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»Du siehst älter aus, Louis«, sagte sie nach einer Weile.

»Und du siehst toll aus, wie immer.« Ich hätte sie am liebsten in die Arme genommen; stattdessen stand ich wenige Zentimeter vor ihr und tat nichts.

»Du freust dich bestimmt zu hören, dass sie mich in den nächsten Tagen entlassen. Dann bekomme ich wieder ambulante Therapie. Ich mache gewaltige Fortschritte, sagt Doktor Ditchley. Ich bin fast jeden Tag bei ihm, er ist der beste Arzt hier. Du bist bei Shedd, nicht wahr? Der taugt nichts, ein alter Trottel, meiner Meinung nach.«

»Vielleicht gelingt es uns ja, zusammen von hier wegzugehen. Was würdest du dazu sagen? Ich mache auch Fortschritte.«

»Warum sollten wir zusammen von hier weg?«

»Ich liebe dich und ich weiß, dass du mich auch liebst.«

Sie gab keine Antwort; sie nickte nur ganz leicht.

»Ließe sich das machen? Du weißt so viel mehr über die Klinik als ich. Du hast praktisch dein ganzes Leben hier verbracht.«

»Einen Teil meines Lebens.«

»Könntest du dir was einfallen lassen?«

»Lass du dir doch was einfallen – du bist der Mann.«

»Wenn ich es schaffe, heiratest du mich dann?«

Sie ächzte. »Klar doch, Louis. Was du willst: Heiraten, wilde Ehe, ab und zu mal vögeln – such dir was aus.«

»Heiraten.«

»Und Kinder? Wie in deiner Phantasie? Ein Junge namens Charles?« Sie verzog amüsiert die Lippen.

»Ja.«

»Dann rede mit Shedd, dem Kliniktrottel. Er kann dich entlassen, er ist dazu befugt. Und ich gebe dir einen Tipp: Halt dich zurück, wenn du das nächste Mal zur Wachtraumtherapie gehst. Sag ihnen, dass du nicht weißt, ob sie überhaupt noch was bringt. Und wenn du dann drin bist, erzähl deiner Phantasie-Sexpartnerin, dieser Pris Frauenzimmer, die sich dein Hirn zurechtgesponnen hat, dass du sie nicht mehr überzeugend findest.« Sie grinste. »Vielleicht bringt dich das ja hier raus, vielleicht auch nicht – vielleicht reitest du dich auch nur noch tiefer rein.«

»Du würdest mich doch nicht…«

»An der Nase herumführen? Reinlegen? Probier es aus, Louis. Du findest es nur heraus, wenn du den Mut dazu aufbringst.«

Sie wandte sich ab, entfernte sich.

»Wir sehen uns«, sagte sie über die Schulter. »Vielleicht.« Ein letztes beherrschtes Grinsen, und sie war weg.

Ich vertraue dir, sagte ich mir.

Nach dem Abendessen lief ich Doktor Shedd über den Weg und fragte ihn, ob ich ihn kurz sprechen könnte.

»Was haben Sie auf dem Herzen, Mr. Rosen?«

»Es geht um meine Wachtraumtherapie. Ich bin mir nicht sicher, ob sie mir noch etwas bringt. Und ich finde meine Phantasie-Sexpartnerin nicht mehr überzeugend. Ich weiß, dass sie nur eine Projektion meines Unbewussten ist – sie ist nicht die wirkliche Pris Frauenzimmer.«

»Das ist ja interessant.«

»Was bedeutet das? Dass es aufwärts mit mir geht oder abwärts?«

»Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Wir werden es während der nächsten Wachtraumsitzung sehen. Ich werde mehr wissen, wenn ich Ihr Verhalten dabei beobachten kann.« Er verabschiedete sich und ging den Flur hinunter.

Während meines nächsten Wachtraums fand ich mich in einem Supermarkt wieder. Pris und ich erledigten den wöchentlichen Einkauf.

Sie war jetzt wesentlich älter, aber immer noch Pris, dieselbe attraktive, starke, klarsichtige Frau, die ich immer geliebt hatte. Charles rannte vor uns her und stöberte nach Sachen für das Wochenende, das er mit seiner Pfadfindertruppe im Charles-Tilden-Nationalpark in den Bergen von Oakland verbringen würde.

»Du bist ungewöhnlich still heute«, sagte Pris.

»Ich denke nach.«

»Du machst dir Sorgen, meinst du. Ich kenne dich, ich seh’s dir an.«

»Pris, passiert das hier wirklich? Reicht das aus, was wir hier miteinander teilen?«

»Weißt du, ich halte dein ewiges Herumphilosophieren nicht mehr aus. Entweder du akzeptierst dein Leben oder du bringst dich um. Aber hör endlich mit diesem Geschwätz auf.«

»Gut. Aber im Gegenzug möchte ich, dass du aufhörst, ständig abfällige Bemerkungen über mich zu machen. Die kann ich nämlich nicht mehr hören.«

»Du hast ja bloß Angst, dich der Wahrheit…«

Bevor ich wusste, was ich tat, hatte ich ausgeholt und ihr mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Sie machte einen Satz von mir weg, stand dort, die Hand auf die Wange gepresst, und starrte mich verblüfft an. »Zum Teufel mit dir«, sagte sie mit heiserer Stimme. »Das werde ich dir nie verzeihen.«

»Pris, ich…«

Sie wirbelte herum, griff sich Charles und eilte den Gang hinunter, ohne sich noch einmal umzusehen.

Auf einmal bemerkte ich, dass Doktor Shedd neben mir stand. »Ich glaube, das war genug für heute, Mr. Rosen.« Der Gang mit seinen Regalen voller Kartons und Verpackungen verschwamm, löste sich auf.

»Habe ich falsch gehandelt?« Ich hatte es getan, ohne nachzudenken. Hatte ich alles ruiniert? »Das ist das erste Mal im Leben, dass ich eine Frau geschlagen habe.«

»Machen Sie sich keine Sorgen deswegen.« Shedd nickte den Schwestern zu. »Machen Sie ihn los. Und wir lassen die Gruppentherapie heute besser ausfallen, denke ich.« Zu mir sagte er: »An Ihrem Benehmen ist etwas Merkwürdiges, das ich nicht verstehe. Es passt überhaupt nicht zu Ihnen.«

Ich erwiderte nichts, ließ nur den Kopf hängen.

»Man könnte beinahe vermuten, dass Sie simulieren.«

»Nein. Ich bin wirklich krank. Ich wäre längst tot, wenn ich nicht hierher gekommen wäre.«

»Ich glaube, Sie kommen morgen besser in mein Büro. Ich möchte den Benjamin-Sprichworttest und den Vygotsky-Luria-Klotztest einmal selbst mit Ihnen durchführen. Wer den Test durchführt, ist wichtiger als der Test an sich.«

Ich nickte.

Am nächsten Tag bestand ich sowohl den Benjamin-Sprichworttest als auch den Vygotsky-Luria-Klotztest. Nach den Vorschriften des McHeston Act war ich frei – ich konnte nach Hause gehen.

»Ich frage mich wirklich, ob Sie überhaupt hier in der Kasanin hätten sein dürfen«, sagte Doktor Shedd, während er meine Entlassungspapiere unterschrieb. »Ich weiß nicht, was Sie sich davon versprochen haben, hierher zu kommen, aber jetzt werden Sie sich Ihrem Leben aufs Neue stellen müssen. Und zwar ohne eine psychische Erkrankung vorzuschieben.« Mit dieser brüsken Bemerkung war ich offiziell aus der staatlichen Kasanin-Klinik in Kansas City, Missouri entlassen.

Ich räusperte mich. »Es gibt hier eine Frau, von der ich mich gerne verabschieden würde. Ist es in Ordnung, dass ich einige Minuten mit ihr rede? Ihr Name ist Rock.« Vorsichtig fügte ich hinzu: »Ihren Vornamen weiß ich nicht.«

Shedd drückte einen Knopf auf seinem Schreibtisch. »Lassen Sie Mr. Rosen für einen Zeitraum von höchstens zehn Minuten mit einer Miss oder Mrs. Rock reden. Und dann bringen Sie ihn zum Haupteingang – seine Zeit hier ist um.«

Ein stämmiger Pfleger brachte mich zu Pris’ Zimmer im Frauenflügel. Sie saß auf dem Bett und malte sich mit einem orangefarbenen Stift die Fingernägel an. Als ich eintrat, blickte sie auf.

»Hi, Louis«, sagte sie leise.

»Pris, ich habe es getan – ich habe ihm alles so erzählt, wie du es wolltest.« Ich beugte mich vor und berührte sie sanft am Arm. »Ich bin frei. Sie haben mich entlassen. Ich kann wieder nach Hause.«

»Dann geh.«

Ich starrte sie perplex an. »Und was ist mit dir?«

»Ich hab’s mir anders überlegt. Ich habe keine Entlassung beantragt. Ich glaube, ich bleibe lieber noch ein paar Monate. Es gefällt mir hier – ich lerne Weben. Ich webe gerade einen Teppich aus schwarzer Schurwolle.« Sie schlug die Augen nieder. »Ich hab dich belogen, Louis. Ich werde so schnell nicht entlassen, ich bin viel zu krank. Ich muss hier noch lange Zeit bleiben, vielleicht für immer. Es tut mir leid, dass ich gesagt habe, ich würde bald rauskommen. Bitte verzeih mir.« Sie griff kurz meine Hand und ließ sie wieder los.