»Und das wäre?«
»Ich habe eine sehr neugierige Frau.«
Sie trafen sich im Le Cirque, und nachdem Sino sie zu ihrem Tisch geführt hatte, sagte Mike Rosen: »Sie sehen noch besser aus als auf Fotos. Ich möchte wetten, dass Ihnen das jeder erzählt.«
Er war auffällig klein und kleidete sich nachlässig. Aber sein Verstand arbeitete alles andere als nachlässig, und aus seinen Augen blitzte hellwache Intelligenz.
»Sie haben meine Neugier geweckt«, stellte er fest. »Was liegt Ihnen an Jaime Miro?«
Da hätte es so viel zu erzählen gegeben. Zu viel. »Er ist mein Freund«, sagte Megan deshalb nur. »Ich will verhindern, dass er hingerichtet wird.«
Rosens kurze Beine baumelten in der Luft, als er sich nach vorn beugte. »Ich habe mich heute morgen in einem Zeitungsarchiv über Miro informiert. Wenn die spanische Regierung ihn nur einmal hinrichten lässt, kommt er sehr glimpflich davon. Allein bei der Verlesung der Anklageschrift gegen Ihren Freund dürfte der Staatsanwalt heiser werden.« Er registrierte Megans abweisenden Gesichtsausdruck. »Tut mir leid, aber ich halte nichts von Beschönigungen. Jaime Miro ist sehr aktiv gewesen. Er hat Banken überfallen, Autobomben gezündet, Menschen ermordet.«
»Er ist kein Mörder! Er ist ein Patriot. Er kämpft für die Rechte seines Volkes.«
»Okay, okay, meinetwegen ist er ein Held. Was soll ich also tun?«
»Ihn retten.«
»Megan, wir sind so gute Freunde, dass ich Ihnen die reine Wahrheit sagen will. Nicht mal Jesus Christus persönlich könnte ihn retten. Sie verlangen ein Wunder, das.«
»Ich glaube an Wunder. Sind Sie bereit, mir zu helfen?«
Rosen sah sie einen Augenblick nachdenklich an. »Warum nicht? Wozu hat man schließlich Freunde? Haben Sie die Gänseleberpastete schon versucht? Wie ich höre, wird sie koscher zubereitet.«
Das Telefax aus Madrid lautete: Habe mit einem halben Dutzend der besten spanischen Anwälte gesprochen. Sie weigern sich, Miros Verteidigung zu übernehmen. Habe versucht, als Amicus curiae zum Verfahren zugelassen zu werden, aber das Gericht hat meinen Antrag abgelehnt. Ich wollte, ich könnte das Wunder für Sie bewirken, Freundin, aber Jesus ist noch nicht wieder auferstanden. Bin auf der Rückreise. Sie sind mir ein Mittagessen schuldig. Mike.
Das Verfahren sollte am 17. September beginnen.
»Sagen Sie alle meine Termine ab«, wies Megan ihren Assistenten an. »Ich habe in Madrid zu tun.«
»Wie lange werden Sie verreist sein, Miss Scott?«
»Das weiß ich noch nicht.«
Megan plante ihre Strategie auf dem Flug über den Atlantik an Bord ihrer Boeing 727. Es muss irgendeine Möglichkeit geben, dachte sie. Ich besitze Geld und Macht. Der Ministerpräsident ist die Schlüsselfigur. Ich muss zu ihm vordringen, bevor der Prozess eröffnet wird. Hat er einmal begonnen, ist nichts mehr zu retten.
Binnen vierundzwanzig Stunden nach ihrem Eintreffen in Madrid hatte Megan einen Termin bei Leopoldo Martinez. Der Ministerpräsident lud die amerikanische Konzernherrin zum Mittagessen in den Monclo-Palast ein.
»Ich danke Ihnen, dass Sie mich so prompt empfangen haben«, sagte Megan.
Martinez machte eine abwehrende Handbewegung. »Meine liebe Miss Scott, wenn die Chefin eines so bedeutenden Unternehmens wie Scott Industries nach Spanien kommt, um mich aufzusuchen, fühle ich mich selbstverständlich geehrt. Sagen Sie mir bitte, was ich für Sie tun kann.«
»Eigentlich wollte ich etwas für Sie tun«, antwortete Megan. »Mir ist aufgefallen, dass wir zwar einige Werke in Spanien haben, aber das tatsächlich vorhandene Potential Ihres Landes nicht annähernd nutzen.«
Die Augen des Ministerpräsidenten leuchteten, während er ihr aufmerksam zuhörte. »Ja, Miss Scott?«
»Scott Industries plant eine neue Fabrik für elektronische Bauteile. Das Werk dürfte tausend bis fünfzehnhundert Arbeitnehmer beschäftigen. Sollte die Produktion sich so erfolgreich entwickeln, wie wir erwarten, würden Zweigwerke folgen.«
»Und Sie haben noch nicht festgelegt, in welchem Land diese Fabrik gebaut werden soll?«
»Ganz recht, Exzellenz. Ich persönlich tendiere zu Spanien, aber einige meiner Führungskräfte sind mit der Menschenrechtssituation in Ihrem Lande ehrlich gesagt nicht sonderlich zufrieden.«
»Tatsächlich, Miss Scott?«
»Ja. Sie finden, dass Gegner der Regierungspolitik zu hart angepackt werden.«
»Denken Sie dabei an bestimmte Personen?«
»Ja, Exzellenz. Ich denke an Jaime Miro.«
Der Ministerpräsident starrte sie an. »Aha! Und wenn wir im Falle Miro Gnade vor Recht ergehen ließen, würden wir die Elektronikfabrik bekommen und.«
»Und noch viel mehr«, versicherte Megan ihm. »Unsere Werke erhöhen den Lebensstandard jedes Landes, in dem sie errichtet werden.«
Martinez runzelte die Stirn. »Die Sache hat einen kleinen Haken, fürchte ich.«
»Welchen? Ich bin sicher, dass alle Probleme durch Verhandlungen gelöst werden können.«
»In dieser Sache gibt’s nichts zu verhandeln, Miss Scott. Die Ehre Spaniens ist nicht käuflich. Sie können uns weder bestechen noch kaufen, noch drohen.«
»Glauben Sie mir, ich habe niemals die Absicht gehabt.«
»Sie kreuzen hier mit Almosen auf und erwarten, dass unsere Rechtsprechung sich Ihren Wünschen fügt? Das können Sie doch nicht im Ernst glauben, Miss Scott! Wir brauchen Ihre Fabriken nicht.«
Ich habe alles nur noch schlimmer gemacht, dachte Megan.
Das Verfahren dauerte knapp sechs Wochen und fand in einem schwer bewachten Gerichtssaal unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Megan blieb in Madrid und verfolgte den Prozess in der Berichterstattung von Presse und Fernsehen. Mike Rosen telefonierte gelegentlich mit ihr.
»Ich kann mir vorstellen, was Sie durchmachen, Freundin. Ich finde, Sie sollten wieder heimkommen.« »Das kann ich nicht, Mike.«
Sie hatte sich um eine Besuchserlaubnis bei Jaime bemüht. »Besuche werden unter keinen Umständen genehmigt.«
Am Tag der Urteilsverkündung stand Megan, eingekeilt in eine Menschenmenge, vor dem Gerichtshof. Als die Reporter aus dem Gebäude strömten, hielt sie einen von ihnen an.
»Wie lautet das Urteil?«
»In allen Anklagepunkten schuldig. Er ist zum Tod durch die Garrotte verurteilt worden.«
42
Am Hinrichtungstag Jaime Miros versammelten sich die ersten sensationslüsternen Neugierigen schon um fünf Uhr morgens vor dem Madrider Zentralgefängnis. Von der Guardia Civil errichtete Absperrungen drängten die wachsende Menge vom Haupteingang des Gefängnisses ab und über die breite Straße zurück. Soldaten mit Panzern blockierten das mächtige eiserne Gefängnistor.
Im Gefängnis selbst fand im Dienstzimmer des Direktors Gomez de la Fuente eine ungewöhnliche Besprechung statt. Anwesend waren Ministerpräsident Leopoldo Martinez, der neue GOE-Kommandeur Alonzo Sebastian und Fuentes Assistenten Juanito Molinas und Pedro Arrango.
Direktor de la Fuente war ein stämmiger, bärbeißiger Mittfünfziger, dessen ganzer Lebenszweck die Disziplinierung der ihm vom Staat anvertrauten Missetäter war. Molinas und Arrango, seine eisenharten Assistenten, waren ihm seit fast zwanzig Jahren unterstellt.
Ministerpräsident Martinez hatte das Wort ergriffen. »Erläutern Sie mir bitte, welche Vorkehrungen Sie getroffen haben, damit die Hinrichtung Miros glatt über die Bühne gehen kann.«
»Wir sind auf alles vorbereitet, Exzellenz«, versicherte Direktor de la Fuente ihm. »Wie Sie bei Ihrer Ankunft gesehen haben, ist vor dem Gefängnis eine Kompanie Soldaten mit Panzern aufmarschiert. Um Miro zu befreien, müsste jemand eine ganze Privatarmee aufbieten können.«
»Und hier im Gefängnisgebäude?«
»Unsere internen Sicherheitsvorkehrungen sind noch strenger. Jaime Miro sitzt im Hochsicherheitstrakt im zweiten Stock. Die übrigen Häftlinge dieses Trakts sind für heute in andere Zellen verlegt worden. Zwei Wärter halten vor Miros Zelle Wache; je zwei weitere sind an beiden Enden des Zellenblocks stationiert. Ich habe angeordnet, dass alle Häftlinge bis nach der Hinrichtung in ihren Zellen eingesperrt bleiben.«