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Marius, der auf der anderen Seite an den Türen stand, konnte es nicht hören. So hielt er nicht inne, um sein Vorgehen noch einmal zu überdenken, sondern fuhr ohne Zögern fort. »Einige von euch bestehen darauf, daß ein Gesetz nicht gültig sein kann, das unter solchen Umständen beschlossen wurde wie die lex Appuleia agraria secunda. Zwei Gründe sprechen scheinbar dagegen - erstens wurde es bei unheilträchtigen Zeichen beschlossen, zweitens wurde es beschlossen, obwohl Gewalt gegen die unantastbare Person eines rechtmäßig gewählten Volkstribunen angewendet worden war.«

Er ging zwischen den Stuhlreihen entlang und blieb stehen. »Die Zukunft des Gesetzes ist sicherlich ungewiß. Die Versammlung der Plebs wird das Gesetz im Lichte dieser Einwände auf seine Gültigkeit hin überprüfen müssen.« Er machte einen kleinen Schritt, blieb stehen. »Aber das, eingeschriebene Väter, ist heute nicht unser Problem. Die Gültigkeit des Gesetzes per se ist nicht unsere Hauptsorge. Unser Problem ist dringlicher.« Noch ein kleiner Schritt. »Das Gesetz, um das es geht, schreibt uns vor, einen Schwur darauf zu leisten, daß wir es einhalten werden. Darüber müssen wir heute sprechen. Heute ist der letzte Tag, an dem wir schwören können, daß wir uns an dieses Gesetz halten werden. Vordringlich ist die Frage des Schwurs. Und am heutigen Tage ist das Gesetz gültig, um das es hier geht. Also müssen wir schworen.«

Er machte ein paar hastige Schritte, stieß fast an das Podium, drehte sich um und schritt langsam zu den Türen, dort wandte er sich wieder beiden Seiten des Senats zu. »Heute, Senatoren, werden wir alle einen Eid ablegen. Der unmißverständliche Wille des Volkes von Rom schreibt es uns vor. Das Volk von Rom macht die Gesetze! Wir, die Senatoren, sind nur seine Diener. Darum - schwören wir. Es darf uns nichts ausmachen, Senatoren! Wenn irgendwann in der Zukunft die Versammlung der Plebs das Gesetz überprüft und für ungültig erklärt, sind wir von unserem Schwur wieder entbunden.« Seine Stimme klang siegesgewiß. »Das müssen wir begreifen! Jeder Schwur auf ein Gesetz bleibt nur so lange bindend, wie das Gesetz Gesetz bleibt. Wenn das Volk beschließt, das Gesetz zu annullieren, ist auch unser Schwur nicht mehr bindend.«

Scaurus, der Senatsvorsitzende, nickte vielsagend, gleichmäßig hob und senkte er den Kopf. Für Marius sah es so aus, als würde er jedem seiner Worte zustimmen. Aber Scaurus nickte aus einem anderen Grund so vielsagend und gleichmäßig. Während er mit dem Kopf nickte, sprach er leise zu Metellus Numidicus. »Wir haben ihn, Quintus Caecilius! Wir haben ihn endlich! Er muß klein beigeben. Er hat es nicht durchgehalten. Wir haben ihn gezwungen, vor dem ganzen Senat zuzugeben, daß es Zweifel gibt, ob Appuleius’ Gesetz gültig ist. Wir haben den schlauen Fuchs aus Arpinum in der Falle!«

Marius war in Hochstimmung, weil er ganz sicher glaubte, den Senat hinter sich zu haben. So schritt er in großem Ernst zurück zum Podium, stieg hinauf und stand vor seinem mit Einlegearbeiten aus Elfenbein verzierten Amtsschemel. Er kam zum Schluß. »Ich werde als erster den Eid ablegen«, sagte er, ganz die Stimme der Vernunft. »Und wenn ich, Gaius Marius, euer erster Konsul der letzten vier Jahre und länger, bereit bin zu schwören, warum sollte einer von euch es nicht können? Der Tempel des Semo Sancus Dius Fidius steht uns offen. Es ist kein weiter Weg! Kommt, wer geht mit mir?«

Ein Seufzen war zu hören, leises Gemurmel, Stühlerücken. Die Senatoren erwachten aus ihrer Erstarrung. Die ersten Hinterbänkler erhoben sich langsam von ihren Stühlen.

»Eine Frage, Gaius Marius«, sagte Scaurus.

Es wurde wieder still im Senat. Marius nickte.

»Ich wüßte gerne deine persönliche Meinung, Gaius Marius. Nicht deine offizielle Meinung. Einfach deine persönliche Meinung.«

»Wenn dir etwas an meiner persönlichen Meinung liegt, Marcus Aemilius, sollst du sie natürlich erfahren. Worum geht es?« sagte Marius.

»Was denkst du persönlich?« fragte Scaurus. Seine Stimme war bis in den letzten Winkel des Raumes zu vernehmen. »Ist das zweite Ackergesetz des Appuleius gültig oder nicht?«

Stille. Totenstille. Alle hielten den Atem an. Auch Gaius Marius. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, in den gähnenden Abgrund zu blicken, an dessen Rand ihn seine vorschnelle Siegesgewißheit geführt hatte, er konnte gar nicht atmen.

»Soll ich die Frage wiederholen, Gaius Marius?« fragte Scaurus zuckersüß.

Marius führ sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. Wohin gehen, was tun? Jetzt bist du ausgerutscht, Gaius Marius. In eine Grube gefallen, aus der du nicht mehr herausklettern kannst. Warum habe ich nicht vorausgesehen, daß diese Frage kommen mußte? Daß der einzige hier, der ein Gehirn im Kopf hat, sie stellen mußte? Hat mich auf einmal meine eigene Schlauheit geblendet? Die Frage mußte kommen! Und ich habe nicht ein einziges Mal daran gedacht. Nicht ein einziges Mal in diesen drei ewig langen Tagen.

Nun, ich habe keine Wahl. Scaurus hat mich am Schwanz gepackt, und ich muß nach seiner Pfeife tanzen. Er hat mich zur Strecke gebracht. Weil ich keine Wahl habe. Jetzt stehe ich hier und muß diesem hohen Haus erzählen, daß ich persönlich das Gesetz für ungültig halte. Sonst wird keiner schwören. Ich habe sie glauben gemacht, daß es Zweifel an der Gültigkeit gibt. Ich habe angedeutet, daß deshalb der Schwur leicht fallen müßte. Wenn ich einen Rückzieher mache, habe ich sie verloren. Aber wenn ich sage, daß ich persönlich das Gesetz für ungültig halte, bin ich verloren.

Er schaute zu den Bänken der Volkstribunen. Lucius Appuleius Saturninus saß da mit vorgebeugtem Oberkörper, zusammengeballten Händen, das Gesicht erstarrt, der Mund ein gerader Strich.

Wenn ich sage, daß ich das Gesetz für ungültig halte, werde ich diesen Mann verlieren, der so wichtig für mich ist. Und ich werde den Mann verlieren, der die besten Gesetze entwirft, die es in Rom je gegeben hat, Glaucia... Zusammen hätten wir ganz Italien in Ordnung bringen können, und wenn die konservative Clique sich noch so schlaue Untaten hätte einfallen lassen. Aber wenn ich sage, daß ich ihr Gesetz für ungültig halte, habe ich sie für immer verloren. Und doch - trotz allem - ich muß es sagen. Wenn ich es nicht sage, werden diese fellatores den Eid nicht schwören, und meine Soldaten werden ihr Land nicht bekommen. Das ist alles, was ich aus diesem Schlamassel retten kann. Das Land für meine Männer. Ich bin verloren. Denn ich habe verloren.

Als die Füße von Glaucias Elfenbeinstuhl über den Marmorboden kratzten, sprang fast die Hälfte der Senatoren auf. Glaucia betrachtete seine Nägel, mit zusammengekniffenen Lippen, ausdruckslosem Gesicht. Aber das Schweigen dauerte an, unendlich lang.

»Ich wiederhole besser meine Frage noch einmal, Gaius Marius«, sagte Scaurus. »Was denkst du persönlich? Ist dieses Gesetz gültig oder ungültig?«

»Ich meine«, Marius hielt inne, runzelte heftig die Stirn, »meine persönliche Meinung ist, daß das Gesetz ungültig sein könnte«, sagte er.

Scaurus schlug sich vernehmlich auf die Schenkel. »Danke, Gaius Marius!« Er erhob sich, wandte sich strahlend zuerst den vorderen Reihen zu, dann den Reihen gegenüber. »Nun, eingeschriebene Väter, wenn kein Geringerer als unser siegreicher Held Gaius Marius das Gesetz des Appuleius für ungültig hält, bin ich für meinen Teil gerne bereit, den Eid zu schwören.« Er verneigte sich zu Saturninus und Glaucia. »Kommt, Mitsenatoren, als euer Senatsvorsitzender schlage ich vor, daß wir alle sofort zum Tempel des Semo Sancus eilen!«

»Halt!«

Alle blieben stehen. Metellus Numidicus klatschte in die Hände. Aus der obersten Reihe, von ganz hinten, kam schwerbeladen ein Sklave, in jeder Hand einen Sack. Die Säcke waren so schwer, daß er sie über die sechs Fuß breiten Stufen schleifen mußte. Mit einem lauten Schlag fielen sie von Stufe zu Stufe. Als der Diener mit den beiden Säcken bei Metellus Numidicus angelangt war, stieg er die Treppen wieder empor und schleppte noch einmal zwei Säcke herbei. Mehrere Senatoren auf den hinteren Bänken bemerkten die Säcke, die noch an der Wand aufgetürmt waren, und winkten ihre Diener zu Hilfe. So ging die Arbeit schneller voran, bis schließlich vierzig Säcke um den Stuhl von Metellus Numidicus aufgehäuft waren. Metellus Numidicus erhob sich.