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»Hey«, sagte ich.

Sie sah mich zornig an. »Verdammt, ich hab dir doch gesagt, dass du leise sein sollst. Wenn du redest, verjagst du sie noch, und dann füttert sie dieser alte Knacker da drüben.«

Auf einer Bank ein Stück den Weg hinunter saß Doktor Shedd und lächelte zu uns herüber. Er hielt ebenfalls eine Tüte Brotkrumen in der Hand.

»Pris, ich muss mit dir reden.«

»Wieso? Es ist für dich wichtig, aber ist es das auch für mich? Oder ist dir das egal?«

»Es ist mir nicht egal.«

»Dann zeig es mir – sei leise. Ich bin ziemlich glücklich mit dem, was ich gerade mache.« Sie fütterte weiter die Vögel.

»Liebst du mich?«

»Himmel, nein!«

Und doch spürte ich, dass sie es tat.

Wir saßen eine Weile schweigend nebeneinander, dann blichen der Park, die Bank und Pris langsam aus, und ich war wieder auf dem Tisch festgeschnallt, neben mir Doktor Shedd und die Schwestern der Kasanin-Klinik.

»Das lief schon viel besser«, sagte Shedd.

»Besser als was?«

»Als die beiden Male davor.«

Ich konnte mich nicht an irgendwelche Male davor erinnern und sagte ihm das.

»Kein Wunder, da hat es ja auch nicht geklappt. Es wurde kein Phantasieleben aktiviert – Sie sind einfach eingeschlafen. Doch ab jetzt können wir mit Resultaten rechnen.«

Am nächsten Morgen erschien ich wieder im Therapieraum, um mir meine Ration Traumleben abzuholen, meine eine Stunde mit Pris.

Als man mich gerade festschnallte, kam Doktor Shedd herein. »Ich werde Sie nun auch Gruppentherapie machen lassen, Mr. Rosen. Wissen Sie, was das ist? Sie werden Ihre Probleme einer Gruppe von Mitpatienten schildern, die dann Kommentare dazu abgeben. Sie sitzen dabei und hören sich an, wie die anderen über Sie diskutieren. Sie werden feststellen, dass das Ganze in einer freundlichen und zwanglosen Atmosphäre vonstatten geht. Und meist ist es sehr hilfreich.«

»Sehr gern.« Ich fühlte mich ziemlich einsam, hier in der Klinik.

»Sie haben nichts dagegen, dass der Inhalt Ihrer Wachträume der Gruppe zugänglich gemacht wird?«

»Aber nein. Warum sollte ich?«

»Dass wir jeden Ihrer Wachträume aufzeichnen und, mit Ihrer Erlaubnis, in der Gruppe diskutieren?«

»Selbstverständlich gebe ich Ihnen meine Erlaubnis. Ich habe nichts dagegen, dass eine Gruppe Mitpatienten meine Phantasien kennt. Erst recht nicht, wenn sie mir helfen können.«

»Sie werden feststellen, dass es auf der ganzen Welt niemanden gibt, der mehr darauf brennt, Ihnen zu helfen, als Ihre Mitpatienten.«

Mir wurde das halluzinogene Medikament verabreicht, und ich fiel erneut in einen Wachtraum.

Ich saß hinter dem Steuer meines Magic Fire Chevrolet im Feierabendverkehr auf dem Freeway. Im Radio berichtete gerade jemand von einem Stau weiter vorn.

»Ob Straßengewirr, Baustelle oder Verkehrschaos«, sagte er. »Ich bring Sie da durch, liebe Hörer.«

»Danke«, erwiderte ich.

Neben mir auf dem Beifahrersitz fuhr Pris auf. »Hast du schon immer dem Radio geantwortet? Das ist kein gutes Zeichen. Ich wusste doch, dass es mit deiner geistigen Gesundheit nicht zum besten steht.«

»Pris, auch wenn du das Gegenteil behauptest, ich weiß, dass du mich liebst. Erinnerst du dich denn nicht mehr – wir beide in Colleen Nilds Wohnung in Seattle?«

»Nein.«

»Du weißt nicht mehr, wie wir uns dort geliebt haben?«

»Igitt!«

»Ich weiß, dass du mich liebst.«

»Lass mich lieber gleich hier raus, mitten im Verkehr. Mir wird speiübel.«

»Pris, warum sind wir hier zusammen unterwegs? Fahren wir gerade nach Hause? Sind wir verheiratet?«

»Herrgott!«

»Antworte mir.«

Sie rückte schaudernd von mir ab, presste sich gegen die Tür, so weit weg, wie es nur ging.

Als ich wieder erwachte, schien Doktor Shedd sehr erfreut. »Sie machen Fortschritte. Sie erzeugen eine äußere Katharsis für die regressiven Impulse Ihrer Libido – und genau da wollen wir hin.« Er klopfte mir ermutigend auf die Schulter, wie es vor gar nicht so langer Zeit Maury Rock getan hatte.

Während meines nächsten Wachtraums sah Pris deutlich älter aus. Es war Abend, und wir spazierten langsam über den Bahnhof von Cheyenne, Wyoming. Ich sah immer wieder zu ihr. Ihr Gesicht war voller – als würde sie erwachsen werden. Und sie wirkte gelassener.

»Wie lange sind wir jetzt verheiratet?«, fragte ich.

»Weißt du das denn nicht?«

»Dann sind wir’s also.« Mein Herz machte einen Sprung.

»Natürlich sind wir verheiratet. Meinst du, wir leben in wilder Ehe? Was ist denn los mit dir, leidest du an Gedächtnisschwund?«

»Lass uns in die Bar dort gehen.«

»Gut. Weißt du, ich bin froh, dass du mich von diesen Gleisen weggebracht hast. Die haben mich deprimiert. Ich habe mir vorgestellt, wie die Lok näherkommt und ich auf die Gleise falle, und sie fährt über mich drüber und schneidet mich in Stücke. Ich habe mich gefragt, wie es sich anfühlen würde, es so hinter sich zu bringen – einfach nur dadurch, dass man sich nach vorn fallen lässt wie beim Schlafengehen.«

»Sag doch so was nicht.« Ich legte meinen Arm um sie und drückte sie. Sie war steif, unnachgiebig, so wie immer.

Als Doktor Shedd mich aus dem Wachtraum holte, blickte er ernst drein. »Ich bin nicht allzu erfreut zu sehen, dass in der Projektion Ihrer Anima jetzt morbide Elemente zum Vorschein kommen. Aber das ist zu erwarten gewesen, es zeigt, was für ein langer Weg noch vor uns liegt. Beim nächsten Versuch, dem fünfzehnten…«

»Dem fünfzehnten! Sie meinen, das war eben schon der vierzehnte Wachtraum?«

»Ja. Sie sind jetzt seit über einem Monat hier. Mir ist bewusst, dass Ihre Episoden ineinander übergehen. Das ist zu erwarten gewesen, denn manchmal gibt es überhaupt keinen Fortschritt, manchmal wird das gesamte Material wiederholt. Machen Sie sich darüber keine Sorgen, Mr. Rosen.«

»Na schön.« Tatsächlich bedrückte es mich.

Beim nächsten Versuch – jedenfalls nahm mein Hirn ihn als den nächsten wahr – saß ich wieder mit Pris auf der Bank im Jack-London-Park in der Innenstadt von Oakland. Diesmal war sie still und traurig; sie fütterte die umherspazierenden Tauben nicht, sondern saß einfach mit verschränkten Händen da und starrte zu Boden.

»Was ist mir dir?«

Eine Träne rann ihr die Wange hinab. »Nichts, Louis.« Sie zog ein Taschentuch aus der Handtasche, tupfte sich die Augen ab und putzte sich die Nase. »Ich fühle mich einfach irgendwie leblos und leer, das ist alles. Vielleicht bin ich schwanger. Meine Periode ist schon eine Woche überfällig.«

Das versetzte mich in Hochstimmung. Ich zog sie in meine Arme und küsste sie auf die kalten Lippen. »Aber das ist doch wundervoll!«

Sie lächelte leicht und tätschelte meine Hand. »Ich bin froh, dass du dich darüber freust, Louis.«

Sie hatte sich eindeutig verändert. Sie hatte Falten um die Augen herum, die ihr ein abgekämpftes, erschöpftes Aussehen verliehen. Wie viel Zeit war vergangen? Wie viele Male waren wir jetzt zusammengewesen? Ein Dutzend Mal? Hundertmal? Ich konnte es nicht sagen; die Zeit floss nicht mehr ruhig vor sich hin, sondern bewegte sich in Sprüngen. Ich fühlte mich ebenfalls älter und wesentlich müder. Und doch – was waren das für gute Neuigkeiten!

Zurück im Therapieraum, erzählte ich Shedd von Pris’ Schwangerschaft. Er war ebenfalls erfreut. »Sehen Sie, Mr. Rosen, wie Ihre Wachträume immer mehr Reife zeigen, immer mehr Elemente einer wirklichkeitsbezogenen Überprüfung von Ihrer Seite? Am Ende wird der Reifegrad der Träume Ihrem tatsächlichen Alter entsprechen, und an diesem Punkt haben die Wachträume ihre Funktion erfüllt.«

Fröhlich ging ich nach unten zu meinen Mitpatienten, um mir ihre Erklärungen zu dieser neuen Entwicklung anzuhören. Ich wusste, dass sie eine Menge zu sagen haben würden, sobald sie sich die Abschrift der heutigen Sitzung durchgelesen hatten.