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Ren begann in dem Abstellraum auf und ab zu gehen. Sobald er zur Wand kam, machte er kehrt, immer schneller, bis er sich buchstäblich im Kreis drehte. Er rieb mit der flachen Hand über seine Narbe, dann hörte er, wie ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde. Die Tür ging auf, und McGinty kam herein, in der Hand eine Papiertüte von der Größe und Form eines menschlichen Kopfes. Er war geschäftsmäßig gekleidet; sein gelbes Jackett war zugeknöpft, die Bänder an den Ärmeln zugebunden und nach innen geschoben. Er stellte die Tüte auf den Tisch.

»Da«, sagte er.

Ren starrte entsetzt die Tüte an.

»Das ist für dich«, sagte McGinty. »Mach auf.«

Ren berührte das knittrige Papier. Langsam und mit zitternden Fingern klappte er den umgeknickten Rand auf. Und während der ganzen Zeit spürte er, dass McGinty hinter ihm stand.

Die Tüte war voller Süßigkeiten. Pfefferminzstangen und Lakritzschnecken, Lutscher und weicher Karamell, Fruchttoffees, saure Drops, Schokoladetäfelchen, Zitronenbonbons, Erdnussriegel, Karamellbonbons, Blätter aus Ahornsirup, süßer Speck, mit Schokolade überzogene Karamelltoffees, Geleebohnen und Dauerlutscher. Ren hatte von solchen Köstlichkeiten gehört und sie in Schaufenstern gesehen, aber probiert hatte er sie nie. Der Zuckergeruch stieg ihm wie eine Wolke in die Nase, so dass er ganz benommen wurde und zugleich Heißhunger bekam.

McGinty leerte die Tüte aus, und die Süßigkeiten purzelten in einem Wirbel bunter Farben auf den Tisch, bedeckten die Notizbücher und kullerten auf den Boden. »Na los«, sagte er. »Iss.«

Ren fragte sich, ob das Zuckerzeug vergiftet war.

»Die da mag ich am liebsten«, sagte McGinty, nahm sich eine Pfefferminzstange und brach sie in Stücke. Ein paar Minuten lang lutschte er an dem süßen Zeug und bewegte es in seinem Mund herum, dann zerbiss er es. Er nahm noch eine Pfefferminzstange und hielt sie Ren hin. »Probier mal.«

Ren musste an Mr. Bowers denken, der sein Gebiss herausgenommen hatte, als lüftete er ein Geheimnis, und gesagt hatte: »Das passiert mit Leuten, die Marmelade essen.« Er schüttelte den Kopf.

»Jetzt versuch schon, Herrgott noch mal!«, brüllte McGinty.

Ren riss ihm die Stange aus der Hand und schob sich das ganze Ding in den Mund. Die Süße war fast unerträglich; sein Mund füllte sich mit Speichel, und plötzlich war es ihm egal, ob das Zeug vergiftet war oder nicht.

»Schon besser«, sagte McGinty.

Ren wickelte einen Schokoladenriegel aus und aß ihn in drei Bissen, die seine Zunge in geschmolzene Süße einhüllten. Er zerbiss einen Brocken Kandiszucker, bis er zwischen seinen Zähnen zersplitterte; er hielt ein Toffee mit den Zähnen fest und zog es in die Länge. Er saugte den Saft aus einer Geleebohne und stopfte sich ein Stück Türkischen Honig in die Backe, wo er an den Zähnen festklebte und sich ganz allmählich auflöste.

»Hast du dir die angeschaut?« McGinty zeigte auf die Bücher mit den Mausefallenskizzen.

Ren wischte sich den Mund ab. »Ja.«

McGinty nahm eines davon und schlug es auf. Er blätterte eine Seite um, dann noch eine und zeigte Ren die Zeichnung eines Kästchens, in dem eine Miniaturguillotine verborgen war. Wenn sich die Maus den Käse holte, berührte sie einen Hebel, und ihr winziger Kopf purzelte auf der anderen Seite heraus.

»Ich habe als Rattenfänger angefangen«, sagte McGinty.

»Schwarze Ratten, braune Ratten und rote Ratten. Die schwarzen kommen durch die Abflussrohre rauf, die braunen hausen überall in den Wänden, und die roten haben es auf das Vieh abgesehen. Die fressen auch einen Hund oder ein Baby, wenn man ihnen Gelegenheit dazu gibt.«

McGinty blätterte ein paar Seiten weiter, dann zeigte er Ren eine Zeichnung von einer Schar Ratten, die ein Kind durch ein Loch in der Wand zu zwängen versuchten. Einige schoben an, andere zogen, etliche knabberten an den Stellen dazwischen.

»Mäuse sind nicht so schlau wie Ratten. Aber sie vermehren sich schneller. Als ich angefangen habe, Mausefallen zu bauen, gingen sie so schnell weg, wie ich sie herstellen konnte. Doch nach einiger Zeit haben sie ihren Zweck nicht mehr erfüllt, weil die Mäuse dahintergekommen sind, wie sie funktionieren. Sie geben die Information weiter, von einer Maus zur nächsten. Also habe ich mir eine neue Falle ausgedacht und sie wieder gefangen. Und als das nicht mehr klappte, habe ich mir wieder eine neue ausgedacht. Der Trick dabei ist, dass man die Fallen ständig verändert, damit sie vergessen, was sie umbringt.«

McGinty klappte das Buch zu. Er schob sich noch ein Bonbon in den Mund. »Du warst ein hässlicher Säugling.«

Ren hielt eine Geleebohne in der Hand. Er spürte, wie sie allmählich aufweichte, als seine Handfläche vor Schreck glitschig wurde, wie seine verwirbelten Fingerabdrücke sich an der Oberfläche abzeichneten.

»Aber ähnlich siehst du ihr nicht. Überhaupt nicht.«

McGinty griff in sein Jackett und zog seine Taschenuhr heraus. Er drückte auf die Stellschraube, und der Deckel sprang auf. Darunter befand sich eine handgearbeitete Uhr und innen im Deckel das Miniaturporträt einer jungen Frau. Sie war wunderschön. Ihr Haar hatte die Farbe von Kastanien, ihre Haut war so blass, dass sie leuchtete. Volle Lippen formten einen weichen Mund, und in ihren dunkelblauen Augen lag ein leichtes Blitzen, als machte sie sich über den Künstler lustig, der sie malte. McGinty ließ die Uhr wieder zuschnappen. Er strich mit dem Daumen ein paar Mal über den Deckel, dann legte er sie zwischen sich und den Jungen auf den Tisch.

»Das ist meine Schwester.« McGinty nahm sich noch eine Pfefferminzstange und biss sie entzwei. Winzige rote und weiße Zuckersplitter glitzerten auf seiner Zunge. »Sie hat behauptet, du seist gestorben, nachdem du deine Hand verloren hast. Aber ich hätte wissen müssen, dass sie lügt.«

Die Geleebohne war geschmolzen. Rens Hand war mitten hindurchgegangen, und nun klebten seine Finger, und das süße Zeug lag in zwei Teilen auf dem Boden. Er blickte unverwandt auf die Uhr. Er wollte sie noch einmal von innen sehen. Er hörte das Uhrwerk auf dem Tisch arbeiten, wie ein winziges Herz aus Metall.

»Ihr habt einen Fehler gemacht«, sagte er.

McGinty hörte auf zu beißen. »Ich mache keine Fehler.«

Ren spürte, dass das ganze Zuckerzeug in seinem Magen zusammenklebte, zu rumoren begann und sich mit Gewalt den Weg nach oben bahnte. Er umklammerte die Tischkante, drehte sich zur Seite und erbrach sich in eine offene Kiste voller Mausefallen. Als nichts mehr kam, wischte er sich den Mund mit dem Ärmel ab. »Ich möchte nach Hause«, heulte er. Doch kaum hatte er die Worte ausgesprochen, merkte er, wie unsinnig sie waren. Er hatte kein Zuhause.

McGinty lehnte sich an den Schreibtisch. Er nahm einen goldenen Federhalter und kratzte damit den Schmutz unter seinen Fingernägeln heraus.

»Du hast behauptet, du bist ein Waisenkind.«

»Ja.« Eingeschüchtert und verstört beugte sich Ren über die Kiste mit den Mausefallen. Wenn dieser Mann sich für seinen Onkel hielt, dann war er einer von denen, die ihren eigenen Neffen in eine Rumpelkammer sperren.

»Iss noch was Süßes.«

Ren nahm ein Pfefferminz. Schon bei dem Geruch zog sich sein Magen zusammen. Er steckte das Pfefferminz in den Mund und hielt es so mit den Zähnen fest, dass es die Zunge nicht berührte.

McGinty stupste ihn mit dem Fuß an. »Und die ganze Zeit ist niemand gekommen, um dich zu holen?«

Ren schüttelte den Kopf.

»Bist du sicher?«

Ren nickte schwach.

»Nimm dir noch ein Bonbon.«

»Ich habe keine Familie!«, schrie Ren. »Ich habe niemanden!«

»Tja«, sagte McGinty und hielt kurz inne. »Jetzt hast du mich.« Er schob sich noch eine Pfefferminzstange in die Backentasche und ließ sie da stecken wie einen langen bunten Zahnstocher.