»Ich werde den Eid nicht schwören«, sagte er. »Und wenn der erste Konsul tausend- und abertausendmal versichert, daß die lex Appuleia ungültig ist, ich werde dennoch nicht schwören! Das sind zwanzig Talente in Silber, meine Strafe. Außerdem erkläre ich, daß ich morgen in der Dämmerung nach Rhodos ins Exil aufbrechen werde.«
Alle brüllten durcheinander.
»Ruhe! Ruhe! Ruhe!« schrie Scaurus, ebenso Marius.
Als wieder Ruhe eingekehrt war, blickte Metellus Numidicus sich um und sprach über die Schulter ein paar Worte zu jemandem auf der hinteren Bank. »Quästor des Schatzamtes, bitte tritt vor«, sagte er.
Ein recht gutaussehender junger Mann trat vor, mit braunen Augen und braunem Haar; seine weiße Toga glänzte, jede Falte saß perfekt. Es war Quintus Caecilius Metellus das Ferkel, der Sohn von Metellus Numidicus Schweinebacke.
»Quästor des Schatzamtes, ich vertraue dir diese zwanzig Talente Silber zur Aufbewahrung an. Damit ist meine Strafe dafür bezahlt, daß ich mich weigere, den Eid auf das zweite Ackergesetz des Appuleius zu schwören«, sagte Metellus Numidicus. »Da jedoch der Senat noch versammelt ist, verlange ich, daß das Geld gezählt wird. So können die eingeschriebenen Väter sicher sein, daß nicht ein Denar der vorgeschriebenen Summe fehlt.«
»Wir verlassen uns auf dein Wort, Quintus Caecilius«, sagte Marius mit eiskaltem Lächeln.
»Nein, ich bestehe darauf!« erwiderte Metellus Numidicus. »Niemand wird sich aus der Curia entfernen, bevor das Geld nicht bis auf die letzte Münze gezählt ist.« Er hustete. »Insgesamt müßten es einhundertfünfunddreißigtausend denarii sein.«
Alle setzten sich seufzend. Zwei Senatsdiener brachten einen Tisch herbei und stellten ihn vor den Platz von Metellus Numidicus. Der stand aufrecht vor dem Tisch, die linke Hand in die Toga gesteckt, die rechte leicht auf den Tisch gestützt. Die Diener öffneten einen der Säcke, hoben ihn gemeinsam hoch und ließen den Inhalt in glitzernden, klirrenden Haufen neben Metellus Numidicus’ Hand rieseln. Der junge Metellus bedeutete den Dienern, den leeren Sack mit der Öffnung nach oben rechts neben ihn zu halten. Er faßte mit der rechten Hand den Tischrand. Mit der Linken zählte er die Münzen auf dem Tisch, ordnete sie zu kleinen Türmchen und schob diese in den Sack. »Warte!« sagte Metellus Numidicus. Metellus das Ferkel hielt inne. »Zähle laut, Quästor!« Ein Seufzen, ein schauerliches Stöhnen ging durch die Reihen.
Metellus das Ferkel legte alle Münzen zurück auf den Tisch und fing noch einmal an. »Ei-ei-eins... z-z-zwei... d-d-drei...«
Bei Sonnenuntergang erhob sich Gaius Marius von seinem Amtsschemel. »Der Tag geht zu Ende, eingeschriebene Väter. Unser Tagewerk ist noch nicht getan, aber nach Sonnenuntergang gibt es keine offiziellen Versammlungen mehr in diesem Haus. Deshalb schlage ich vor, daß wir jetzt zum Tempel des Semo Sancus gehen und unseren Eid schwören. Das muß vor Mitternacht geschehen, sonst mißachten wir einen Befehl des Volkes.« Er blickte hinüber zu Metellus Numidicus, der immer noch neben seinem Sohn stand. Der junge Metellus plagte sich weiterhin mit dem Geldzählen - es würde noch lange dauern, obwohl sein Stottern sehr viel besser geworden war, seit seine Nervosität sich gelegt hatte.
»Marcus Aemilius Scaurus, als Senatsvorsitzender ist es deine Pflicht, hier zu bleiben und diese langwierige Aufgabe bis zum Schluß zu überwachen. Das erwarte ich von dir. Und ich erteile dir hiermit die Erlaubnis, deinen Eid morgen zu schwören. Oder übermorgen, falls das Zählen morgen noch nicht beendet ist.« Ein leises Lächeln spielte um Marius’ Mundwinkel.
Scaurus lächelte nicht. Er warf den Kopf zurück und lachte, lachte schallend und konnte gar nicht mehr aufhören.
Im Frühsommer kam Sulla aus Gallia Cisalpina zurück. Er nahm ein Bad, wechselte die Kleider und machte dann als erstes einen Besuch bei Gaius Marius. Marius sah ganz und gar nicht gut aus, stellte er fest, und das überraschte ihn nicht. Die Ereignisse bei der Verabschiedung der lex Appuleia hatten sich bis in den äußersten Norden des Landes herumgesprochen. Marius mußte die Geschichte auch nicht noch einmal erzählen. Wortlos blickten sich Sulla und Marius an, und was sie voneinander wissen mußten, erfuhren sie ohne Worte.
Nachdem aber die erste Gefühlswallung sich gelegt hatte - und das erste gute Glas Wein getrunken war -, schnitt Sulla das leidige Thema an.
»Deine Glaubwürdigkeit hat schwer gelitten«, sagte er.
»Das weiß ich, Lucius Cornelius.«
»Es ist Saturninus, wie ich höre.«
Marius seufzte. »Ja, und kann man ihm vorwerfen, daß er mich haßt? Er hat mehr als fünfzig Reden von der rostra gehalten, und beileibe nicht alle vor korrekt einberufenen Versammlungen. Und jedesmal hat er mir Betrug vorgeworfen. Da er ein glänzender Redner ist, strömten die Menschen herbei, um sich die Geschichte meines Verrats in seiner Version anzuhören. Er zieht die Massen an. Nicht nur die üblichen Besucher des Forums, auch Männer aus der Dritten, Vierten, Fünften Klasse. Sie sind anscheinend so fasziniert von ihm, daß sie zum Forum strömen, wann immer sie einen freien Tag haben.«
»Spricht er denn so häufig?« fragte Sulla.
»Jeden Tag!«
Sulla pfiff leise. »Das ist etwas Neues in den Annalen des Forums! Jeden Tag? Bei Regen und Sonnenschein? Ob offizielle Versammlung oder nicht?«
»Jeden Tag. Als ihn der Stadtprätor - sein alter Freund Glaucia - auf Anweisung des pontifex maximus davon unterrichtet hat, daß er an Markttagen, an Feiertagen und anderen versammlungsfreien Tagen nicht sprechen darf, hat er das einfach ignoriert. Und weil er Volkstribun ist, wagt niemand, ihn zum Schweigen zu bringen.« Marius runzelte sorgenvoll die Stirn. »Als Folge davon wächst sein Ruhm, wir sehen jetzt eine ganz neue Besucherschicht auf dem Forum - solche, die nur kommen, um Saturninus’ Schimpftiraden zu hören. Er hat - ich weiß nicht genau, wie man es beschreiben kann, die Griechen haben wie üblich ein Wort dafür - Charisma. Diese Leute, die jetzt kommen, sind keine geübten Zuhörer; sie wissen nichts von Rhetorik. Es ist ihnen egal, wie er seinen kleinen Finger spreizt, wie er seine Gangart variiert. Sie spüren seine Leidenschaft. Ja, sie stehen einfach da und starren ihn mit offenen Mündern an. Er reißt sie mit, und zum Schluß jubeln sie ihm laut zu.«
»Wir müssen ihn im Auge behalten«, sagte Sulla. Er blickte Marius sehr ernst an. »Warum hast du es getan?«
Marius konnte nicht ausweichen. Er antwortete sofort. »Ich hatte keine andere Wahl, Lucius Cornelius. Die Wahrheit ist, daß ich nicht - wie soll ich sagen - verschlagen genug bin. Ich kann nicht um so viele Ecken denken, wie ich müßte, wenn ich Männern wie Scaurus zwei Schritte voraus sein wollte. Er hat mich so sauber eingewickelt, wie man es sich nur wünschen kann. Das gebe ich offen zu.«
»Aber in gewisser Weise hast du doch den Plan gerettet«, versuchte Sulla ihn zu trösten. »Das zweite Ackergesetz ist immer noch auf der Tagesordnung, und ich glaube nicht, daß die Versammlung der Plebs - oder in dem Fall die Volksversammlung - das Gesetz annullieren wird. Zumindest sagte man mir, daß die Dinge so stünden.«
»Stimmt«, sagte Marius, aber er wirkte nicht sehr getröstet. Er zog den Kopf zwischen die Schultern und seufzte. »Saturninus ist der Sieger, Lucius Cornelius, nicht ich. Seine Empörung hält die Plebs bei der Stange. Ich habe die Plebs verloren.« Er fiel in sich zusammen, streckte hilfesuchend die Hände aus. »Wie soll ich bloß das restliche Jahr durchstehen? Durch den Hagel von Buhrufen und Pfiffen zu gehen, die um die Rednerbühne erschallen, wenn Saturninus spricht, ist eine Qual. Das Senatsgebäude würde ich am liebsten gar nicht mehr betreten. Ich hasse das aalglatte Lächeln auf Scaurus’ düsterem Gesicht, ich hasse das unerträglich süffisante Grinsen auf dem Kamelgesicht von Catulus - ich tauge nicht für die politische Bühne, das ist die Wahrheit, die mir langsam immer deutlicher wird.«