Für Frances Gordon mit Liebe
Mein besonderer Dank gilt Alice Fisher Für Ihre wertvolle Unterstützung bei den Recherchen für diesen Roman.
Lives of great men all remind us
We can make our lives sublime,
And, departing, leave behind us
Footprints in the Sands of Time.
Henry Wadsworth Longfellow
Die Toten brauchen nicht aufzuerstehen.
Sie sind jetzt ein Teil dieser Erde, und die Erde kann niemals erobert werden, denn die Erde währt ewig; sie wird alle Systeme der Gewaltherrschaft überdauern. Die ehrenvoll in sie gelangt sind, und niemand ist ehrenvoller in die Erde gelangt als die in Spanien Gefallenen, haben bereits die Unsterblichkeit erlangt.
Ernest Hemingway
Spanien riss die Erde mit seinen Nägeln auf,
Als Paris am schönsten war.
Spanien ergoss seinen gewaltigen Blutstrom,
Als London seinen Park und seinen See mit Schwänen pflegte.
Pablo Neruda
VORBEMERKUNG DES AUTORS
Die Handlung dieses Romans ist erfunden. Und dennoch...
Das romantische Land des Flamencos, Don Quichottes und exotisch aussehender Senoritas mit Schildpattkämmen im Haar ist auch das Land Thomas de Torquemadas, der spanischen Inquisition und eines der blutigsten Bürgerkriege der Weltgeschichte. Bei den Machtkämpfen zwischen Republikanern und aufständischen Nationalisten verloren in Spanien über eine halbe Million Menschen das Leben. Von Februar bis Juni 1936 wurden dort zweihundertneunundsechzig politische Morde verübt, und die Nationalisten richteten pro Monat etwa tausend Republikaner hin, um die nicht öffentlich getrauert werden durfte. Hundert-sechzig Kirchen wurden niedergebrannt und Nonnen gewaltsam aus Klöstern vertrieben, »als seien sie«, wie der Herzog von Saint-Simon über eine frühere Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat in Spanien geschrieben hatte, »Huren in einem Bordell«. Zeitungsredaktionen wurden geplündert, Streiks und Unruhen überzogen das ganze Land. Der Bürgerkrieg endete mit dem Sieg von General Francos Nationalisten, und nach seinem Tode wurde Spanien wieder eine Monarchie.
Der Bürgerkrieg, der von 1936 bis 1939 dauerte, mag offiziell beendet sein, aber die beiden Spanien, die sich damals bekämpft haben, sind niemals miteinander ausgesöhnt worden. Heute tobt in Spanien ein anderer Krieg weiter: der von den Basken geführte Guerillakrieg zur Wiedererlangung ihrer Autonomie, die sie während der Republik erhalten und unter dem Franco-Regime eingebüßt hatten. Dieser Krieg wird mit Sprengstoffanschlägen, Banküberfällen zur Finanzierung von Sprengstoffkäufen, Mordanschlägen und Unruhen geführt.
Als ein Mitglied der baskischen UntergrundOrganisation ETA in einem Madrider Krankenhaus starb, nachdem er von der Polizei gefoltert worden war, führten die daraus entstehenden landesweiten Unruhen dazu, dass der Generaldirektor der spanischen Polizei, fünf Sicherheitsdirektoren und zweihundert hohe Polizeibeamte zurücktraten.
Im Jahre 1986 verbrannten Basken in Barcelona öffentlich eine spanische Flagge, und in Pamplona flüchteten Tausende aus der Stadt, als baskische Nationalisten bei Unruhen, die sich dann im ganzen Land ausbreiteten und die Stabilität der Regierung gefährdeten, der Polizei blutige Kämpfe lieferten. Die paramilitärische Polizei schlug zurück, indem sie zur Vergeltung wahllos auf Häuser und Geschäfte von Basken schoss. Der weiterexistierende Terrorismus ist gewalttätiger als je zuvor.
Die Handlung dieses Romans, der zwei turbulente Wochen des Jahres 1976 schildert, ist erfunden. Und dennoch.
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Pamplona 1976
Schlägt der Plan fehl, sterben wir alle. Mit diesem Bewusstsein überprüfte er ihn ein letztes Mal, sondierte, testete, suchte nach Schwachstellen. Aber er fand keine. Der Plan war gewagt und erforderte sorgfältige, auf die Sekunde genaue Zeitplanung. Funktionierte er, würde ihnen eine spektakuläre, des großen Cid würdige Heldentat gelingen. Schlug er jedoch fehl...
Nun, zum Sorgenmachen ist jetzt keine Zeit mehr, dachte Jaime Miro philosophisch Jetzt muss gehandelt werden!
Jaime Miro war eine lebende Legende: für die Basken ein Held, für die spanische Regierung ein Staatsfeind. Er war 1,83 Meter groß und hatte ein energisches, intelligentes Gesicht, düstere schwarze Augen und einen muskulösen Körper. Zeugen neigten dazu, ihn größer, wilder und finsterer zu schildern, als er in Wirklichkeit war. Er war ein komplizierter Mann, ein Realist, der sich darüber im klaren war, wie schlecht seine Chancen standen, ein Romantiker, der bereit war, für seine Überzeugungen in den Tod zu gehen.
Ganz Pamplona schien in einem Taumel zu leben. Dies war der letzte Morgen, an dem während der vom 7. bis 14. Juli jeden Jahres stattfindenden Fiesta de San Fermin die Stiere durch die Stadt getrieben wurden. Dreißigtausend Besucher waren aus aller Welt in die Stadt geströmt. Die meisten waren nur gekommen, um das gefährliche Schauspiel des Stiertreibens zu sehen; einige wollten jedoch ihre Männlichkeit beweisen, indem sie selbst daran teilnahmen und vor den heranstampfenden Stieren herliefen. Sämtliche Hotelzimmer waren längst ausgebucht, und Studenten aus Navarra übernachteten in Autos, Hauseingängen, Bankschalterhallen, auf dem großen Platz der Stadt und selbst auf Straßen und Gehsteigen.
Die Touristen drängten sich in den Cafes und Hotels, beobachteten die lärmenden, farbenprächtigen Umzüge mit Papiermachegiganten und hörten der Musik der mitmarschierenden Blaskapellen zu. Die Teilnehmer an den Umzügen trugen violette Roben - manche mit grünen Kapuzen, andere mit granatroten, wieder andere mit goldenen. Auf ihrem Weg durch die Straßen erinnerten diese Umzüge an regenbogenfarbene Flüsse. Ketten explodierender Feuerwerkskörper an den Strommasten und -leitungen der Straßenbahn vermehrten den Lärm und die allgemeine Verwirrung.
Die Menge war gekommen, um die abendlichen Stierkämpfe zu sehen, aber das spektakulärste Ereignis war der »Encierco« - der frühmorgendliche Auftrieb der Stiere, die später in der Arena kämpfen würden.
Zehn Minuten vor Mitternacht waren die Stiere aus den Corrales de gas, den Aufnahmekorralen, durch die verdunkelten Straßen der unteren Stadt und auf einer Brücke über den Fluss zu dem Korral am Ende der Calle Santo Domingo getrieben worden, in dem sie die Nacht verbringen würden. Morgens würden sie freigelassen werden und durch die enge Calle Santo Domingo laufen, auf der hölzerne Barrieren an jeder Kreuzung ein Entkommen verhinderten, um schließlich in die Korrale auf der Plaza de Hemingway zu gelangen, in denen sie bis zum nachmittäglichen Stierkampf bleiben würden.
Die Besucher blieben von Mitternacht bis acht Uhr morgens wach, tranken und sangen und liebten sich, weil sie vor Aufregung keinen Schlaf fanden. Wer am Stiertreiben teilnehmen würde, trug den roten Schal San Fer-mins um den Hals.
Ab Viertel vor sechs marschierten Blaskapellen durch die Straßen und spielten die ins Blut gehende Musik Navarras. Um Punkt sieben Uhr verkündete eine abgeschossene Rakete, dass die Korraltore geöffnet worden waren. Die Menge wurde von fieberhafter Erregung erfasst. Unmittelbar danach stieg eine zweite Rakete auf, um die Stadt zu warnen, dass die Stiere los waren.
Nun folgte ein unvergessliches Schauspiel.
Zuerst kam das Geräusch. Es begann mit einem schwachen, fernen, eben wahrnehmbaren Rauschen im Wind und wurde dann lauter und lauter, zu einer Explosion aus donnernden Hufen, mit der plötzlich sechs Ochsen und sechs riesige Stiere auftauchten. Die je siebenhundert Kilogramm schweren Kolosse rasten die Calle Santo Domingo wie ein tödlicher Schnellzug entlang. Vor den hölzernen Barrieren, die an jeder Kreuzung aufgestellt worden waren, um die Tiere am Verlassen der Straße zu hindern, standen Hunderte von eifrigen, nervösen jungen Männern, die sich den tobenden Bestien stellen wollten, um ihren Mut zu beweisen.