»Für wann ist seine Hinrichtung vorgesehen?«
»Für zwölf Uhr, Exzellenz. Das Mittagessen wird deshalb erst um halb eins ausgegeben. Auf diese Weise haben wir genügend Zeit, Miros Leiche abzutransportieren.«
»Was soll mit der Leiche geschehen?«
»Wir halten uns an Ihren Vorschlag, Exzellenz. Eine Beisetzung in Spanien könnte unerwünschte Konsequenzen haben, wenn die Basken zu seinem Grab wallfahren würden. Wir haben Verbindung zu seiner Tante aufgenommen, die in Frankreich in einem Dorf bei Bayonne lebt. Sie ist bereit, ihn dort beisetzen zu lassen.«
Der Ministerpräsident stand auf. »Ausgezeichnet!« Er seufzte. »Ich finde noch immer, dass eine öffentliche Hinrichtung angemessener gewesen wäre.«
»Gewiss, Exzellenz. Aber in diesem Fall könnte ich keine Verantwortung dafür übernehmen, dass der Mob dort draußen unter Kontrolle bleibt.«
»Wahrscheinlich haben Sie recht. Es wäre zwecklos, mehr Emotionen zu schüren als unbedingt notwendig. Die Garrotte ist langsamer und schmerzhafter. Und wenn einer sie verdient hat, dann Jaime Miro!«
»Entschuldigen Sie, Exzellenz«, sagte Direktor de la Fuente, »aber soviel ich gehört habe, tritt heute eine Richterkommission zusammen, um über ein von Miros Anwälten eingereichtes Gnadengesuch zu entscheiden.
Was sollen wir tun, falls.?«
Der Ministerpräsident unterbrach ihn. »Dem Gnadengesuch wird nicht stattgegeben. Die Hinrichtung findet wie vorgesehen statt.«
Damit war die Besprechung zu Ende.
Um 7.30 Uhr hielt der Lieferwagen einer Bäckerei vor dem Gefängnisportal.
»Lieferung.«
Einer der am Tor postierten Gefängniswärter musterte den Fahrer prüfend. »Du bist neu, was?«
»Ja.«
»Wo ist Julio?«
»Der ist krank und liegt im Bett.«
»Warum legst du dich nicht zu ihm, Amigo?«
»Was soll das heißen?«
»Heute morgen wird nichts angeliefert. Du kannst nachmittags zurückkommen.«
»Aber unser Brot wird doch jeden Morgen.«
»Niemand kommt rein, und nur einer kommt raus. Stoß zurück, dreh um und hau lieber ab, bevor meine Kameraden nervös werden.«
Der Fahrer betrachtete die Soldaten, die ihn misstrauisch anstarrten. »Ja, ja, schon gut.«
Die Bewaffneten sahen ihm nach, als er wendete und davonfuhr. Der Wachführer meldete den Vorfall dem Gefängnisdirektor. Als die Aussage des Lieferwagenfahrers überprüft wurde, stellte sich heraus, dass der reguläre Fahrer nach einem Verkehrsunfall, bei dem der Schuldige Fahrerflucht verübt hatte, im Krankenhaus lag.
Kurz nach 8 Uhr detonierte auf der Straße gegenüber dem Zentralgefängnis eine Autobombe, die ein halbes Dutzend Neugierige verletzte. Unter normalen Umständen hätten die Wachen ihre Posten verlassen, um den Tatort abzuriegeln und die Verletzten zu versorgen. Diesmal hatten sie jedoch strikte Anweisungen. Sie blieben auf ihren Posten und alarmierten lediglich die Guardia Civil.
Auch dieser Vorfall wurde Direktor de la Fuente prompt gemeldet.
»Ihre Verzweiflung wächst«, stellte er fest. »Seid auf alles gefasst!«
Um 9.15 Uhr erschien ein Hubschrauber über den Gefängnisgebäuden. Sein Rumpf trug auf beiden Seiten Werbung für LA PRENSA - Spaniens große Tageszeitung.
Auf dem Gefängnisdach waren zwei Fla-MGs in Stellung gebracht worden. Der verantwortliche Leutnant schoss eine rote Leuchtkugel, um den Hubschrauber zu vertreiben. Aber die Maschine schwebte weiter über dem Gefängnis. Der Offizier nahm den Hörer seines Feldtelefons ab. »Direktor, über uns schwebt ein Hubschrauber.«
»Irgendwelche Hinweise auf seine Absichten?«
»Auf dem Rumpf steht LA PRENSA, aber die Werbung scheint frisch angebracht zu sein.«
»Geben Sie zur Warnung einen Feuerstoß ab. Verschwindet er daraufhin nicht, holen Sie ihn runter.«
»Wird gemacht.« Der Leutnant nickte der Fla-Bedienung zu. »Einen Feuerstoß vor den Bug.«
Die Leuchtspurgarbe zischte fünf Meter vor dem Hubschrauber vorbei. Sein Pilot reagierte sofort. Er zog seine Maschine hoch und verschwand über Madrid hinweg in der Ferne.
Was fällt ihnen als nächstes ein? fragte sich der Leutnant.
Um 11 Uhr erschien Megan Scott im Wachlokal am Haupteingang des Gefängnisses. Sie war blass und übernächtigt. »Ich möchte Direktor de la Fuente sprechen.«
»Haben Sie einen Termin bei ihm?«
»Nein, aber.«
»Bedaure, der Direktor ist heute Vormittag nicht zu sprechen. Wenn Sie nachmittags anrufen.«
»Sagen Sie ihm, dass Megan Scott hier ist.«
Der Wachführer betrachtete sie genauer. Das ist also die reiche Amerikanerin, die Jaime Miro zu retten versucht. Mit der würd’ ich mich gern mal ein paar Nächte vergnügen. »Gut, ich sage ihm, dass Sie da sind.«
Fünf Minuten später saß Megan im Dienstzimmer des Gefängnisdirektors. Ebenfalls anwesend waren die sieben Mitglieder des Gefängnisausschusses.
»Was kann ich für Sie tun, Miss Scott?«
»Ich möchte Jaime Miro besuchen.«
De la Fuente seufzte. »Das ist leider nicht möglich, fürchte ich.«
»Aber ich bin.«
»Miss Scott, wir alle wissen, wer Sie sind. Wäre es möglich, Ihnen diesen Wunsch zu erfüllen, würden wir’s nur allzu gern tun.« Er lächelte. »Wir Spanier sind verständnisvolle Menschen. Darüber hinaus sind wir sentimental - und gelegentlich bereit, uns über Vorschriften hinwegzusetzen.« Sein Lächeln verschwand. »Aber nicht heute, Miss Scott. Heute ist ein besonderer Tag. Wir haben Jahre gebraucht, um den Mann zu fassen, den Sie besuchen wollen. Deshalb geht heute alles streng nach Vorschrift. Als nächstes tritt Jaime Miro vor seinen Gott - falls er einen hat.«
Megan starrte ihn mit Verzweiflung im Blick an.
»Könnte ich. könnte ich ihn nicht wenigstens kurz sehen?«
Eines der Mitglieder des Gefängnisausschusses, das ihre Verzweiflung rührte, hätte sich am liebsten für sie verwendet. Aber es hielt den Mund.
»Tut mir leid«, sagte Direktor de la Fuente. »Nein.«
»Könnte ich ihm eine Nachricht zukommen lassen?« fragte Megan mit gepresster Stimme.
»Sie würden einem Toten schreiben.« Er sah auf seine Uhr. »Er hat keine Stunde mehr zu leben.«
»Aber er hat ein Gnadengesuch eingereicht! Tritt nicht eine Richterkommission zusammen, um.«
»Sie hat sich gegen einen Gnadenerweis ausgesprochen. Das ist mir vor einer Viertelstunde gemeldet worden. Miros Gesuch ist verworfen worden. Die Hinrichtung findet statt. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen.«
Er stand auf, und die anderen folgten seinem Beispiel. Megan betrachtete ihre kalten Gesichter und fuhr zusammen.
»Gott sei Ihnen allen gnädig«, sagte sie.
Die Männer sahen ihr stumm nach, als sie aus dem Dienstzimmer flüchtete.
Um 11.50 Uhr wurde Jaime Miros Zellentür aufgesperrt. Direktor de la Fuente erschien mit Molinas und Arrango, seinen beiden Assistenten, und Dr. Miguel A-nuncion, dem Gefängnisarzt. Auf dem Korridor standen vier bewaffnete Wärter.
Der Gefängnisdirektor betrat die Zelle. »Es ist soweit.«
Jaime stand von seinem Klappbett auf. Er trug Handschellen und Fußfesseln. »Ich hatte gehofft, Sie würden sich verspäten.« Seine würdevolle Haltung imponierte Direktor de la Fuente.
Zu anderer Zeit, unter anderen Umständen hätten wir freunde sein können.
Jaime, der sich wegen der Fußfesseln unbeholfen bewegte, trat in den menschenleeren Korridor hinaus. Mo-linas, Arrango und die bewaffneten Wärter nahmen ihn in ihre Mitte. »Die Garrotte?« fragte Jaime.