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Bei schönem Wetter hätten sich auf den Straßen Menschen aller Schichten getummelt und von geeigneten Aussichtspunkten den prachtvollen Umzügen auf dem Forum Romanum und dem Kapitol zugeschaut. Aber an diesem trüben Tag kamen Marcia und ihre Töchter gut voran, und die Sklaven mußten den Damen nicht gewaltsam einen Weg durch die Menge bahnen.

Die schmale Gasse, in der das Haus von Gaius Julius Caesar lag, mündete in den Clivus Victoriae, eine Straße unweit der Porta Romulana, dem altehrwürdigen Stadttor des alten Palatins. Das Stadttor war aus mächtigen Quadern zusammengefügt, die Romulus vor sechshundert Jahren eigenhändig dort aufgeschichtet hatte, die inzwischen aber mit allerlei Gestrüpp überwuchert waren. Die Frauen wandten sich nach rechts und gingen den Clivus Victoriae hinab bis zu der Ecke, wo sie vom Cermalus aus das Forum Romanum überblicken konnten. Nach fünf Minuten hatten sie ihr Ziel erreicht, ein ödes Stück Brachland. Vor zwölf Jahren noch hatte hier eines der vornehmsten Häuser Roms gestanden, jetzt erinnerte daran nur noch hier und da ein halb im Gras verborgener Stein. Von hier aus hatte man einen unverstellten Blick auf das Forum Romanum und das Kapitol, auf das lebhafte Treiben in der Subura und auf die Hügel, die die Stadt im Norden begrenzten. Die Sklaven stellten Klappstühle für Marcia und die beiden Julias auf.

»Hast du schon gehört?« fragte Caecllia, die Frau des Geldverleihers Titus Pomponius, die hochschwanger mit ihrer Tante Pilla in der Nähe saß. Sie wohnten in derselben Straße wie die Caesars, im übernächsten Haus.

»Nein, was denn?« Marcia beugte sich fragend vor.

»Die Konsuln, Priester und Auguren haben gleich nach Mitternacht mit den Gebeten und Zeremonien angefangen, um nur ja rechtzeitig fertig zu sein... «

»Das machen sie immer so!« unterbrach Marcia. »Denn wenn sie einen Fehler machen, müssen sie wieder ganz von vorn anfangen.«

»Ja ich weiß, so dumm bin ich nun auch wieder nicht!« sagte Caecilia giftig. Sie ärgerte sich, daß die Tochter eines Prätors sie belehren wollte. »Die Sache ist nur die, daß sie keinen Fehler gemacht haben! Die Himmelszeichen waren einfach ungünstig. Viermal hat es geblitzt, und mitten auf der Kultstätte hat eine Eule geschrieen, es klang wie ein Todesschrei. Und jetzt noch dieses Wetter - das wird kein gutes Jahr werden, von den Konsuln ganz zu schweigen.«

»Das hätte ich dir auch ohne Blitz und Eulen sagen können«, erwiderte Marcia. Ihr Vater war zwar nicht Konsul geworden, doch er hatte in seiner Funktion als Stadtprätor den großen Aquädukt gebaut, die Trinkwasserleitung für ganz Rom. Mit diesem Werk war er als einer der Großen in die Geschichte eingegangen. »Eine armselige Auswahl von Kandidaten, und dann haben die Wahlmänner noch nicht einmal die besten aus diesem Sammelsurium ausgesucht. Vielleicht gibt Marcus Minucius Rufus einen tüchtigen Konsul ab, aber Spurius Postumius Albinus? Die haben noch nie etwas zuwege gebracht.«

»Wer?« fragte Caecilia dümmlich.

»Die Sippe von Spurius Postumius Albinus.« Marcia warf einen wachsamen Blick auf ihre Töchter. Die beiden hatten vier Mädchen aus dem Geschlecht des Claudius Pulcher entdeckt - von denen gab es so viele, daß man nie genau wußte, wer zu welchem Familienzweig gehörte! Auch die Claudier führten einen endlosen Kampf gegen das doppelte Verhängnis des alten Adels, daß für zu viele Kinder immer weniger Land und Geld da waren. Und zu benehmen wußten sich die Mädchen auch nicht! Nun, Marcia konnte ihren Töchtern den Umgang mit Mädchen aus einem beinahe ebenbürtigen Geschlecht wohl kaum verbieten, zumal sie gemeinsam zur Schule gegangen waren. Die beiden Julias hatten ihre Klappstühle in die Nähe der anderen Mädchen gerückt, die unbeaufsichtigt waren. Wo waren überhaupt ihre Mütter? Aha! Sie unterhielten sich mit Sulla. Unmöglich! Das reichte.

»Mädchen!« rief Marcia streng.

Zwei verhüllte Köpfe drehten sich nach ihr um.

»Kommt sofort hierher.«

Sie gehorchten.

»Mama, bitte, dürfen wir mit unseren Freundinnen spielen?« bettelte die kleine Julilla.

»Nein«, sagte Marcia in einem Ton, der keine Widerrede duldete.

Unten auf dem Forum Romanum formierte sich die Prozession. Wie ein Reptil hatte sich der eine Zug vom Haus des Marcus Minucius Rufus zum Forum geschlängelt und sich dort mit dem nicht minder langen Zug vereinigt, der vom Haus des Spurius Postumius Albinus ausging. Voraus gingen die Ritter, zwar nicht so viele wie an sonnigen Neujahrstagen, aber doch um die siebenhundert an der Zahl. Es wurde etwas heller, aber der Regen fiel noch dichter, als der Zug sich den Clivus Capitolinus hinaufbewegte bis zur ersten Wende des kurzen, steilen Weges, wo die Priester und die Schlächter mit zwei - makellos weißen - Stieren mit reichverzierten Halftern warteten. Hinter den Rittern schritten die vierundzwanzig Liktoren der neuen Konsuln, gefolgt von den Konsuln und den Mitgliedern des Senats, je nach Rang gekleidet in purpurgesäumte Togen oder schlichtes Weiß. Ganz am Schluß kamen die, die eigentlich gar nicht dazugehörten, die Schaulustigen nämlich und die Bittsteller.

Wie schön, dachte Marcia. Etwa tausend Männer stiegen langsam zum Tempel des höchsten Gottes Jupiter Optimus Maximus empor. Eindrucksvoll ragte der mächtige Tempel ganz oben auf der südlichen Kuppe der beiden Kapitolhügel auf. Die Griechen pflegten ihre Tempel im Tal zu bauen, die Römer hingegen bauten ihre in luftiger Höhe, und viele Stufen führten zu ihnen hinauf, ganz besonders viele zum Tempel des Jupiter. Wie schön das aussieht, dachte Marcia wieder, als sich der Zug mit den Opfertieren in die Prozession einreihte und alle gemeinsam das letzte Stück zum Tempel zurücklegten. Oben drängten sich die Menschen auf dem Platz vor dem Heiligtum zusammen. Dort oben, irgendwo in der Menge, befanden sich auch ihr Mann und ihre beiden Söhne, denn auch sie gehörten jener Klasse an, die über die mächtigste Stadt der Welt herrschte.

Auch Gaius Marius stand in der Menge vor dem Tempel. Als ehemaliger Prätor trug er die purpurgesäumte toga praetexta und auf den dunkelroten Schuhen eine Schnalle in Form eines Halbmonds. Vor fünf Jahren war er Prätor geworden, vor drei Jahren hätte er Konsul werden müssen. Aber er wußte, daß man ihn niemals für dieses Amt nominieren würde. Warum nicht? Weil er nicht fein genug war. Aus keinem anderen Grund. Wer hatte je von einer Familie namens Marius gehört? Niemand.

Gaius Marius war ein Aufsteiger aus der Provinz, und er war Soldat. Angeblich konnte er kein Griechisch, und manchmal, wenn er aufgeregt oder wütend war, mischten sich Wörter des heimatlichen Dialekts in sein Latein. Da zählte es nicht, daß er mit seinem Geld den halben Senat in die Tasche stecken konnte und als Feldherr den ganzen. Was zählte, war allein die Herkunft, und seine war nicht gut genug.

Gaius Marius stammte aus Arpinum. Das war zwar gar nicht weit von Rom entfernt, aber doch so bedenklich nahe an der Grenze zwischen Latium und Samnium, daß einige an seiner Treue und Loyalität zu Rom zweifelten. Schließlich waren die Samniten von allen italischen Stämmen immer noch die hartnäckigsten Feinde Roms. Die Einwohner Arpinums hatten erst vor achtundsiebzig Jahren von Rom die vollen Bürgerrechte erhalten, und der Bezirk besaß nach wie vor keine volle Selbstverwaltung.

Die Gegend war freilich wunderschön! Ein fruchtbares Tal am Fuß des Appenin, eingefaßt von den beiden Flüssen Liris und Melfa. Dort gediehen die köstlichsten Trauben, zum Essen wie zum Keltern gleichermaßen geeignet, die Ernten fielen überreichlich aus, die Schafe waren dick und ihre Wolle außergewöhnlich fein. Ein friedliches, grünes, verträumtes Land. Im Sommer war es dort angenehm kühl, im Winter hingegen wärmer, als man erwartet hätte. Die beiden Flüsse waren fischreich, und die dichtbewaldeten Berge um Arpinum lieferten immer noch vorzügliches Holz für den Bau von Schiffen und Häusern. Kiefern und Pinien wuchsen dort, und Eichen, deren Früchte im Herbst den Boden bedeckten und Wildschweinen zur Nahrung dienten. An jeder vornehmen Tafel in Rom schätzte man die fetten Schinken, Speckseiten und Würste aus Arpinum.