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»Nicht zu vergessen«, fügte Maury hinzu, »dass sie stark übergewichtig wurde. Sie war wirklich ganz schön dick, als du sie zum ersten Mal gesehen hast. Von selbst fing sie an, Diät zu machen. Hungerte sich die Pfunde herunter. Das tut sie sogar heute noch.«

»Und ihr brauchtet den Sprichworttest, um herauszufinden, dass sie geistig nicht gesund war? Bei der Vorgeschichte?«

Maury zuckte mit den Schultern. »Wir haben uns etwas vorgemacht. Haben uns gesagt, dass sie bloß neurotisch ist. Phobien und Rituale und so was…«

Am meisten bekümmerte es ihn, dass seine Tochter irgendwann den Sinn für Humor verloren hatte. Anstatt albern und sorglos zu sein wie früher, wurde sie so penibel wie ein Buchhalter. Und nicht nur das: Früher hatte sie Tiere gemocht; dann, während ihres Aufenthalts in Kansas City, konnte sie plötzlich keine Hunde oder Katzen mehr ertragen. Ihr Interesse an Chemie war allerdings geblieben, und das – ein Beruf sozusagen – erschien Maury als gute Sache.

»Hilft ihr die ambulante Therapie?«

»Sie bleibt damit auf einem stabilen Niveau. Sie rutscht nicht wieder ab. Sie hat immer noch starke hypochondrische Tendenzen, wäscht sich immer noch viel die Hände. Damit wird sie nie aufhören. Und sie ist immer noch überpenibel und verschlossen. Ich kann dir sagen, wie man das nennt: schizoide Persönlichkeit. Ich habe die Auswertung des Rorschachtests gesehen, den Doktor Horstowski mit ihr gemacht hat. Das ist der ambulante Arzt hier in Zone 5 nach der Systematik des FBMH. Horstowski soll sehr gut sein, aber er nimmt keine Kassenpatienten, also kostet es uns einen Haufen Geld.«

»Da seid ihr nicht die Einzigen, wenn man der Fernsehwerbung trauen darf. Wie war das noch gleich, jeder Vierte hat eine gewisse Zeit in einer staatlichen Klinik verbracht?«

»Das mit der Klinik ist mir egal, die ist umsonst. Was mich stört, ist diese teure ambulante Nachbehandlung. Es war Pris’ Idee, wieder nach Hause zu kommen, nicht meine. Ich glaube nach wie vor, sie wird wieder in der Kasanin landen, aber sie hat sich auf den Entwurf des Simulacrums gestürzt, und wenn sie nicht damit beschäftigt war, hat sie die Badezimmerwände mit Mosaiken gepflastert. Sie ist ständig in Bewegung. Ich habe keine Ahnung, wo sie die Energie hernimmt.«

»Wenn ich so darüber nachdenke, wie viele Leute ich kenne, die an einer psychischen Erkrankung gelitten haben, dann ist das kaum zu fassen. Meine Tante Gretchen, sie ist in der Harry-Stack-Sullivan-Klinik in San Diego. Mein Cousin Leo Roggis. Mein Englischlehrer an der Highschool, Mr. Haskins. Der alte italienische Rentner ein Stück die Straße runter, George Oliveri. Ich erinnere mich noch an einen Kumpel beim Militär, Art Boles. Er hatte Schizophrenie und kam in die Fromm-Reichmann-Klinik in Rochester, New York. Dann Alys Johnson, mit der ich auf dem College zusammen war. Sie ist in der Samuel-Anderson-Klinik in Zone 3, also in Baton Rouge, Louisiana. Und ein Mann, für den ich gearbeitet habe, Ed Yeats – Schizophrenie, die sich zur Paranoia auswuchs. Und Waldo Dangerfield, noch ein Kumpel. Gloria Milstein, eine frühere Bekannte von mir, die wirklich enorme Brüste hatte, wie Birnen… Sie ist weiß Gott wo. Sie wurde bei einem psychologischen Einstellungstest erwischt, als sie sich als Schreibkraft beworben hatte. Die Typen vom FBMH kamen runtergesaust und zack, weg war sie. Sie war sehr süß. Dann John Franklin Mann, ein Gebrauchtwagenhändler, den ich kannte. Er erwies sich bei einem Test als Schizophrener und wurde abgeholt und vermutlich in die Kasanin gesteckt, weil er Verwandte in Missouri hatte. Und Marge Morrison, noch eine Bekannte von mir. Sie hatte die Sorte Hebephrenie, an die ich lieber nicht denken will. Aber sie ist wieder draußen, ich hab eine Karte von ihr bekommen. Und Bob Ackers, ein ehemaliger Mitbewohner. Und Eddy Weiss…«

Maury war aufgestanden. »Gehen wir lieber.«

Wir verließen das Café. »Kennst du eigentlich diesen Sam Barrows?«, fragte ich.

»Klar. Nicht persönlich natürlich. Aber ich weiß, dass er ein Teufelskerl ist. Er würde auf alles wetten. Wenn eine seiner Geliebten – und das ist allein auch schon wieder eine Geschichte –, wenn eine seiner Geliebten aus dem Fenster springen würde, würde er darauf wetten, womit sie zuerst auf dem Pflaster aufschlägt, mit dem Kopf oder mit dem Hintern. Als würde einer dieser Großspekulanten von früher in ihm weiterleben. Für einen Menschen wie ihn ist das Leben ein Glücksspiel. Ich bewundere ihn.«

»Pris bewundert ihn auch.«

»Nein – sie betet ihn an, verdammt. Sie ist ihm begegnet. Sie haben sich gegenseitig niedergestarrt. Er hat sie elektrisiert oder magnetisiert oder irgend so einen Scheiß. Danach hat sie wochenlang kaum ein Wort rausgebracht.«

»Das war, als sie auf Jobsuche war?«

Maury nickte. »Sie hat den Job zwar nicht gekriegt, aber sie ist ins Allerheiligste vorgedrungen. Weißt du, dieser Bursche kann in alle Richtungen Möglichkeiten aufspüren, Chancen, die andere in tausend Jahren nicht sehen würden. Such dir bei Gelegenheit mal die Fortune-Ausgabe raus, die haben vor zehn Monaten oder so einen Riesenartikel über ihn gebracht.«

»Nach dem, was Pris mir erzählt hat, hat sie ihm gegenüber den Mund ganz schön voll genommen.«

»Sie hat ihm gesagt, dass sie eine unglaublich wertvolle Mitarbeiterin sein könnte – was niemand erkennt. Er sollte es wohl erkennen, jedenfalls hat sie gesagt, dass sie in seiner Firma bis an die Spitze aufsteigen und im ganzen Universum bekannt werden würde. Davon abgesehen hat sie sich einfach so aufgeführt, wie sie nun mal ist. Sie hat ihm gesagt, dass sie ebenfalls eine Spielernatur wäre und bereit sei, alles aufs Spiel zu setzen, um für ihn arbeiten zu können. Kannst du das glauben?«

»Nein.« Davon hatte sie mir nichts erzählt.

Maury schwieg einen Moment, dann sagte er: »Die Edwin M. Stanton war ihre Idee.«

Also stimmte es. In meinem Magen machte sich ein flaues Gefühl breit. »Und war es auch ihre Idee, Stanton zu nehmen?«

»Nein, das kam von mir. Sie wollte eigentlich ein Simulacrum, das wie Sam Barrows aussieht. Aber es gab nicht genug Datenmaterial für das Zentralmonadenlenksystem, also haben wir uns Nachschlagewerke über berühmte historische Figuren besorgt. Und ich habe mich schon immer für den Bürgerkrieg interessiert, das war früher mal ein Hobby von mir. Das hat dann den Ausschlag gegeben.«

»Verstehe.«

»Sie denkt trotzdem ständig nur an Barrows. Ihr Therapeut nennt das eine Obsession.«

Wir gingen weiter zum Büro von MASA Associates.

 Vier

Als wir dort ankamen, rief gerade mein Bruder Chester aus Boise an und erinnerte uns daran, dass wir die Edwin M. Stanton bei ihnen zurückgelassen hatten und bitte doch abholen sollten.

»Wir schauen, dass wir heute noch vorbeikommen«, versprach ich ihm.

»Sie sitzt noch da, wo ihr sie gelassen habt. Vater hat sie heute Morgen für ein paar Minuten angestellt, um zu sehen, ob sie die Nachrichten hat.«

»Nachrichten?«

»Ja, die Morgennachrichten. Wie bei David Brinkley im Fernsehen.«

Er meinte, ob sie die Nachrichten brachte. Also war meine Familie zu dem Schluss gekommen, dass ich recht hatte – es war nur eine Maschine, kein Mensch.

»Und? Hat sie?«

»Nein. Sie hat sich über die Unverschämtheit bestimmter Kommandanten auf dem Schlachtfeld ausgelassen.«

Als ich auflegte, sagte Maury: »Pris kann sie abholen.«

»Hat sie denn ein Auto?«

»Sie kann den Jaguar nehmen. Und vielleicht fährst du besser mit, für den Fall, dass dein Vater doch noch Interesse zeigt.«