»Aber du hast den cursus honorum eingeschlagen, Gaius Marius!« sagte Sulla. »Du warst einer der großen Volkstribunen! Du kanntest die politische Bühne und hast sie geliebt, sonst wärst du nie ein großer Volkstribun geworden.«
Marius zuckte mit den Achseln. »Ach, damals war ich jung, Lucius Cornelius. Und konnte scharf denken. Aber ein Politiker durch und durch war ich nie.«
»Dann überläßt du das Feld einem Wolf mit gebleckten Zähnen wie Saturninus? Das sieht dem Gaius Marius, den ich kenne, nicht ähnlich«, sagte Sulla.
»Ich bin nicht der Gaius Marius, den du kennst.« Marius lächelte schwach. »Der neue Gaius Marius ist müde, sehr müde. Er ist mir genauso fremd wie dir, glaub mir!«
»Dann ruhe dich doch diesen Sommer irgendwo weit weg aus, bitte!«
»Das habe ich vor«, sagte Marius, »sobald du die Bande mit Aelia geknüpft hast.«
Sulla stutzte, dann lachte er. »Bei den Göttern, das habe ich ganz vergessen!« Er erhob sich, ein schöner Mann in der Blüte seiner Kraft. »Ich gehe besser nach Hause und bitte um eine Audienz bei unserer gemeinsamen Schwiegermutter, oder? Zweifelsohne denkt sie schon die ganze Zeit darüber nach«, bei diesen Worten überlief Sulla ein Zittern, »wann sie mich endlich los wird.«
Marius hatte das Zittern nicht bemerkt, er konzentrierte sich auf Sullas Worte. »Ja, sie ist besorgt. Ich habe ihr eine nette kleine Villa in Cumae gekauft, nicht weit von unserer.«
»Dann eile ich nach Hause, so schnell wie Merkur!« Sulla streckte die Hand aus. »Paß auf dich auf, Gaius Marius. Wenn Aelia noch will, werde ich schnell die Bande knüpfen.« Etwas fiel ihm noch ein, er lachte. »Du hast ja so recht! Catulus Caesar sieht wirklich aus wie ein Kamel! In Lebensgröße!«
Julia wartete vor der Tür des Arbeitszimmers, um Sulla abzufangen, bevor er ging. »Was meinst du?« fragte sie sorgenvoll.
»Er kommt wieder in Ordnung, kleine Schwester. Sie haben ihn geschlagen, und er leidet. Bring ihn in die Campania, laß ihn im Meer baden und in Rosen schwelgen.«
»Das werde ich, sobald du verheiratet bist.«
»Ich bin ja schon unterwegs!« rief er aus und hob kapitulierend die Hände.
Julia seufzte. »Eines läßt sich nicht leugnen, Lucius Cornelius, nämlich daß ein halbes Jahr auf dem Forum Gaius Marius mehr Kraft gekostet hat als zehn Jahre auf dem Schlachtfeld mit seinen Legionen.«
Es schien, als ob alle eine Pause bräuchten, denn als Marius nach Cumae abgereist war, verfiel das öffentliche Leben in Rom in laue Trägheit. Die vornehmen Römer verließen einer nach dem anderen die Stadt, die in der Sommerhitze unerträglich war, wenn Darmkrankheiten in der Subura und auf dem Esquilin grassierten und die Luft selbst auf dem Palatin und dem Aventin nicht unbedingt der Gesundheit zuträglich war.
Aurelia mußte sich über das Klima in der Subura nicht zu sehr den Kopf zerbrechen, denn sie lebte in einer kühlen Höhle, die grüne Laube im Innenhof und die unglaublich dicken Wände ihrer insula hielten viel Hitze ab. Gaius Matius und seine Frau Priscilla waren in derselben Lage wie sie und Caesar. Auch Priscilla war hochschwanger; ihr Baby sollte zur selben Zeit kommen wie Aurelias.
Für beide Frauen war bestens gesorgt. Gaius Matius schlich hilfsbereit herum, und Lucius Decumius schaute jeden Tag vorbei, ob auch alles in Ordnung war. Die Blumensträuße kamen weiterhin regelmäßig, und seit Aurelia schwanger war, schickte Lucius Decumius zusätzlich kleine Leckereien, seltene Gewürze und was er noch für geeignet hielt, den Appetit seines Lieblings anzuregen.
»Als ob ich den verloren hätte!« lachte sie mit Publius Rutilius Rufus, der ebenfalls regelmäßig vorbeischaute.
Am dreizehnten Tag des Quintilis wurde ihr Sohn Gaius Julius Caesar geboren. Die Geburt wurde in den Akten des Tempels der Juno Lucina registriert: zwei Tage vor den Iden des Quintilis geboren, aus patrizischem Geschlecht, mit Anspruch auf den Rang eines Senators. Er war sehr groß und sah deshalb leichter aus, als er war; er war kräftig, ernst und ruhig und weinte kaum. Sein Haar war so blond, daß man es kaum sah, obwohl er bei genauer Betrachtung ziemlich viel davon hatte. Von Geburt an hatten seine Augen eine blasse, grün-blaue Farbe, umgeben von einem tiefblauen, fast schwarzen Ring.
»Das ist mir einer, dein Söhnchen.« Lucius Decumius betrachtete eingehend das Gesicht des Säuglings. »Schau dir diese Augen an! Da wird deine Großmutter aber einen Schreck kriegen!«
»Sag doch nicht solche Sachen, du kleiner Giftzwerg!« knurrte Cardixa, die ganz vernarrt in diesen ersten Sohn war.
»Laß mich unten gucken«, verlangte Lucius und wühlte mit dreckigen Fingern in den Windeln. »Oho, oho!« krähte er. »Genau wie ich dachte! Große Nase, große Füße, großer Pimmel!«
»Lucius Decumius!« Aurelia war entrüstet.
»Jetzt reicht’s aber! Verschwinde!« Cardixa packte ihn am Kragen und setzte ihn vor die Haustür, so wie es eine schmächtigere Frau mit einem Kätzchen gemacht hätte.
Fast einen Monat nach der Geburt des Babys kam Sulla zu Besuch. Sie sei das letzte bekannte Gesicht in Rom, erklärte er und wollte sich damit für die Störung entschuldigen.
»Aber du störst doch nicht!« Aurelia war hoch erfreut, ihn zu sehen. »Ich hoffe sehr, daß du zum Essen bleiben kannst - oder, wenn es heute nicht paßt, vielleicht kannst du morgen kommen? Ich habe solche Sehnsucht nach Gesellschaft!«
»Ich kann bleiben«, sagte er ganz direkt. »Ich bin ohnehin nur nach Rom zurückgekehrt, um einen alten Freund zu besuchen - er hat Fieber.«
»Wer denn? Jemand, den ich kenne?« fragte Aurelia eher höflich als ernsthaft interessiert.
Doch Sulla sah einen Augenblick lang aus, als hätte sie eine unpassende Frage gestellt oder vielleicht eine schmerzliche. Der Ausdruck auf seinem Gesicht interessierte Aurelia viel mehr als der Name seines kranken Freundes. Sulla schaute düster, unglücklich und ärgerlich. Dann war es vorüber, und er lächelte frei und offen.
»Ich glaube kaum, daß du ihn kennst. Metrobius.«
»Der Schauspieler?«
»Genau der. Ich kannte viele Leute vom Theater. Früher. Bevor ich Julilla geheiratet habe und Senator wurde. Eine andere Welt.« Seine eigenartig hellen Augen schweiften über die Eingangshalle. »Eher wie diese Welt, nur dunkler. Seltsam! Heute kommt es mir vor wie ein Traum.«
»Du klingst traurig«, sagte Aurelia sanft.
»Nein, nicht wirklich.«
»Und wird er wieder gesund werden, dein Freund Metrobius?«
»Ja, ja! Er hat nur etwas Fieber.«
Sie schwiegen beide, ohne daß es bedrückend war. Wortlos stand er auf und ging zu der großen Öffnung, die als Fenster auf den Hof diente. »Es ist wunderschön hier draußen.«
»Das finde ich auch.«
»Und dein kleiner Sohn? Wie geht es ihm?«
Aurelia lachte. »Das wirst du gleich selber sehen.« »Gut.«
Er starrte immer noch auf den Hof.
»Lucius Cornelius, ist alles in Ordnung?« fragte Aurelia.
Er wandte sich um und lachte sie an. Was für ein schöner Mann er war, auf eine so ungewöhnliche Art! Wie beunruhigend seine Augen schimmerten - so hell - und so umgeben von Dunkelheit. Wie die Augen ihres Sohnes. Aus irgendeinem Grund zitterte sie bei diesem Gedanken.
»Ja, Aurelia, es ist alles in Ordnung«, sagte Sulla.
»Wenn ich nur glauben könnte, daß du mir die Wahrheit sagst.«