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Die beiden starrten sie an, als seien sie zu benommen, um zu antworten.

Dann kam Schwester Teresa mit einem Gegenstand gelaufen, den sie in ein Leinentuch gewickelt hatte. Die unbekannten Männer trieben weitere Nonnen ins Refektorium.

»Los, wir verschwinden!« drängte Lucia.

Die Schwestern Teresa, Megan und Graciela zögerten noch einen Augenblick; dann folgten sie Lucia zur Pforte. Als sie um eine Ecke des langen Korridors bogen, sahen sie, dass das massive Portal aufgebrochen worden war.

Plötzlich tauchte ein Mann vor ihnen auf. »Wohin so eilig, meine Damen? Zurück! Meine Freunde möchten sich noch ein bisschen mit euch amüsieren.«

»Wir haben ein Geschenk für Sie«, sagte Lucia und griff lächelnd nach einem der schweren Kerzenleuchter auf den Tischen der Eingangshalle.

Der Mann betrachtete den Leuchter verständnislos. »Was kann man damit anfangen?«

»Das.« Lucia schlug ihm den Leuchter auf den Kopf, und der Mann brach bewusstlos zusammen.

Die drei Nonnen starrten sie entsetzt an.

»Weiter!« sagte Lucia.

Wenige Augenblicke später erreichten Lucia, Megan, Teresa und Graciela den Vorhof und hasteten durchs Tor in die sternenklare Nacht hinaus.

Lucia blieb stehen. »Hier trennen sich unsere Wege. Sie suchen bestimmt nach euch, deshalb verschwindet ihr am besten so rasch wie möglich.«

Sie wandte sich ab und machte sich auf den Weg zu den Bergen, die in der Ferne über dem Kloster aufragten. Du hältst dich dort oben versteckt, bis die Suche abgebrochen wird, und versuchst dann, dich in die Schweiz durchzuschlagen. Dieses verdammte Pech! Die Scheißkerle haben mir meine perfekte Tarnung versaut!

Auf halber Höhe des ersten Hügels drehte Lucia sich noch einmal um. Von diesem Beobachtungspunkt aus konnte sie die drei Nonnen sehen. Unglaublicherweise standen sie noch immer wie schwarzweiße Statuen vor dem Klostertor. Um Himmels willen, dachte sie. Seht zu, dass ihr verschwindet, bevor sie euch schnappen. Bewegt euch!

Sie waren zu keiner Bewegung imstande. Ihre Sinne schienen so lange gelähmt gewesen zu sein, dass sie jetzt außerstande waren, die Ereignisse um sie herum zu erfassen. Die Zisterzienserinnen starrten vor sich hin zu Boden. Sie waren zu benommen, um einen klaren Gedanken fassen zu können. Sie hatten so lange abgeschieden hinter Gottes Wällen gelebt, dass das Bewusstsein, außerhalb dieser schützenden Mauern zu sein, sie mit Angst und Verwirrung erfüllte.

Die drei wussten nicht, wohin sie sich wenden und was sie tun sollten. Im Kloster waren ihnen alle Entscheidungen abgenommen worden. Sie waren ernährt und gekleidet und angewiesen worden, dies oder jenes zu dieser oder jener Zeit zu tun. Sie hatten nach der Ordensregel gelebt. Aber plötzlich gab es keine Regel mehr. Was erwartete Gott von ihnen? Was hatte er mit ihnen vor? Sie standen dicht beieinander, hatten Angst, miteinander zu sprechen, und fürchteten sich davor, einander ins Gesicht zu blicken.

Schließlich deutete Schwester Teresa zögernd auf die in der Ferne erkennbaren Lichter Avilas und machte ein Zeichen: Dorthin.

Nein, ihr Idiotinnen! dachte Lucia, die sie vom ersten Hügel aus beobachtete. Dort suchen sie euch zuerst. Aber das ist euer Problem. Ich habe eigene Sorgen. Sie blieb einen Augenblick unbeweglich stehen und sah die anderen ins Verderben, zur Schlachtbank rennen. Scheiße!

Lucia rannte bergab, stolperte in dem Geröll, das den Weg bedeckte, und lief hinter den dreien her, wobei der schwere Habit sie behinderte.

»He, wartet einen Augenblick!« rief sie. »Halt!«

Die Ordensschwestern blieben stehen und drehten sich nach ihr um.

Lucia erreichte sie völlig außer Atem. »Ihr lauft in die falsche Richtung. In der Stadt suchen sie euch zuerst. Ihr müsst euch irgendwo verstecken.«

Das Trio starrte sie schweigend an.

»In den Bergen!« sagte Lucia ungeduldig. »Ihr müsst in die Berge. Los, kommt mit!«

Sie machte kehrt und ging auf dem Weg zurück, den sie gekommen war. Die anderen sahen ihr nach, zögerten kurz und folgten ihr dann in Reih und Glied.

Von Zeit zu Zeit sah Lucia sich nach ihnen um, weil sie sich vergewissern wollte, dass sie tatsächlich hinter ihr waren. Weshalb kannst du dich nicht um deinen eigenen Scheiß kümmern? dachte sie dabei. Du bist nicht für sie verantwortlich. Als Vierergruppe sind wir viel eher gefährdet. Trotzdem stieg sie weiter bergauf und achtete darauf, dass sie keine abhängte.

Den anderen fiel es schwer, mit ihr Schritt zu halten, und Lucia blieb zwischendurch immer wieder stehen, damit sie zu ihr aufschließen konnten. Morgen früh schaffst du sie dir vom Hals.

»Los, wir haben’s eilig!« rief Lucia.

Im Kloster Avila ging der Überfall zu Ende. Die verwirrten Nonnen in ihren verknitterten, blutbefleckten Habiten wurden zusammen getrieben und in neutrale Kastenwagen verladen.

»Bringt sie in die Madrider Zentrale«, befahl Oberst Acoca, »und sperrt sie in Einzelzellen.«

»Unter welcher Anklage?«

»Unterstützung von Terroristen.«

»Zu Befehl, Oberst«, sagte Arrieta. Er zögerte. »Vier der Nonnen sind verschwunden.«

Acocas Blick wurde eisig. »Findet sie!«

Oberst Acoca flog nach Madrid zurück, um dem Ministerpräsidenten Bericht zu erstatten. »Jaime Miro hat sich abgesetzt, bevor wir das Kloster erreicht haben.«

Ministerpräsident Martinez nickte. »Ja, das habe ich gehört.« Und er fragte sich, ob Miro überhaupt jemals im Kloster Avila gewesen war. Eines stand außer Zweifeclass="underline" Oberst Acoca wurde gefährlich unbeherrschbar. Der brutale Überfall auf ein Nonnenkloster hatte zu erregten Protesten geführt. Der Ministerpräsident wählte seine Worte sorgfältig. »Die Zeitungen haben mir wegen der dortigen Ereignisse heftig zugesetzt.«

»Die Zeitungen stilisieren diesen Terroristen zum Helden hoch«, sagte Acoca kalt. »Wir dürfen uns von ihnen nicht unter Druck setzen lassen.«

»Er bringt meine Regierung in große Verlegenheit, Oberst. Und diese vier Nonnen - wenn die auspacken.«

»Seien Sie unbesorgt, die kommen nicht weit. Ich fange sie wieder ein, und ich spüre Miro auf.«

Der Ministerpräsident war bereits zu dem Schluss gekommen, dass sie keine weiteren Risiken mehr auf sich nehmen durften. »Oberst, ich möchte, dass Sie dafür sorgen, dass die sechsunddreißig Nonnen in der Haft gut behandelt werden. Und ich habe angeordnet, dass die Armee sich an der Fahndung nach Miro und den anderen beteiligt. Sie arbeiten dabei mit Oberst Sostelo zusammen.«

Nun folgte eine lange, gefährliche Pause. »Wer von uns beiden leitet das Unternehmen?« Acocas Augen blitzten eisig.

Ministerpräsident Martinez schluckte trocken. »Natürlich Sie, Oberst.«

Beim ersten Tageslicht waren Lucia und die drei Klosterschwestern, die Avila und das Kloster hinter sich zurückgelassen hatten, weiter nach Norden in die Berge unterwegs. Die Nonnen, die es gewöhnt waren, sich schweigend zu bewegen, kamen fast lautlos voran. Die einzigen Geräusche waren das Rascheln ihrer Habite, das Klicken von Rosenkränzen, ein gelegentliches Knacken, wenn ein Zweig brach, und ihr keuchendes Atemholen, während sie höher und höher stiegen.

Sie erreichten ein Plateau des Gredos-Massivs und folgten einer zwischen Steinwällen verlaufenden schmalen Straße mit tiefen Fahrspuren. Auf beiden Seiten der Straße lagen Weideflächen mit Ziegen und Schafen. Bei Sonnenaufgang hatten sie bereits einige Kilometer zurückgelegt und durchquerten ein Wäldchen außerhalb des Dorfes Villacastin.

Hier trennst du dich von ihnen, beschloss Lucia. Ab jetzt kann ihr Gott sich um sie kümmern. Um dich hat er sich auch großartig gekümmert, überlegte sie sich erbittert. Du bist weiter von der Schweiz entfernt als je zuvor. Du hast kein Geld und keinen Reisepass und siehst in diesem Aufzug wie eine Vogelscheuche aus. Diese Männer wissen inzwischen, dass wir geflüchtet sind. Sie lassen bestimmt nicht locker, bis sie uns aufgespürt haben. Je früher du dich von den anderen trennst, desto besser ist’s für dich.