Ralf, »die Frau, mit der er Geschlechtsverkehr hatte.«
»Ganz genau. Sie ist mal hier gewesen, vor Ihrer Zeit. Jetzt geht es ihr wieder gut. Sie ist meine Große Mutter, sagt Doktor Nisea. Ich habe mein Leben der Verehrung von Pris gewidmet. Ich habe ihren Archetypus nach außen projiziert, ich sehe nichts als sie, alles andere ist für mich unwirklich. Dieser Flug gerade, Sie beide, Doktor Nisea, die Klinik – das sind alles bloß Schatten.«
Nachdem ich das gesagt hatte, ließ sich das Gespräch nur schwerlich fortsetzen. Also brachten wir den Rest des Fluges schweigend hinter uns.
Achtzehn
Am darauf folgenden Vormittag um zehn traf ich im Dampfbad der Kasanin-Klinik mit Doktor Albert Shedd zusammen. Die Patienten fläzten sich nackt in den Dampfschwaden, während das Personal in blauen Badehosen umherschlurfte.
Doktor Shedd tauchte aus dem weißen Dampf auf und lächelte mich freundlich an; er war mindestens siebzig, mit Haarsträhnen, die wie gebogener Draht von seinem runden, runzeligen Kopf abstanden. Im Dampfbad leuchtete seine Haut rosa.
»Guten Morgen, Mr. Rosen.« Er nickte und sah mich verschmitzt an. »Wie war der Flug?«
»Gut.«
»Dann sind Sie nicht von irgendwelchen anderen Flugzeugen verfolgt worden, nehme ich an.« Er lachte glucksend.
Ich war ihm für diesen Witz dankbar, denn er implizierte, dass Shedd irgendwo in mir ein grundsätzlich gesundes Element ausgemacht hatte, das er über den Weg des Humors ansprechen wollte. Er machte sich über meine Paranoia lustig – und dadurch schwächte er sie geschickt ab.
»Sehen Sie sich in der Lage, in dieser reichlich ungezwungenen Atmosphäre frei zu reden?«
»Aber ja. In Los Angeles bin ich immer in ein finnisches Dampfbad gegangen.«
»Also gut, dann schauen wir mal.« Er konsultierte seine Unterlagen. »Sie handeln mit Klavieren? Und Elektroorgeln?«
»Richtig, mit der Rosen-Elektroorgel – der besten der Welt.«
»Sie waren zu Beginn Ihrer schizophrenen Episode geschäftlich in Seattle unterwegs und haben sich mit einem Mr. Barrows getroffen. Zumindest laut dieser Aussage Ihrer Familie.«
»Ja, genau.«
»Uns liegen Ihre schulischen Psychotests vor, Sie scheinen damals keinerlei Probleme gehabt zu haben. Sie reichen bis zum neunzehnten Lebensjahr, dann kommen die Unterlagen vom Militärdienst. Auch hier alles in Ordnung. Genauso wie in den anschließenden Bewerbungstests. Es scheint mir eher eine situationsgebundene Schizophrenie zu sein als ein lebenslanger Prozess. Sie haben in Seattle unter ganz besonderem Stress gestanden, nicht wahr?«
»Ja.«
»Es kann sein, dass die Krankheit nie wieder auftreten wird, aber wir müssen den Vorfall als ein Warnzeichen betrachten – wir müssen uns darum kümmern.« Er musterte mich durch den wogenden Dampf. »In Ihrem Fall könnte möglicherweise eine Therapie helfen, die sich ›kontrollierter Wachtraum‹ nennt. Sagt Ihnen das etwas?«
»Nein.« Aber es klang gut.
»Dabei würden wir Ihnen halluzinogene Medikamente verabreichen, also Medikamente, die Sie zum Halluzinieren anregen. Für einen sehr begrenzten Zeitraum täglich. Das würde Ihrer Libido die Erfüllung der regressiven Impulse gestatten, die im Moment zu stark sind, als dass sie auszuhalten wären. Diese Wachträume würden wir dann sukzessive einschränken, bis wir sie hoffentlich ganz weglassen können. Einen Teil dieser Zeit würden Sie hier verbringen, wir würden jedoch anstreben, dass Sie später nach Boise zurückkehren können, zu Ihrer Arbeit, und dort eine ambulante Therapie erhalten. Die Kasanin-Klinik ist hoffnungslos überbelegt, müssen Sie wissen.«
»Ich weiß.«
»Würden Sie das gern versuchen?«
»Ja.«
»Es würde weitere schizophrene Episoden bedeuten, die natürlich unter Beobachtung stattfänden, unter kontrollierten Bedingungen.«
»Das ist mir egal.«
»Es würde Sie nicht stören, dass ich und andere Mitarbeiter Zeuge Ihres Verhaltens während dieser Episoden wären? Mit anderen Worten, dass wir in Ihre Privatsphäre eindringen…«
»Nein, das würde mich nicht stören. Mir ist egal, wer dabei zusieht.«
»Ihre paranoiden Tendenzen können nicht allzu stark sein, wenn Sie so wenig dagegen haben, beobachtet zu werden.«
»Ich habe überhaupt nichts dagegen.«
»Sehr schön.« Er nickte erfreut. »Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen.« Und damit spazierte er davon, in seiner blauen Badehose, das Klemmbrett unter dem Arm. Mein erstes Gespräch mit meinem Psychiater in der Kasanin-Klinik war vorbei.
Eines Nachmittags also wurde ich in einen großen Raum mit nackten Wänden gebracht, wo mich mehrere Schwestern und zwei Ärzte in Empfang nahmen. Sie schnallten mich auf einen Tisch mit Lederpolstern und spritzten mir das halluzinogene Medikament. Dann traten sie zurück und warteten. Ich wartete ebenfalls, auf meinem Tisch festgeschnallt, in meinem Krankenhauskittel, die Arme an den Seiten.
Wenige Minuten später fand ich mich in der Innenstadt von Oakland, Kalifornien wieder. Ich saß auf einer Parkbank am Jack-London-Square. Neben mir fütterte jemand Brotkrumen an einen Schwarm blaugrauer Tauben. Eine junge Frau. Pris. Sie trug Caprihosen und einen grünen Rollkragenpulli, und ihre Haare waren mit einem rotkarierten Tuch zurückgebunden.