Als Saturninus auftauchte, bat Marius ihn sogleich zu bleiben. Vor der Kulisse des schönsten Sees in ganz Italien konnten die beiden Männer in Ruhe reden.
Aber auch in den Ferien ging Marius immer direkt zur Sache. Als das Thema angeschnitten wurde, sagte er ohne Umschweife, was er dachte. »Ich will Metellus Numidicus nächstes Jahr nicht als Mitkonsul haben. Ich denke an Lucius Valerius Flaccus. Er ist ein weicher Mann, ihn werde ich mir zurechtbiegen können.«
»Er würde gut zu dir passen, aber du wirst es nicht schaffen, fürchte ich. Die Senatskamarilla schlägt schon die Werbetrommel für Metellus Numidicus.« Saturninus blickte Marius neugierig an. »Warum kandidierst du eigentlich ein sechstes Mal? Nachdem du die Germanen endgültig geschlagen hast, könntest du dich doch auf deinen Lorbeeren ausruhen!«
»Ich wünschte, ich könnte es, Lucius Appuleius. Aber diese Angelegenheit ist nicht abgeschlossen, bloß weil die Germanen geschlagen sind. Ich muß zwei Proletarierarmeen entlassen - oder vielmehr ich habe eine Armee mit sechs Legionen, die über der Sollstärke liegen, und Quintus Lutatius hat eine Armee mit sechs Legionen, die unter der Sollstärke liegen. Aber ich fühle mich für beide Armeen verantwortlich. Quintus Lutatius meint, mit der Ausstellung der Entlassungspapiere sei die Sache erledigt, und er brauche sich nicht weiter um die Männer zu kümmern.«
»Du bist immer noch fest entschlossen, ihnen Land zuzuteilen?« fragte Saturninus.
»Ja, sicher. Rom wird in mehr als einer Hinsicht geschwächt werden, wenn sie kein Land erhalten. Erst einmal werden über fünfzigtausend Legionäre mit ein paar Münzen im Beutel über Rom und ganz Italien herfallen. Innerhalb weniger Tage werden ihre Taschen leer sein - und wo immer sie dann leben, sie werden ständig Ärger machen. Wenn es Krieg gibt, lassen sie sich wieder anwerben. In Friedenszeiten werden sie zu einer wahren Plage.«
Saturninus nickte zustimmend. »Das leuchtet mir ein.«
»Der Gedanke kam mir in Africa, darum habe ich die africanischen Inseln für die Besiedlung durch Veteranen zurückbehalten. Tiberius Gracchus wollte die Armen Roms auf das Land, in die Campania, umsiedeln. Rom sollte dadurch eine saubere, sichere Stadt werden, gleichzeitig sollte dem Land frisches Blut zugeführt werden. Aber Italien war die falsche Entscheidung, Lucius Appuleius.« Marius geriet ins Träumen. »Wir brauchen Römer aus der Unterschicht in unseren Provinzen. Vor allem Veteranen.«
Eine so schöne Vision, aber Saturninus verstand nicht, um was es ging. »Ja, wir haben alle die Rede im Senat gehört - römische Lebensart in die Provinzen tragen. Und wir haben auch alle die Antwort von Delmaticus gehört. Was steckt wirklich hinter deinen Plänen, Gaius Marius?«
Marius’ Augen funkelten unter seinen buschigen Augenbrauen. »Wie scharfsinnig du bist, Saturninus! Natürlich steckt noch mehr dahinter.« Er lehnte sich auf seinem Stuhl nach vorne. »Heere in die Provinzen zu schicken, die dort Aufstände niederschlagen und die Gesetze hüten, kostet Rom eine Menge Geld. Schau dir nur Makedonien an. Zwei Legionen sind dort ständig im Einsatz - zwar keine römischen Legionen, aber immerhin, auch die kosten den Staat Geld, das er anderswo besser verwenden könnte. Jetzt stell dir einmal vor, zwanzig- oder dreißigtausend römische Veteranen würden dort verteilt in drei oder vier Kolonien leben. Was wäre dann? Griechenland und Makedonien sind so spärlich besiedelt, seit einem Jahrhundert schon, das Volk hat das Land verlassen. Überall Geisterstädte! Riesige Ländereien gehören römischen Grundbesitzern, die sich nie dort blicken lassen, wenig produzieren, nichts in das Land investieren und zu geizig sind, um die einheimische Bevölkerung zu beschäftigen. Wenn dann ein paar Skordisker einfallen und es Krieg gibt, jammern die Grundbesitzer in Rom dem Senat die Ohren voll, und der Statthalter rennt hin und her, muß mit plündernden Kelten und wütenden Briefen aus Rom gleichzeitig fertig werden. Und genau dieses Land, das von Rom aus mehr schlecht als recht verwaltet wird, möchte ich besser nutzen. Ich möchte dort Kolonien von Veteranen ansiedeln. Das Land wäre viel dichter besiedelt - und für den Fall eines ernsten Krieges stünde eine Besatzungsarmee auf Abruf bereit.«
»Und dieser Gedanke kam dir in Africa«, sagte Saturninus.
»Ja, als ich riesige Latifundien an Männer in Rom verteilte, die äußerst selten, wenn überhaupt jemals, einen Fuß nach Africa setzen werden. Sie schicken ihre Verwalter und Heere von Sklaven für den Feldbau, die Lebensbedingungen im Land und die Menschen dort sind ihnen vollkommen egal. Sie verhindern den Fortschritt in Africa und öffnen damit einem neuen Jugurtha Tor und Tür. Ich bin nicht prinzipiell dagegen, daß Römer Land in den Provinzen besitzen - aber in einigen Landstrichen der Provinzen sollten gut ausgebildete, tüchtige Römer in großer Zahl leben, an die wir uns in Notzeiten wenden können.« Er zwang sich, seine Unruhe, die Dringlichkeit seiner Wünsche zu verbergen. »Wir haben schon ein kleines Beispiel, wie hilfreich Veteranenkolonien in fremden Ländern in Notzeiten sein können. Auf der Insel Meninx habe ich persönlich eine erste kleine Gruppe angesiedelt. Als die Leute von dem Sklavenaufstand in Sizilien erfuhren, stellten sie selbständig Einheiten auf und mieteten ein paar Schiffe. Sie kamen gerade noch rechtzeitig in Lilybaeum an, um zu verhindern, daß die Stadt dem selbsternannten Sklavenkönig Athenion in die Hände fiel.«
»Jetzt verstehe ich, was du erreichen willst, Gaius Marius. Das ist ein ausgezeichneter Plan«, sagte Saturninus.
»Aber sie werden mich bekämpfen, und wenn es nur deshalb ist, weil eben ich es bin«, seufzte Marius.
Saturninus lief ein Schauer den Rücken hinunter. Schnell wandte er den Kopf ab und gab vor, die Spiegelung des Himmels, der Wolken, der Bäume und der Berge im glasklaren Wasser des Sees zu bewundern. Marius war müde! Marius wurde alt! Marius freute sich überhaupt nicht auf eine sechste Amtszeit als Konsul!
»Du hast sicher das Geschrei und Gezeter in Rom mitbekommen, als ich diesen tapferen Soldaten aus Camerinum das Bürgerrecht verliehen habe?« fragte Marius.
»Ja, natürlich. Ganz Italien hat das Spektakel mitbekommen. Und ganz Italien war begeistert. Nur den großen Politikern in Rom hat es ganz und gar nicht gefallen«, sagte Saturninus.
»Aber warum sollen sie eigentlich nicht römische Bürger werden?« fragte Marius verärgert. »Sie haben besser als irgend jemand sonst auf dem Schlachtfeld gekämpft, Lucius Appuleius, das kann man doch nicht leugnen. Wenn es nach mir ginge, würde ich jedem Mann in ganz Italien das Bürgerrecht zusprechen.« Er holte tief Luft. »Wenn ich sage, ich brauche Land für die Veteranen aus der besitzlosen Schicht, meine ich genau das. Land für alle von ihnen - Römer, Latiner und Italiker.«
Saturninus pfiff leise durch die Zähne. »Das wird Ärger geben! Das wird sich die konservative Clique im Senat nicht widerspruchslos bieten lassen.«
»Das weiß ich. Ich weiß nur nicht, ob du den Mut hast, ihnen die Stirn zu bieten.«
»Ich habe mir noch nicht viel Gedanken über meine Standfestigkeit gemacht«, antwortete Saturninus nachdenklich, »ich kann also nicht sagen, wie mutig ich bin. Aber doch, Gaius Marius. Ich glaube schon, daß ich es schaffe, ihnen die Stirn zu bieten.«
»Um meinetwillen muß ich niemanden bestechen, meine Wahl ist sicher, ich kann nicht verlieren. Nichts spricht allerdings dagegen, daß ich ein paar Jungens anheuere, damit sie Bestechungsgelder für den zweiten Konsul verteilen. Und für dich, wenn du Hilfe brauchst, Lucius Appuleius. Und auch für Gaius Servilius Glaucia. Er wird als Prätor kandidieren, wie ich höre?«
»Richtig. Und wir beide, Gaius Marius, würden deine Hilfe in dieser Angelegenheit gerne annehmen. Dafür hast du unsere Unterstützung, wo immer es nötig ist, damit du dein Land bekommst.«
Marius zog eine Rolle Papier aus dem Ärmel. »Ich habe schon ein bißchen vorgearbeitet. Hier ist die Skizze für eine Gesetzesvorlage. So etwas Ähnliches wäre nötig, meine ich. Ich gehöre leider nicht zu den besten Männern Roms, wenn es darum geht, Gesetze zu entwerfen. Ganz im Gegensatz zu dir. Und Glaucia ist - du wirst es mir hoffentlich nicht übelnehmen, wenn ich es so sage - geradezu ein Genie in dieser Beziehung. Könnt ihr beide zusammen aus meinen schlecht und recht zusammengeschusterten Kritzeleien gute Gesetzesvorlagen machen?«