»Cogeme!«
»Mamame la verga!«
»Metela en culo!«
Noch bevor Graciela zehn Jahre alt war, hatte sie sämtliche obszönen Ausdrücke der spanischen Sprache gehört. Sie wurden geflüstert, geschrieen, geseufzt oder gestöhnt. Die leidenschaftlichen Schreie stießen Graciela ab - und weckten zugleich seltsame Sehnsüchte in ihr.
Der Maure zog ein, als Graciela vierzehn Jahre alt war. Er war der größte Mann, den sie je gesehen hatte: ein schwarzhäutiger Riese mit glattrasiertem Schädel, gewaltigen Schultern, mächtigem Brustkasten und muskelbepackten Armen. Der Maure war mitten in der Nacht gekommen, als Graciela bereits schlief, so dass sie ihn erstmals sah, als er den Vorhang öffnete und auf dem Weg zum Außenabort hinter dem Haus nackt an ihrem Bett vorbeiging. Bei seinem Anblick hatte Graciela Mühe, einen Aufschrei zu unterdrücken. Alles an ihm war so riesig! Damit bringt er Mama um, war ihr erster Gedanke.
Der Maure starrte sie an. »Hm, hm. Und wen haben wir da?«
Dolores Pinero kam hastig aus dem Bett und trat an seine Seite. »Meine Tochter«, sagte sie knapp.
Heißes Schamgefühl durchflutete Graciela, als sie ihre Mutter nackt neben dem Mann stehen sah.
Der Maure lächelte und ließ dabei prachtvoll weiße, ebenmäßige Zähne sehen. »Wie heißt du, Guapa?«
Graciela war wegen seiner Nacktheit so verlegen, dass sie kein Wort herausbrachte.
»Sie heißt Graciela. Sie ist geistig behindert.«
»Sie ist schön. Ich möchte wetten, dass du wie sie ausgesehen hast, als du jung gewesen bist.«
»Ich bin noch immer jung!« fauchte Dolores Pinero. Sie wandte sich an ihre Tochter. »Zieh dich an, sonst kommst du zu spät zur Schule.«
»Ja, Mama.«
Der Maure blieb stehen und starrte sie an.
Dolores zog ihn am Arm. »Komm wieder ins Bett, Querido«, gurrte sie. »Wir sind noch nicht fertig.«
»Später«, sagte der Maure. Er ließ Graciela noch immer nicht aus den Augen.
Der Maure blieb. Auf dem Heimweg von der Schule betete Graciela jeden Tag, er möge ausgezogen sein. Aus ihr unerklärlichen Gründen versetzte er sie in Angst und Schrecken. Obwohl er stets freundlich zu ihr war und nie aufdringlich wurde, ließ allein der Gedanke an ihn Graciela am ganzen Leib erzittern.
Ihre Mutter behandelte er dagegen ausgesprochen schlecht. Der Maure lungerte auch tagsüber in dem Häuschen herum und trank viel. Er nahm Dolores Pinero alles Geld ab, das sie mühsam verdiente. Graciela hörte manchmal, wie er sie nachts schlug, nachdem sie sich eben noch geliebt hatten. Am nächsten Morgen hatte Dolores dann ein blaues Auge oder eine geplatzte Lippe.
»Warum hältst du’s mit ihm aus, Mama?« fragte Graciela.
»Das würdest du nicht verstehen«, antwortete sie unwirsch. »Er ist ein richtiger Mann, kein Zwerg wie die anderen. Er weiß, wie man eine Frau befriedigt.« Sie fuhr sich kokett mit einer Hand durchs Haar. »Außerdem ist er ganz verrückt nach mir.«
Das glaubte Graciela ihr nicht. Sie wusste, dass der Maure ihre Mutter ausnützte, aber sie wagte nicht, nochmals dagegen zu protestieren. Sie hatte zuviel Angst vor dem cholerischen Temperament ihrer Mutter, denn wenn Dolores Pinero wirklich zornig wurde, wusste sie oft nicht mehr, was sie tat. So war sie Graciela einmal mit einem Küchenmesser in der Hand nachgelaufen, weil die Kleine gewagt hatte, einem der »Onkel« einen Tee zu machen.
Eines Sonntagmorgens stand Graciela früh auf, um zur Kirche zu gehen. Ihre Mutter hatte das Haus bereits verlassen, um einige Kleider auszuliefern. Als Graciela sich ihr Nachthemd über den Kopf zog, wurde der Vorhang geöffnet, und der Maure erschien. Er war nackt.
»Wo ist deine Mutter, Guapa?«
»Mama ist schon weggegangen. Sie hat was zu erledigen.«
Der Maure betrachtete Gracielas nackten Körper. »Du bist wirklich eine Schönheit«, sagte er leise.
Graciela fühlte, dass sie errötete. Sie wusste, was sie hätte tun müssen. Sie hätte sich bedecken, Rock und Bluse anziehen und das Haus verlassen sollen. Stattdessen blieb sie wie angenagelt stehen und sah zu, wie seine Männlichkeit vor ihren Augen anschwoll und sich aufrichtete. Sie bildete sich ein, Stimmen zu hören.
»Schneller. fester!«
Ihr wurde schwach.
»Du bist noch ein Kind«, sagte der Maure heiser. »Zieh dich an und verschwinde!«
Im nächsten Augenblick setzte Graciela sich in Bewegung, auf den Mauren zu. Sie umschlang seinen Leib mit ihren Armen und spürte seine männliche Härte an ihrem Körper.
»Nein«, stöhnte sie. »Ich bin kein Kind mehr!«
Der darauf folgende Schmerz war mit nichts zu vergleichen, was Graciela jemals erlebt hatte. Er war schrecklich, unerträglich. Er war wunderbar, begeisternd, herrlich schön. Sie hielt den Mauren an sich gedrückt, während sie ekstatisch schrie. Er verschaffte ihr einen Orgasmus nach dem anderen, und Graciela dachte: Das ist also das ganze Geheimnis! Es war wundervoll, endlich das Geheimnis aller Schöpfung zu kennen, damit zu einem Teil des Lebens geworden zu sein und zu wissen, welche Freuden einen in Zukunft erwarteten.
»Was macht ihr da, verdammt noch mal?«
Das war Dolores Pineros kreischende Stimme. Einen Augenblick lang schien alles zur Bewegungslosigkeit zu erstarren, als sei die Zeit stehen geblieben. Dolores stand neben ihrem Bett und glotzte ihre Tochter und den Mauren an.
Graciela blickte vor Entsetzen stumm zu ihrer Mutter auf. In Dolores Pineros Augen funkelte besinnungsloser Zorn.
»Du Schlampe!« keifte sie. »Du elende Schlampe!«
»Mama.. bitte.«
Dolores griff nach dem schweren eisernen Aschenbecher auf dem Nachttisch und schlug ihn ihrer Tochter auf den Kopf.
Das war das letzte, woran Graciela sich erinnern konnte.
Sie wachte in einem großen Krankensaal auf, dessen zwei Dutzend Betten sämtlich belegt waren. Blasse, übermüdete Krankenschwestern eilten hin und her und bemühten sich, alle Patientinnen zu versorgen.
Gracielas Kopf schmerzte schrecklich. Bei jeder Bewegung flossen Feuerströme durch ihren Körper. Sie lag da und horchte auf das Stöhnen und Schreien der anderen.
Am späten Nachmittag blieb ein junger Assistenzarzt neben ihrem Bett stehen. Obwohl er erst Ende Zwanzig war, wirkte er alt und verbraucht.
»Aha!« sagte er. »Sie sind also endlich aufgewacht.«
»Wo bin ich?« Das Sprechen tat ihr weh.
»Im Armensaal des Provinzkrankenhauses Avila«, antwortete der junge Arzt. »Sie sind gestern in schrecklicher Verfassung eingeliefert worden. Wir haben eine Platzwunde auf Ihrer Stirn nähen müssen. Das hat der Chefarzt unserer Chirurgie selbst übernommen. Er hat gesagt, Sie seien zu schön, um Narben haben zu dürfen.«
Er täuscht sich, dachte Graciela. Diese Narbe werde ich
Am zweiten Tag kam Pater Perez, um Graciela zu besuchen. Eine Krankenschwester stellte ihm einen Stuhl an ihr Bett. Der Geistliche betrachtete das vor ihm liegende blasse schöne Mädchen und war zu Tränen gerührt. Das ganze Dorf war über Gracielas angeblichen »Unfall« empört, aber niemand konnte diese Version widerlegen. Dolores Pinero hatte bei der Polizei ausgesagt, ihre Tochter habe sich die Kopfverletzung bei einem Sturz zugezogen.
»Geht’s dir schon besser, Kind?« fragte Pater Perez besorgt.
Graciela nickte. Diese Bewegung brachte ihr pochende Kopfschmerzen ein.
»Die Polizei hat Ermittlungen angestellt. Soll ich ihr irgend etwas ausrichten?«
Graciela antwortete nicht gleich. »Es ist ein Unfall gewesen«, sagte sie schließlich.
Er konnte es nicht ertragen, ihr in die Augen zu sehen. »Ich verstehe«, murmelte er. Dann gab er sich einen Ruck. »Graciela, ich habe mit deiner Mutter gesprochen.«
Sie ahnte, was er sagen wollte. »Ich. ich kann nicht wieder nach Hause, stimmt’s?«