Bischof Calvo Ibanez war ein hagerer, gebrechlich wirkender Greis mit schütterem weißem Haarkranz. Er betrachtete die beiden Männer durch einen altmodischen goldgefaßten Kneifer.
»Buenos tardes.«
Oberst Acoca spürte einen Brechreiz. Allein der Anblick eines Geistlichen rief bei ihm Übelkeit hervor. In seinen Augen waren sie Judashammel, die ihre ahnungslosen Lämmer zur Schlachtbank führten.
Der Bischof blieb stehen und wartete auf die Einladung, Platz zu nehmen. Sie blieb jedoch aus. Martinez machte ihn auch nicht mit Oberst Acoca bekannt - eine bewusste Kränkung.
Der Ministerpräsident warf Acoca einen ratsuchenden Blick zu.
»Wir haben beunruhigende Meldungen erhalten«, sagte der Oberst knapp. »Baskische Aufständische sollen in katholischen Klöstern Versammlungen abhalten. Außerdem ist uns gemeldet worden, dass die Kirche Mönchsund Nonnenklöstern gestattet, Waffen für die Aufständischen zu lagern.« In seiner Stimme lag Stahl. »Wer den Feinden Spaniens hilft, wird selbst zum Feind Spaniens.«
Bischof Ibanez starrte ihn kurz an, bevor er sich an Leopoldo Martinez wandte. »Exzellenz, gestatten Sie mir die Bemerkung, dass wir alle Kinder Spaniens sind. Die Basken sind nicht Ihre Feinde. Sie erbitten lediglich die Freiheit, ihren.«
»Sie erbitten nichts!« brüllte Acoca los. »Sie fordern! Sie ziehen plündernd durchs Land, überfallen Banken und ermorden Polizisten - und da wagen Sie zu behaupten, sie seien keine Feinde?«
»Ich gebe zu, dass es unentschuldbare Ausschreitungen gegeben hat. Aber im Kampf für Überzeugungen kann es vorkommen, dass man.«
»Sie sind nur von sich selbst überzeugt. Spanien ist ihnen gleichgültig. Es ist, wie einer unserer großen Schriftsteller gesagt hat: Niemand in Spanien hat das Gemeinwohl im Auge. Jede Gruppierung kümmert sich nur um sich selbst. Die Kirche, die Basken, die Katalanen. Jede sagt, die anderen solle der Teufel holen.«
Der Bischof wusste, dass Oberst Acoca den Schriftsteller Ortega y Gasset verkürzt zitiert hatte; im Original wurden auch Armee und Regierung erwähnt. Aber er schwieg wohlweislich und wandte sich in der Hoffnung auf eine vernünftigere Diskussion erneut an Martinez.
»Exzellenz, die katholische Kirche.«
Der Ministerpräsident fand, Acoca sei weit genug gegangen. »Sie dürfen uns nicht mißverstehen, Eminenz. Im Prinzip steht die Regierung natürlich hundertprozentig hinter der katholischen Kirche.«
Oberst Acoca ergriff erneut das Wort. »Aber wir können nicht zulassen, dass Ihre Kirchen und Klöster als Stützpunkte unserer Feinde dienen. Falls Sie weiter gestatten, dass die Basken dort Waffen lagern und Versammlungen abhalten, müssen Sie die Konsequenzen tragen.«
»Ich bin mir ganz sicher, dass die Meldungen, die Sie erhalten haben, auf Irrtümern basieren«, sagte der Bischof gewandt. »Aber ich werde selbstverständlich sofort Ermittlungen anstellen lassen.«
»Danke, Eminenz«, murmelte der Ministerpräsident, »das war’s, was ich mit Ihnen besprechen wollte.«
Ministerpräsident Martinez und Oberst Acoca blickten dem Hinausgehenden nach.
»Na, was denken Sie?« fragte Martinez.
»Er weiß genau, was im Baskenland vorgeht.«
Der Ministerpräsident seufzte. Ich habe schon genügend Probleme am Hals, ohne mir neue durch Auseinandersetzungen mit der Kirche aufladen zu müssen.
»Wenn die Kirche für die Basken ist, ist sie gegen uns.« Acocas Stimme wurde härter. »Mit Ihrer Erlaubnis möchte ich dem Bischof eine Lektion erteilen.«
Der fanatische Blick des anderen machte den Ministerpräsidenten stutzig. Er wurde vorsichtig. »Sind bei Ihnen wirklich Berichte eingegangen, dass die Kirche die Aufständischen unterstützt?«
»Selbstverständlich, Exzellenz.«
Martinez konnte nicht nachprüfen, ob der andere ihm die Wahrheit sagte. Er wusste natürlich, wie sehr Acoca die Kirche hasste. Aber vielleicht war es ganz nützlich, sie einmal die Peitsche spüren zu lassen, solange Oberst Acoca nicht zu weit ging. Der Ministerpräsident runzelte nachdenklich die Stirn.
Der Oberst brach schließlich das Schweigen. »Wenn die Kirche Terroristen Unterschlupf gewährt, muss sie bestraft werden.«
Martinez nickte widerstrebend. »Wo wollen Sie anfangen?«
»Jaime Miro und seine Männer sind gestern in Avila gesehen worden. Wahrscheinlich halten sie sich im dortigen Nonnenkloster versteckt.«
Der Ministerpräsident traf seine Entscheidung. »Durchsuchen!« befahl er Acoca.
Diese Entscheidung setzte eine Kette von Ereignissen in Gang, die ganz Spanien erschüttern und die Welt erschrecken sollte.
3
Avila
Das Schweigen war wie sanfter Schneefall, weich und lautlos, beruhigend wie das Flüstern einer Sommerbrise, still wie der nächtliche Gang der Sterne. Die Zisterzien-serinnenabtei der Strengen Regel lag außerhalb der von Wällen umgebenen Stadt Avila, der hundertzwölf Kilometer nordwestlich von Madrid liegenden höchsten Stadt Spaniens. Das Kloster war für schweigendes Leben erbaut worden. Die Ordensregeln waren im Jahre 1601 angenommen und seither nie mehr geändert worden: Gottesdienst, Exerzitien, strenge Klausur, Buße und Schweigen. Immer das Schweigen.
Die Abtei bestand aus vier schlichten, unverputzten Wirtschaftsgebäuden um das eigentliche Kloster, das von der dazugehörigen Kirche beherrscht wurde. Durch die offenen Bogenfenster des Innenhofs fiel Tageslicht auf die großen Natursteinplatten des Fußbodens, über den die Nonnen lautlos glitten. Im Augenblick lebten vierzig Schwestern im Kloster, beteten in der Kirche und schwiegen in der Klausur. Die Abtei Avila war eine der sieben letzten ihrer Art in Spanien, wo der Bürgerkrieg in einer der dort periodisch aufflammenden kirchenfeindlichen Bewegungen Hunderte von Klöstern zerstört hatte.
Die Zisterzienserinnenabtei von der Strengen Regel war ausschließlich einem Leben im Gebet gewidmet. Es gab weder Zeit noch Jahreszeiten, und wer dort eintrat, entsagte dem weltlichen Leben für immer. Das Leben der Zisterzienserinnen bewegte sich zwischen den Polen Beschaulichkeit und Buße; Gottesdienst wurde täglich gehalten, und die Klausur war absolut und fortwährend.
Alle Schwestern waren identisch gekleidet, und ihre Ordenstracht war, wie vieles andere im Kloster, vom Symbolismus vergangener Jahrhunderte beeinflusst. Der langwallende Habit mit Kapuze symbolisierte Einfalt und Unschuld, das Leinenhemd Bußfertigkeit und die Absage an weltliche Werke, das Skapulier die Bereitschaft zu harter Arbeit. Der schwarze Schleier aus in Falten gelegtem Leinen, der Stirn, Wangen und Kinn umschloss, vervollständigte die Ordenstracht.
Hinter den Klostermauern verband ein Netz aus Korridoren und Treppen das Refektorium, das Kapitel, die Zellen und die Kapelle miteinander, und überall herrschte eine Atmosphäre kühler, sauberer Geräumigkeit. Sprossenfenster mit dicken Scheiben führten auf einen von hohen Mauern umschlossenen Garten hinaus. Alle Fenster waren mit Eisenstäben vergittert und befanden sich über Augenhöhe, so dass es keine äußeren Ablenkungen gab. Das Refektorium, der Speisesaal, war ein langgestreckter, kahler Raum mit geschlossenen Fensterläden und zugezogenen Vorhängen. Die Kerzen in den alten Leuchtern warfen geheimnisvoll flackernde Schatten über Decke und Wände.
Seit vier Jahrhunderten hatten sich innerhalb der Klostermauern nur die Gesichter der Nonnen verändert. Die Schwestern besaßen kein persönliches Eigentum, denn sie hatten den Wunsch, nach dem Vorbild der Armut Christi arm zu sein. Die Kirche selbst war schmucklos bis auf ein kostbares Kreuz aus massivem Gold - eine lange zurückliegende Schenkung einer Postulantin aus reicher Familie. Da es so gar nicht zu einem der Armut verpflichteten Orden passen wollte, blieb es in einem Wandschrank in der Sakristei versteckt. Über dem Altar in der Kirche hing statt dessen ein schlichtes Holzkreuz.