Er wollte noch etwas sagen, aber in diesem Augenblick kam Cardixa mit dem Stammhalter der Familie Caesar auf dem Arm herein.
»Wir sind auf dem Weg in den vierten Stock«, sagte Cardixa.
»Zeig ihn zuerst Lucius Cornelius, Cardixa.«
Aber die einzigen Kinder, die Sulla wirklich interessierten, waren seine eigenen zwei. Pflichtschuldig betrachtete er das Baby, dann warf er einen prüfenden Blick auf Aurelia, ob sie zufrieden war.
»Also, dann los, Cardixa«, sagte Aurelia und erlöste damit Sulla aus seinen Qualen. »Wer ist heute vormittag dran?«
»Sarah.«
Aurelia wandte sich Sulla mit einem offenen, unbefangenen Lächeln zu. »Ich habe keine Milch, leider! Das ist einer der vielen Vorteile, wenn man in einem großen Mietshaus wohnt. Es gibt immer mindestens ein halbes Dutzend stillende Mütter, und alle sind so nett und säugen meine Kinder mit.«
»Wenn er einmal groß ist, wird er die ganze Welt lieben«, sagte Sulla. »Deine Mieter kommen doch sicher aus der ganzen Welt.«
»Stimmt. Das macht das Leben farbiger.«
Sulla starrte wieder in den Hof.
»Lucius Cornelius, du bist ja gar nicht ganz hier«, klagte sie sanft. »Du hast doch etwas! Willst du es nicht mit mir teilen? Oder ist es eine von diesen Schwierigkeiten, die nur Männer etwas angehen?«
Er setzte sich auf das Sofa ihr gegenüber. »Ich habe einfach kein Glück mit den Frauen«, sagte er kurz.
Aurelia blinzelte. »Inwiefern?«
»Mit den Frauen, die ich - liebe. Mit den Frauen, die ich heirate.«
Interessant. Es fiel ihm leichter, über das Heiraten zu sprechen als über die Liebe. »Und um was geht es in diesem Fall?« fragte Aurelia.
»Um beides ein bißchen. In eine Frau bin ich verliebt, mit einer anderen verheiratet.«
»Ach, Lucius Cornelius!« Sie sah ihn mit echter Zuneigung, aber ohne jedes Verlangen an. »Ich frage dich nicht, um wen es geht, das will ich gar nicht wissen. Stell du mir die Fragen, und ich will versuchen, Antworten zu finden.«
Er zuckte die Achseln. »Viel gibt es nicht zu erzählen. Ich bin mit Aelia verheiratet, die unsere Schwiegermutter für mich ausgesucht hat. Nach Julilla wollte ich eine echte römische Hausfrau, jemand wie Julia oder wie du, wenn du ein bißchen älter wärst. Als Marcia mir Aelia vorstellte, dachte ich, sie wäre genau die Richtige: ruhig, ausgeglichen, humorvoll, gutaussehend, nett. Ich war begeistert! Endlich hatte ich meine römische Hausfrau. Ich kann sowieso niemand lieben, dachte ich, dann kann ich ja jemand heiraten, den ich gut leiden mag.«
»Deine germanische Frau mochtest du wohl«, sagte Aurelia leise.
»Ja, sehr. Ich vermisse sie immer noch, auf eine gewisse Art. Aber sie ist keine Römerin, was soll ich als römischer Senator mit ihr? Nun gut, ich meinte, daß es mit Aelia genauso werden würde wie mit Hermana.« Er lachte hart und bitter. »Aber weit gefehlt! Aelia ist dumm, farblos und langweilig. Ja, wirklich nett, aber nach ein paar Augenblicken in ihrer Gesellschaft fange ich an zu gähnen!«
»Kümmert sie sich gut um deine Kinder?«
»Sehr gut. Da kann ich mich nicht beklagen!« Er lachte wieder. »Ich hätte sie als Kindermädchen einstellen sollen - dafür ist sie genau die Richtige! Sie liebt die Kinder, und die Kinder lieben sie.«
Er sprach jetzt beinahe so, als wäre Aurelia gar nicht da oder als zählte sie nicht als Zuhörerin, sondern als diente ihm ihre Gegenwart nur als Entschuldigung, damit er das laut aussprechen konnte, was er schon lange insgeheim dachte. »Ich war gerade aus Gallia Cisalpina zurück, da wurde ich zu einer Abendgesellschaft bei Scaurus eingeladen. Ich fühlte mich geschmeichelt. Und war ein bißchen aufgeregt. Fragte mich, ob sie wohl alle da sein würden - Metellus Schweinebacke und die anderen -, um mich von Gaius Marius loszueisen. Und dann war sie da, die arme Kleine. Scaurus’ Ehefrau. Bei allen Göttern dieser Welt, warum mußte sie ausgerechnet mit Scaurus verheiratet sein? Er könnte ihr Urgroßvater sein! Delmatica. So wird sie genannt. Damit man die vielen tausend Caecilia Metellas nicht durcheinanderbringt. Ich war auf den ersten Blick in sie verliebt. Zumindest glaube ich, daß es Liebe ist. Es ist auch Mitleid dabei, aber ich kann nicht aufhören, an sie zu denken, dann wird es wohl Liebe sein, oder? Sie ist schwanger. Ist das nicht widerlich? Niemand hat sie gefragt, ob sie ein Kind will, natürlich nicht. Metellus Schweinebacke hat sie Scaurus gegeben, wie man einem Kind einen Honigkuchen gibt. Hier, dein Sohn ist tot, nimm das als Tröstung! Mach noch einen Sohn! Ekelerregend. Und doch, wenn sie nur die Hälfte von dem wüßten, was in mir vorgeht, dann wären sie angewidert. Ich verstehe es nicht, Aurelia. Sie sind viel schamloser, als ich es bin! Aber das würden sie nicht im Traum einsehen.«
Aurelia hatte viel gelernt, seit sie in der Subura lebte. Sie sprach mit vielen Menschen, von Lucius Decumius bis zu den Freigelassenen, die in den beiden obersten Stockwerken hausten. Es passierte allerhand - Dinge, mit denen die Hausbesitzerin zu tun bekam, ob sie es wollte oder nicht. Abtreibung. Zauberei. Mord. Raubüberfälle. Vergewaltigung. Trunksucht und schlimmere Süchte. Wahnsinn. Verzweiflung. Depression. Selbstmord. So etwas kam in jedem Mietshaus vor, immer mußte man selbst damit fertig werden, diese Dinge trug man nicht zum Tribunal des Stadtprätors! Die Menschen erledigten diese Dinge auf ihre eigene Art, und ein rauhes Recht herrschte hier; man fackelte nicht lang. Auge um Auge, Zahn um Zahn, Leben um Leben.
Beim Zuhören setzte sich Aurelia ein Bild von Lucius Cornelius Sulla zusammen, das die Wahrheit ziemlich gut traf. Als einzige unter den römischen Aristokraten, die ihn kannten, verstand sie, wo er herkam, und sie verstand, was für unglaubliche Schwierigkeiten ihm sein Wesen und seine Erziehung bereiteten. Er hatte sich genommen, was ihm als Geburtsrecht zustand - aber das Leben in Rom hatte ihn für alle Zeiten gebrandmarkt.
Während Sulla sprach, gingen ihm andere Dinge durch den Kopf, die er seiner Zuhörerin nicht zu erzählen wagte. Wie verzweifelt er sie haben wollte, die kleine, schwangere Kindfrau von Scaurus, nicht nur wegen ihres Körpers, ihres Wesens. Sie war ideal für seine Zwecke. Aber sie war mit Scaurus verheiratet, er der großartig langweiligen Aelia verbunden. Keine confarreatio diesmal. Dennoch - Scheidung war ein zu scheußliches Geschäft, diese Lektion hatte er schon vor Delmatica gelernt. Frauen. Er würde nie Glück haben mit Frauen, das fühlte er im Innersten. War es wegen seiner anderen Seite? Dieses wunderbare, schöne, phantastische Verhältnis mit Metrobius! Und trotzdem wollte er mit Metrobius nicht leben, ebensowenig wie er mit Julilla hatte leben wollen. Vielleicht war es das - er wollte sich nicht teilen. Das war zu gefährlich. Ach, wie begehrte er Caecilia Metella Delmatica, die Frau des Senatsvorsitzenden Marcus Aemilius Scaurus! Es war widerlich. Nicht, daß er normalerweise etwas dagegen hatte, wenn sich alte Männer halbe Kinder zur Frau nahmen. Aber dieser Fall war persönlich. Er war verliebt in sie, darum war sie etwas Besonderes.
»Mochte sie - Delmatica - dich auch, Lucius Cornelius?« durchbrach Aurelia seine Gedanken.
Sulla zögerte nicht einen Augenblick. »0 ja, da gibt es keinen Zweifel!«
»Was willst du dann jetzt machen?«
Er seufzte. »Ich bin zu weit gekommen, ich habe zu viel bezahlt! Ich kann nicht mehr zurück, Aurelia! Auch nicht für Delmatica; wenn ich ein Verhältnis mit ihr anfinge, würden sämtliche boni dafür sorgen, daß ich ruiniert wäre. Außerdem habe ich nicht viel Geld. Es reicht gerade so, um im Senat durchzukommen. Bei den Germanen habe ich ein bißchen zugelangt, aber nicht mehr, als mir zustand. Der Weg, den ich noch vor mir habe, wird nicht leicht sein. Mit mir geht es ihnen wie mit Gaius Marius, wenn auch aus anderen Gründen. Keiner von uns paßt zu ihren verfluchten Idealen. Sie kommen nicht darauf, warum wir es können und sie nicht. Sie fühlen sich benutzt, ausgenutzt. Ich bin eindeutig besser dran als Gaius Marius. Ich habe wenigstens das richtige Blut. Aber es ist von der Subura befleckt. Schauspieler. Leben im Sumpf. Ich gehöre eben nicht zu den boni.« Er holte tief Luft. »Und dennoch, Aurelia, ich werde an ihnen allen vorbeiziehen! Ich bin das beste Pferd im Rennen!«