»Sie arbeiten doch hoffentlich nicht alle im Haus?« fragte Caesar besorgt.
»Nur der Schreiber und der Goldschmied, Gaius Julius. Der Waffenschmied besitzt eine Werkstatt in der Alta Semita, der Bildhauer hat Räume von einer großen Firma im Velabrum gemietet, und der Steinmetz bewirtschaftet ein Stück Land in der Nähe der Marmorkais am Hafen von Rom.« Aurelia konnte nicht verhindern, daß ihre veilchenblauen Augen wieder zu leuchten begannen. »Sie singen viel. Religiöse Lieder, glaube ich. Es sind ganz eigenartige Gesänge, weißt du, orientalisch und unmelodiös. Aber es ist nett, einmal etwas anderes als Kindergeschrei zu hören.«
Caesar strich ihr mit der Hand eine Haarsträhne zurück, die ihr ins Gesicht gefallen war. Ganze achtzehn Jahre war sie alt, seine Ehefrau. »Die Juden wohnen also gerne hier?« fragte er.
»Eigentlich leben wohl alle gerne hier«, sagte sie.
An diesem Abend schlief Caesar schon, als Aurelia noch wachlag und ein paar Tränen in ihr Kissen weinte. Sie wäre niemals auf die Idee gekommen, daß Caesar in einer insula in der Subura die gleichen Verhaltensweisen von ihr erwarten würde wie von einer Hausfrau auf dem Palatin. Konnte er denn nicht verstehen, daß es in diesen engen, dichtbewohnten Vierteln keine solchen Zerstreuungen und Vergnügungen gab wie auf dem Palatin? Nein, natürlich konnte er das nicht. Die ersten Schritte auf der politischen Karriereleiter nahmen seine ganze Zeit in Anspruch. Er verbrachte seine Tage auf dem Gericht, mit wichtigen Senatoren wie dem Senatsvorsitzenden Marcus Aemilius Scaurus, in der Münzprägeanstalt, bei den Beamten des Staatsschatzes und in den verschiedenen Arkaden und Säulengängen, wo ein zukünftiger Senator sein Handwerk lernte. Es gab sicher keinen zweiten Gatten, der so sanft, so freundlich und so aufmerksam gewesen wäre, aber Gaius Julius betrachtete seine Frau eben auch als etwas ganz Besonderes.
Aurelias heimlicher Wunsch war es gewesen, die insula selbst zu führen und die Makler zu entlassen. So war sie allein in allen Stockwerken von Mieter zu Mieter gegangen, hatte mit allen gesprochen und herausgefunden, was sie für Menschen waren. Sie mochte diese Leute und konnte nicht einsehen, warum sie nicht persönlich mit ihnen verhandeln sollte. Bis sie jetzt mit Caesar gesprochen hatte und ihr klar geworden war, daß für ihn seine geliebte Ehefrau zu einer anderen Klasse gehörte, daß sie eine Frau war, die auf dem Sockel julianischer dignitas stand; niemals würde sie etwas tun dürfen, was möglicherweise das Ansehen seiner Familie schmälern könnte. Sie stammte selbst aus einer vornehmen Familie, sie verstand und respektierte diese Haltung. Aber was sollte sie hier nur den ganzen Tag über tun? Sie wagte nicht einmal darüber nachzudenken, daß sie ihren Mann zweimal belogen hatte. So weinte sie sich in den Schlaf.
Eine Schwangerschaft löste glücklicherweise fürs erste ihre Probleme. Sie fühlte sich ein wenig müde, aber ansonsten hatte sie nicht unter den üblichen Beschwerden zu leiden. Sie war jung und kerngesund, und in ihren Adern floß von väterlicher und mütterlicher Seite her genügend frisches Blut, so daß sie nicht die schwächliche Konstitution vieler junger Frauen aus altem Adel hatte. Außerdem hatte sie sich angewöhnt, jeden Tag lange Spaziergänge zu machen, schon um nicht vor Langeweile zu sterben. Im Schutze ihres hünenhaften Dienstmädchens Cardixa wanderte sie durch die Straßen von Rom.
Kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes wurde Caesar in den Dienst von Gaius Marius nach Gallia Transalpina abgeordnet. Er machte sich große Sorgen um seine Frau, die er mit hoch gewölbtem Bauch, in einem so verletzlichen Zustand, zurücklassen mußte.
»Hab keine Angst, mir geht es gut hier«, sagte sie.
»Aber geh auf jeden Fall rechtzeitig nach Hause zu deiner Mutter«, wies er sie an.
»Das laß nur meine Sorge sein, ich komme schon zurecht«, war ihre ganze Antwort.
Sie ging natürlich nicht ins Haus ihrer Mutter, sondern gebar das Kind in ihrer eigenen Wohnung. Keiner der Modeärzte vom Palatin war dabei, nur eine Hebamme aus der Subura und Cardixa. Nach leichten und ziemlich kurzen Wehen gebar sie ein Mädchen, eine weitere Julia, so blond und blauäugig und wunderschön, wie sich das für eine Julia gehörte.
»Wir werden sie ›Lia‹ rufen«, sagte sie zu ihrer Mutter.
»Ach nein! Wie wäre es mit ›Julilla‹?« jammerte Rutilia. Lia klang in ihren Ohren viel zu gewöhnlich.
Entschieden schüttelte Aurelia den Kopf. »Nein, dieser Rufname bringt kein Glück. Unsere Tochter wird ›Lia‹ heißen.«
Aber Lia wollte nicht gedeihen, sechs Wochen lang schrie sie Tag und Nacht. Schließlich marschierte Shimons Frau Ruth in Aurelias Wohnung und rümpfte verächtlich die Nase, als Aurelia von Ärzten, besorgten Großeltern, Blähungen und Erkältungen berichtete.
»Deine Tochter hier hat Hunger«, sagte Ruth mit starkem griechischen Akzent. »Du hast keine Milch, dummes Ding!«
»Oh je, wo soll ich hier eine Amme unterbringen?« fragte Aurelia. Ruth hatte natürlich recht, und Aurelia war sehr erleichtert. Aber sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie sie den Dienstboten klarmachen sollte, daß sie noch mehr zusammenrücken müßten, damit noch eine Amme Platz finden könnte.
»Du brauchst keine Amme, dummes Ding. Das ganze Haus ist voller stillender Mütter. Mach dir keine Sorgen, wir werden deine Kleine schon satt kriegen.«
»Ich kann euch Geld geben«, bot Aurelia vorsichtig an. Sie war einfühlsam genug, um zu spüren, daß sie jetzt nicht gönnerhaft wirken durfte.
»Wofür, um Himmels willen? Überlaß das mir, dummes Ding. Ich werde schon dafür sorgen, daß sie sich alle die Brustwarzen waschen, bevor sie deine Kleine anlegen! Sie muß einiges aufholen, und wir wollen doch nicht, daß sie krank wird.«
So kam die kleine Lia zu einer ganzen insula voller Ammen, und weder konnte das stattliche Angebot an unterschiedlichen Brustwarzen, die ihr in den Mund gesteckt wurden, ihre Gefühle durcheinanderbringen, noch das Gemisch aus griechischer, römischer, jüdischer, spanischer und syrischer Milch ihren Magen. Die kleine Lia gedieh prächtig.
Und auch Lias Mutter blühte auf, nachdem sie sich von der Geburt erholt hatte und kein ständig schreiendes Baby sie mehr beunruhigte. Je länger Caesar fort war, desto sicherer und selbstbewußter wurde sie. Zunächst einmal wies sie ihre männlichen Verwandten, die Caesar angewiesen hatte, ein Auge auf sie zu haben, in die Schranken.
»Wenn ich dich brauche, werde ich dich schon holen, Vater«, erklärte sie Cotta unmißverständlich.
»Onkel Publius, laß mich in Ruhe!« bekam Rutilius Rufus zu hören.
»Sextus Julius, geh doch nach Gallia!« sagte sie zum älteren Bruder ihres Ehemannes.
Dann wandte sie sich an Cardixa und rieb sich vergnügt die Hände: »Endlich gehört mein Leben mir! Jetzt wird sich einiges ändern!«
Den Anfang machte sie in ihren eigenen vier Wänden. Die Sklaven, die Caesar und sie kurz nach der Hochzeit gekauft hatten, hielten sie eher auf Trab, als daß sie ihr Arbeit abnahmen. Unter der Führung des Verwalters, eines Griechen namens Eutychus, erledigten sie ihre Aufgaben so gut, daß Aurelia keine ausreichenden Gründe fand, um sich bei Caesar über sie zu beklagen. Caesar sah vieles nicht so wie sie, außerdem war er oft so in Gedanken, daß er manches überhaupt nicht sah, vor allem Dinge im Haus. Aurelia schaffte es innerhalb eines einzigen Tages, daß die Dienstboten nach ihrer Pfeife tanzten. Erst hielt sie ihnen eine Standpauke, dann verkündete sie den Arbeitsplan. Gaius Marius hätte ihre Rede sehr imponiert, denn sie war kurz und unverblümt, im harten Ton und mit den knappen Handbewegungen eines Feldherrn.
»Oh weh! Und ich dachte, sie wäre ein nettes kleines Ding«, stöhnte Murgus, der Koch, später gegenüber dem Verwalter Eutychus.