Im Augenblick bereitete allerdings Saturninus Sulla die größten Sorgen. Seit sich die ersten Menschenmengen auf dem Forum versammelt hatten, seit die ersten mit der Toga bekleideten Würdenträger belästigt worden waren, verfolgte Sulla sein Tun genauestens. Ob das Getreidegesetz tatsächlich in Kraft treten würde oder nicht, war Sulla gleichgültig. Aber man mußte Saturninus endlich einmal zeigen, daß nicht alle jederzeit nach seiner Pfeife tanzen würden.
Am Abend vor der Abstimmung über das Getreidegesetz hatten sich ungefähr fünfzig Söhne aus gutem Haus bei dem jungen Metellus versammelt. Sulla hielt sich im Hintergrund und lauschte scheinbar unbeteiligt den Gesprächen, bis der junge Caepio ihn barsch fragte, was sie denn seiner Meinung nach tun sollten.
Sulla sah blendend aus. Sein dichtes, rotgoldenes Haar war so frisiert, daß seine Locken besonders gut zur Geltung kamen, seine weiße Haut war makellos, seine Augenbrauen und Wimpern auffallend schwarz - er behandelte sie mit etwas stibium, aber das fiel niemandem auf -, seine Augen hatten den eiskalten Glanz einer blauäugigen Katze. »Meiner Meinung nach produziert ihr hier nichts als heiße Luft«, sagte er.
Der junge Metellus glaubte inzwischen, daß Sulla keineswegs Marius’ Marionette war. Wie jeder Römer machte der junge Metellus es niemandem zum Vorwurf, wenn er einer bestimmten Gruppierung angehörte, und ebenso hielt er es für möglich, daß jemand die Fronten wechselte. »Nein, das ist nicht nur heiße Luft«, knurrte er und stotterte dabei überhaupt nicht. »Wir wissen bloß nicht, wie wir taktisch richtig vorgehen sollen.«
»Habt ihr etwas gegen ein bißchen Gewalt?« fragte Sulla.
»Nicht, wenn damit das Recht des Senats geschützt wird, über die Verwendung der öffentlichen Gelder Roms zu entscheiden«, sagte der junge Caepio.
»Genau darum geht es«, sagte Sulla. »Dem Volk wurde noch nie das Recht zugestanden, über die Verwendung der Gelder zu bestimmen. Das Volk soll die Gesetze machen, dagegen ist nichts einzuwenden, und der Senat stellt die Gelder für die Gesetze des Volkes zur Verfügung - oder verweigert sie. Wenn man uns die Kontrolle über den Geldhahn entzieht, haben wir überhaupt keine Macht mehr. Nur über das Geld können wir die Gesetze des Volkes unwirksam machen, wenn wir nicht damit einverstanden sind. So haben wir es schon bei Gaius Gracchus’ Getreidegesetz gemacht.«
»Wenn das Getreidegesetz durchkommt, werden wir wohl kaum verhindern können, daß der Senat das Geld dafür bewilligt«, sagte der junge Metellus. Er stotterte immer noch nicht, im Kreise seiner engsten Freunde stotterte er nie.
»Natürlich nicht!« sagte Sulla. »Wir können auch nicht verhindern, daß das Gesetz durchkommt. Aber wir können Lucius Appuleius wenigstens zeigen, wie stark wir sind.«
Und so geschah es. Saturninus ermahnte die Wähler noch einmal, für das Getreidegesetz zu stimmen, für die gute Sache. Die Menschenmassen waren weit weg, im Circus Flaminius, und die Versammlung lief so ordentlich ab, wie es jeder Konsular nur verlangen konnte. Bis der junge Caepio ungefähr zweihundert Männer auf die untere Hälfte des Forums führte. Sie trugen Knüppel und Holzprügel, die meisten waren fleischige, muskulöse Kerle mit schwarzen Bauchschärpen: ehemalige Gladiatoren, die gegen entsprechende Bezahlung ihre Dienste für jede Aufgabe anboten, bei der Körperkraft und Einschüchterung gefragt waren. Die fünfzig jungen Männer, die sich am Vorabend bei Metellus getroffen hatten, bildeten die Vorhut, angeführt von dem jungen Caepio. Lucius Cornelius Sulla war nicht dabei.
Saturninus zuckte nur die Achseln und verfolgte gelassen den Weg der Bande über das Forum. Dann erklärte er die Versammlung für geschlossen.
»Um meinetwillen werden keine Köpfe eingeschlagen!« schrie er den Wählern zu, die in Panik ihre Abstimmungsgruppen auflösten. »Geht nach Hause, kommt morgen wieder! Dann bringen wir unser Gesetz durch!«
Am nächsten Tag waren die Proletarier wieder in voller Stärke versammelt. Die aufsässigen Senatorensöhne ließen sich nicht blicken, und das Getreidegesetz wurde verabschiedet.
»Ich wollte lediglich ein formal korrektes Gesetz in einer rechtmäßig einberufenen Versammlung beschließen, du dickköpfiger Idiot«, fuhr Saturninus den jungen Caepio an, als der Senat im Tempel des Jupiter Optimus Maximus zusammentrat, wo die Senatoren nach Einschätzung von Valerius Flaccus vor den Menschenmassen sicher waren und ungestört über die Finanzierung der lex Appuleia frumentaria beraten konnten. »Die Massen waren nicht da, alles blieb friedlich, die Zeichen waren günstig. Und was passiert? Du und deine blödsinnigen Freunde kommen mit Knüppeln daher!« Er wandte sich an die Senatoren, die in kleinen Gruppen um ihn herum standen. »Mir dürft ihr nicht die Schuld geben, wenn das Gesetz inmitten von zwanzigtausend Proletariern verabschiedet werden mußte! Dieser Narr ist dafür verantwortlich!«
»Dieser Narr macht sich die größten Vorwürfe, daß er nicht Gewalt angewendet hat, wo Gewalt nötig gewesen wäre!« brüllte der junge Caepio. »Ich hätte dich töten sollen, Lucius Appuleius!«
»Ich danke dir, daß du das vor all diesen unparteiischen Zeugen gesagt hast«, erwiderte Saturninus lächelnd. »Quintus Servilius Caepio Junior, hiermit klage ich dich des Verrats an in einem minder schweren Fall. Du hast versucht, den Volkstribunen bei der Ausübung seines Amtes zu behindern. Du hast gedroht, der unantastbaren Person des Volkstribunen Gewalt anzutun.«
»Du reitest auf einem halbverrückten Gaul dem Abgrund entgegen, Lucius Appuleius«, sagte Sulla. »Spring ab, bevor es zu spät ist!«
»Ich habe eine offizielle Klage gegen Quintus Servilius erhoben, patres conscripti«, sagte Saturninus. Sullas Einwurf ignorierte er. »Damit soll sich der Gerichtshof für Verratsangelegenheiten beschäftigen. Heute bin ich hier, um Geld zu fordern.«
Nicht einmal achtzig Senatoren waren anwesend, alles Hinterbänkler, die anderen hatten sich nicht hergetraut. Saturninus blickte sie verächtlich an. »Ich brauche Geld, um Getreide für das Volk von Rom zu kaufen«, sagte er. »Wenn ihr im Schatzamt kein Geld mehr habt, schlage ich vor, daß ihr euch auf die Beine macht und welches leiht. Denn ich werde das Geld bekommen!«
Und Saturninus bekam sein Geld. Mit hochrotem Kopf und unter lautstarkem Protest nahm der Stadtprätor, der junge Caepio, den Befehl entgegen: Die für Notfälle aufbewahrten Silberbarren sollten im Tempel der Ops zu besonderen Münzen gepreßt werden, und die Senatoren würden ohne weiteren Widerstand die Getreidekäufe bezahlen.
»Wir sehen uns vor Gericht wieder«, sagte Saturninus am Ende der Versammlung zuckersüß zu dem jungen Caepio. »Mit allergrößtem Vergnügen werde ich persönlich die Anklage gegen dich vertreten.«
Damit war er aber zu weit gegangen. Die Geschworenen, in der Mehrzahl Ritter, mochten Saturninus nicht und waren dem jungen Caepio günstig gesonnen. Da zeigte Fortuna, daß auch sie auf der Seite des jungen Caepio stand. In die Rede des Verteidigers platzte ein Bote mit der dringenden Mitteilung, Quintus Servilius Caepio sei in Smyrna gestorben. Der einzige Trost, den er in seiner Todesstunde gehabt hatte, war sein Gold gewesen. Der junge Caepio weinte bitterlich, die Richter waren tief gerührt und wiesen die Anklage zurück.