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»Ich mach jetzt die Tür auf«, sagte sie.

Im Gang war es düster, und es roch nach Schmierfett. Sie bogen um eine Ecke und kamen an einem mit Kisten vollgepackten Raum nach dem anderen vorbei. In einem Türrahmen lehnte der Zylinder und rauchte eine dünne braune Zigarette. Er betrachtete die beiden, als sie vorbeigingen. Ren hielt den Kopf unter der Haube gesenkt. Mit einem Ruck wandte die Hasenscharte ihren Kopf dem Zylinder zu, der gerade zu einem Pfiff ansetzen wollte, dann aber innehielt, als er ihr Gesicht sah.

Die Reihen von Arbeitsplätzen in der Fabrikhalle wurden von schwachen Deckenlampen erhellt. Die Hasenscharte führte Ren in die dunkelste Ecke und platzierte ihn direkt neben sich, so dass er mit den anderen Mädchen, die das Holz stapelten und die Stücke in die Säge schoben, in einer Reihe stand.

»Schau nicht hoch«, flüsterte sie. »Egal, was passiert.« Ein paar Mädchen sahen kurz herüber, wandten sich dann wieder ihrer Arbeit zu. Sie kümmerten sich nicht weiter um Ren, aber ihm war klar, dass sie Bescheid wussten. Sie hielten die Köpfe gesenkt, bewegten flink ihre Finger und bauten weiter ihre Fallen zusammen, so als schliefe der Werksleiter nicht am anderen Ende der Halle unter seinem Mantel, sondern stünde direkt hinter ihnen.

Auf diese Weise verging eine Stunde. Und noch eine. Ren verbarg seine Narbe und hielt sich dicht neben der Hasenscharte und ahmte jede ihrer Bewegungen nach, ständig erfüllt von der Angst, entdeckt zu werden. Seine Finger waren voller Schmiere, die Bretter kreischten, wenn sie durchgesägt wurden, und auf sein Gesicht legte sich eine feine Schicht Sägemehl. Einmal rutschte seine Hand ab, weil er das Holzstück ohne den Armstumpf nicht festhalten konnte; es zerbrach, und die Splitter spritzten über den ganzen Tisch. Rasch griff die Hasenscharte ein und legte ihm ein anderes hin. Der Werksleiter hob kurz den Kopf, ließ sich dann wieder zurücksinken und schloss die Augen.

Mit der Zeit taten Ren die Schultern weh. Doch je länger er neben der Hasenscharte stand und mitbekam, wie der Alltag für sie aussah, mit all dem Lärm und dem Schmutz in der Mausefallenfabrik, desto mehr rührte sie sein Herz. Er beobachtete, wie gewissenhaft sie die Holzstücke sägte und stapelte. Ihm wurde klar, dass sie ihn rettete, weil sie hoffte, auf diese Weise selbst von hier wegzukommen. Er brachte es nicht übers Herz, ihr zu sagen, dass Benjamin längst über alle Berge war.

Als die Fabrikglocke läutete, brachte die Hasenscharte rasch ihren Arbeitsplatz in Ordnung; dann nahm sie Ren bei der Hand. Ihre Handfläche war glitschig vor Schweiß. Die anderen Arbeiterinnen traten von ihren Werkbänken zurück und bildeten einen Kreis um die beiden. Sie kamen so dicht heran, dass Ren die Schmiere auf ihren Kleidern riechen konnte, das Sägemehl in ihren Haaren, ihre billige Seife und den Puder.

Die Mädchen bewegten sich im Pulk vorwärts, Ren in ihrer Mitte. Um hinauszugelangen, mussten sie am Werksleiter vorbei, der jetzt am Tor stand. Ren sah ihn ein paar Meter vor sich; er bohrte in der Nase und zählte die Arbeiterinnen, die zur Tür hereinkamen und hinausgingen. Die Hasenscharte umklammerte Rens Finger, und die Mausefallenmädchen drängten sich dichter um die beiden. Ren war überzeugt, dass der Mann ihn entdecken würde, und musste sich zwingen, nicht loszurennen.

Als sie kurz vor dem Werksleiter waren, löste sich eines der Mädchen aus der Pension – die mit der Zahnlücke – aus der Gruppe. Sie ging auf den Mann zu, schlug den Kragen ihres Arbeitskleids weit zurück und verwickelte ihn kichernd in ein Gespräch, gerade als Ren an ihm vorbeiging.

Bis sie das Fabriktor hinter sich hatten und auf der Straße standen, blieben die Arbeiterinnen dicht beisammen, unterhielten sich laut und hoben die Schultertücher über ihre Köpfe, als sie an ein paar Hutmännern vorbeikamen, die am Eingang herumlungerten. Ren ahmte die Bewegungen der Mädchen nach und zog sich das dunkle Wolltuch übers Gesicht. Dann ergriff die Hasenscharte wieder seine Hand, und zusammen glitten sie wie auf einer Woge durch das Gewühl und spürten dabei die ganze Zeit die Fabrik im Rücken. Endlich bogen sie um eine Häuserecke. »Jetzt«, flüsterte die Hasenscharte, scherte aus und riss Ren aus der Gruppe heraus in eine Seitengasse.

Heftig atmend, lehnten sich Ren und das Mädchen an die Mauer. Über ihren Köpfen verbanden Wäscheleinen ein Gebäude mit dem nächsten. Daran hingen saubere Bettlaken und Handtücher und lange Hosen und Unterwäsche, triumphierend wie Fahnen.

»Ich weiß gar nicht, wie du heißt«, sagte Ren.

»Jenny«, sagte die Hasenscharte. Sie entzog Ren ihre Hand, doch er ergriff sie wieder und führte sie an seine Lippen; seine Haube berührte ihr Handgelenk, und sein Mund lag warm auf ihrem Handteller. Dann schleuderte er ihre Hand von sich, weil ihm plötzlich peinlich war, was er getan hatte. Das Mädchen versuchte zu grinsen, doch ihr Gesicht fiel in sich zusammen. Sie legte die andere Hand auf die Stelle, wo er sie geküsst hatte, und sagte: »Komm ja nie mehr zurück.«

Kapitel 28

Im Krankenhaus schien alles zu schlafen, die Vorhänge waren fest zugezogen, das Gebäude zeichnete sich vor dem Nachthimmel ab, an dem die Dämmerung heraufkroch. In ein paar Stunden würden die Türen aufgehen und Arzte, Studenten und Patienten einlassen, doch vorerst stand Ren draußen und schaute durch das Tor zu den Fenstern hinauf. Hinter einem von ihnen lag Mrs. Sands, und er war fest entschlossen, sie zu sehen, bevor er North Umbrage verließ.

Er wusste nicht, wie viel Zeit ihm blieb, ehe McGinty entdeckte, dass er entwischt war. Vielleicht saßen die Hutmänner schon auf ihren Pferden und kamen gleich um die Ecke. Es war riskant, hier Station zu machen, aber Ren musste sich verabschieden. Wie es danach weitergehen würde, wusste er nicht. Und er wollte sich auch gar nicht überlegen, wohin er sich wenden oder wie er für sich selbst sorgen sollte. Wenn er zu viel nachdachte, konnte er nicht weitermachen. Und weitermachen musste er. Heute und morgen. Und danach noch mindestens einen Tag.

Er hielt Ausschau nach der Glocke am Tor, ergriff das Seil und zog daran. Nach wenigen Augenblicken ging die Tür zum Keller auf, und Doktor Milton persönlich kam mit einer Laterne in der Hand heraus. Er trug noch immer einen Anzug. Verknittert zwar, aber sauber.

»Aha«, sagte der Arzt. »Da bist du ja.« Als hätte er Ren die ganze Zeit erwartet. Er holte seine Schlüssel hervor und sperrte das Tor auf. »Jetzt komm rein«, sagte er. »Sie warten schon. Wir wollten gerade anfangen.«

Ren folgte dem Arzt durch den Hof zu der Tür, die in den Keller führte. Hinter ihnen schob Doktor Milton den Riegel vor. Die Metallrutsche für die Leichen führte an den Treppenstufen entlang nach unten. Die Wände waren mit Spinnweben überzogen. Ren konnte kaum sehen, wo er den Fuß hinsetzte, und streckte beim Hinuntergehen die Arme aus, um sich vorwärtszutasten. Am Fuß der Treppe gelangten sie in einen feuchten, kühlen Raum mit gestampftem Lehmboden. Öllampen erleuchteten den Keller, in dem mehrere Operationstische standen. Ausgestreckt auf einem in der Mitte lag Tom. Die Zwillinge knieten rechts und links von ihm am Boden und hielten wieder seine Hände.

Als Ren sie erblickte, erfasste ihn eine Woge der Erleichterung. Die Angst, die ihn niedergedrückt hatte, fiel von ihm ab, als die Zwillinge aufstanden und ihn beim Namen riefen. Brom lachte, und Ichy stürzte sich auf seinen Freund. Ihre Kleider waren immer noch völlig verdreckt. An den Armen hatten sie jede Menge Kratzer und blaue Flecken, aber sie waren die Jungen aus Saint Anthony. Ihr Unglück hatte sich in Glück verwandelt.

»Wie seid ihr hierhergekommen?«, fragte Ren.

»Brom hat einen Eselskarren gestohlen.«

»Die Frau, der er gehörte, hat ihre Schweine hinter uns hergehetzt.«