»Die Leute können sich die Münder zerfransen!« wiederholte Glaucia, diesmal im Senat. »Es gibt keinerlei Beweise für die Anschuldigung, Lucius Appuleius und ich hätten etwas mit dem Tod von Quintus Nonius zu tun. Ja, ich habe an die Stelle des toten Volkstribunen einen lebendigen gesetzt! Jeder Wahlleiter, der seine Aufgabe ernst nimmt, hätte dasselbe tun müssen! Ich habe gehandelt! Niemand kann bestreiten, daß Lucius Appuleius an elfter Stelle gewählt wurde. Lucius Appuleius als Nachfolger von Quintus Nonius zu ernennen, und zwar so schnell und unbürokratisch wie möglich, war nicht nur völlig logisch, sondern auch ein Gebot der Stunde. Jeder hier weiß, daß die gestern von mir einberufene contio der Plebs meine Entscheidung einstimmig begrüßt hat. Diese Diskussion, patres conscripti, ist nutzlos und überflüssig. Der Fall ist erledigt.«
Am ersten Tag im Dezember feierten Gaius Marius und Quintus Lutatius Catulus Caesar gemeinsam ihren Triumph. Marius’ Idee, einen gemeinsamen Triumphzug zu veranstalten, war ein Geniestreich, denn Catulus Caesar, der in seinem Triumphwagen hinter dem amtierenden Konsul herzuckelte, spielte ganz offenkundig die zweite Geige. Gaius Marius war der Held des Tages. Lucius Cornelius Sulla, der wie üblich den Triumphzug zusammengestellt hatte, brachte als besondere Attraktion einen Festwagen, auf dem dargestellt wurde, wie Marius die Soldaten aus Catulus Caesars Heer die fünfunddreißig kimbrischen Feldzeichen aufsammeln ließ - er selbst hatte schließlich schon genug in Gallien erobert.
Zum Abschluß fand eine Senatssitzung im Tempel des Jupiter Optimus Maximus statt. Leidenschaftlich berichtete Marius von seinen Taten: wie er den Soldaten aus Camerinum das Bürgerrecht verliehen hatte, wie er durch die Ansiedlung einer Soldatenkolonie in der Nähe der kleinen Stadt Eporedia das Tal der Salasser abgeriegelt hatte. Als er seine sechste Kandidatur für das Konsulat ankündigte, erntete er spöttisches Gelächter, bittere Protestrufe, lautes Stöhnen - und Jubelrufe. Die Jubelrufe übertönten alles. Marius wartete ab, bis sich der Tumult gelegt hatte, und gab dann bekannt, daß er seinen gesamten persönlichen Anteil an der Kriegsbeute für den Bau eines neuen Tempels zur Verehrung der soldatischen Tugenden Honos und Virtus zur Verfügung stellen werde. Der neue Tempel auf dem Kapitol sollte seine Siegeszeichen und die seines Heeres beherbergen. In der griechischen Stadt Olympia werde er einen weiteren Tempel für Honos und Virtus erbauen lassen.
Catulus Caesar sank das Herz bei dieser Rede, denn er wußte, daß er es seinem guten Ruf schuldig war, nun ebenfalls seinen Anteil an der Kriegsbeute für einen religiösen Zweck zur Verfügung zu stellen. Er konnte damit nicht sein eigenes Privatvermögen mehren - das zwar beträchtlich war, aber lange nicht so groß wie das von Marius.
Niemand war überrascht, als die Zenturiatkomitien Gaius Marius zum sechsten Mal zum Konsul wählten, und zwar zum ersten Konsul. Unumstritten war er jetzt nicht nur der Erste Mann in Rom, viele nannten ihn sogar den dritten Gründer Roms. Der erste Gründer war Romulus gewesen, der zweite Marcus Funus Camillus, der Italien vor dreihundert Jahren von den Galliern befreit hatte. Auch Gaius Marius hatte einen Ansturm der Barbaren zurückgedrängt - und sich damit den Titel des dritten Gründers verdient.
Ein paar Überraschungen brachte die Wahl doch noch: Quintus Caecilius Metellus Numidicus wurde nicht zum zweiten Konsul gewählt. Für Marius war die Wahl des zweiten Konsuls der entscheidende Punkt - und auch da setzte er sich durch. Er hatte sich deutlich für Lucius Valerius Flaccus ausgesprochen, und Lucius Valerius Flaccus wurde mit einer komfortablen Mehrheit gewählt. Flaccus hatte auf Lebenszeit ein wichtiges Priesteramt inne, er war flamen Martialis, Oberpriester des Mars. In diesem Amt war er zu einem stillen Mann geworden, fügsam und untergeben, der ideale Mitkonsul für den gebieterischen Gaius Marius.
Allgemein wurde erwartet, daß Gaius Servilius Glaucia zum Prätor gewählt würde. Er war Marius’ Kandidat, und Marius hatte großzügige Bestechungsgelder an die Wähler verteilt. Doch daß Glaucia die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnte und damit zum Stadtprätor gewählt wurde, dem ranghöchsten der sechs Prätoren, überraschte dann doch alle.
Kurz nach den Wahlen verkündete Quintus Lutatius Catulus Caesar öffentlich, daß er seinen persönlichen Anteil an der Kriegsbeute für religiöse Zwecke stiften werde. Erstens wolle er den Platz von Marcus Fulvius Flaccus’ ehemaligem Haus auf dem Palatin, gleich neben seinem eigenen Haus, kaufen. Dort solle ein prächtiger Säulengang entstehen, und er werde seine fünfunddreißig kimbrischen Feldzeichen aus der Schlacht bei Vercellae darin aufstellen. Zweitens wolle er auf dem Marsfeld der Göttin Fortuna einen Tempel errichten.
Als die neuen Volkstribunen am zehnten Tag im Dezember ihr Amt aufnahmen, fing der Spaß an. Lucius Appuleius Saturninus, der jetzt zum zweiten Mal Volkstribun war, beherrschte seine Kollegen vollkommen und nutzte geschickt die Angst, die seit dem Tod von Quintus Nonius umging, für seine Ziele in der Gesetzgebung aus. Öffentlich stritt er jegliche Beteiligung an dem Mord heftig ab, heimlich schürte er durch kleine Bemerkungen im privaten Kreis die Ängste seiner Kollegen. Die anderen Volkstribunen mußten sich fragen, ob sie nicht vielleicht wie Quintus Nonius enden würden, falls sie versuchten, seine Pläne zu durchkreuzen. Saturninus hatte freie Hand; weder Metellus Numidicus noch Catulus Caesar konnten auch nur einen einzigen Volkstribunen dazu bringen, in irgendeinem Fall ein Veto einzulegen.
Saturninus legte den ersten von zwei Gesetzentwürfen vor, mit denen die Zuteilung von staatlichen Ländereien an Veteranen der beiden Armeen, die gegen die Germanen gekämpft hatten, geregelt werden sollte. Es handelte sich ausschließlich um Gebiete in fremden Ländern, in Sizilien, Griechenland, Makedonien und auf dem africanischen Festland. Neu an dem Gesetzentwurf war eine Klausel, die Gaius Marius persönlich ermächtigte, drei italischen Legionären in jeder Veteranenkolonie das römische Bürgerrecht zu verleihen.
Im Senat regte sich erbitterter Widerstand.
»Dieser Mann«, wetterte Metellus Numidicus, »will nicht einmal seine römischen Soldaten begünstigen! Alle sollen zu gleichen Teilen mit Land versorgt werden - Römer, Latiner, Italiker. Ohne Unterschiede! Ich frage euch, Senatoren, was sollen wir von diesem Mann halten? Was kümmert diesen Mann Rom? Überhaupt nichts! Warum auch? Er ist kein Römer. Er ist Italiker. Und er bevorzugt seine eigenen Leute. Tausende von ihnen erhielten auf dem Schlachtfeld das Wahlrecht zugesprochen - während römische Soldaten dabeistehen und zuschauen mußten! Sie gingen leer aus. Aber was hätte man von einem Mann wie Gaius Marius anderes erwarten können?«
Marius erhob sich zur Antwort. Als er sich im Senat kein Gehör verschaffen konnte, verließ er die curia hostilia und ging hinaus auf die Rednerbühne, wo er sich direkt an die Besucher des Forums wandte. Manche waren entrüstet, aber trotz allem liebten sie ihn und hörten zu.
»Es gibt genug Land für alle!« schrie er. »Niemand kann mir vorwerfen, ich würde die Italiker bevorzugt behandeln! Hundert iugera für jeden Soldaten! Ach, warum so viel? höre ich euch fragen. Das hat einen einfachen Grund: Diese Siedler, ihr Volk von Rom, gehen in Länder, wo das Leben sehr viel härter ist als in unserem geliebten Italien. In schlechten Böden, bei widrigem Klima müssen sie säen und ernten. Um dort anständig leben zu können, brauchen sie mehr Land als in unserem geliebten Italien.«