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Wahlen standen an, aber niemand wollte sie durchführen. Immer noch sammelten sich täglich Menschenmassen auf dem Forum Romanum, immer noch waren die Kornspeicher leer. Der zweite Konsul Valerius Flaccus bestand darauf, daß die Wahlen erst abgehalten werden sollten, wenn eindeutig erwiesen sei, daß Gaius Marius sie nicht werde durchführen können. Obwohl Lucius Valerius Flaccus Priester des Mars war, hatte er wenig Ähnlichkeit mit dem Kriegsgott. Er wußte, daß er in der gegenwärtigen Situation sein Leben riskieren wurde, wenn er Wahlen beaufsichtigen müßte.

Marcus Antonius Orator hatte drei Jahre lang sehr erfolgreich gegen die Piraten von Kilikien und Pamphylien gekämpft und den Kampf höchst stilvoll von seinem Hauptquartier im erfreulich großstädtischen und kultivierten Athen aus beendet. In Athen war sein guter Freund Gaius Memmius zu ihm gestoßen. Als Gaius Memmius nach seiner Zeit als Statthalter von Makedonien nach Rom zurückgekehrt war, hatte er sich zusammen mit Gaius Flavius Fimbria, seinem Kompagnon bei dem Getreidebetrug, vor Glaucias Repetundengericht auf der Anklagebank wiedergefunden. Fimbria wurde mit großer Mehrheit verurteilt, aber Memmius hatte Grund, mit dem Schicksal zu hadern: Er wurde mit nur einer Stimme Mehrheit verurteilt. Memmius ging nach Athen in die Verbannung, zu seinem Freund Antonius. Mit Unterstützung seines Freundes wollte er versuchen, beim Senat die Aufhebung des Urteils zu erwirken. Daß er die Kosten dieses Verfahrens tragen konnte, verdankte er einem glücklichen Zufalclass="underline" Als Statthalter in Makedonien war er in einem Dorf der Skordisker buchstäblich über eine versteckte Goldschatulle gestolpert - hundert Talente hatte er darin gefunden. Wie Caepio in Tolosa hatte Memmius keinen Grund gesehen, warum er das Gold mit irgend jemandem hätte teilen sollen, und er hatte es auch mit niemandem geteilt - bis er in Athen dem äußerst geneigten Antonius etwas davon zukommen ließ. Wenige Monate später wurde Memmius nach Rom zurückgerufen, und auch seinen Sitz im Senat durfte er wieder einnehmen.

Da der Krieg mit den Piraten erfolgreich abgeschlossen war, wartete Gaius Memmius in Athen, bis auch Marcus Antonius Orator zur Heimreise bereit war. Ihre freundschaftlichen Bande waren fester geknüpft denn je, und sie hatten beschlossen, gemeinsam als Konsuln zu kandidieren.

Ende November ließ sich Antonius mit seinem kleinen Heer auf dem Marsfeld nieder und forderte einen Triumph. Die Senatoren, die im Schutz des Tempels der Bellona zusammengekommen waren, genehmigten ihm das mit Vergnügen, teilten ihm jedoch mit, daß sein Triumph nicht vor dem zehnten Tag des Dezembers stattfinden könne. Die neuen Volkstribunen seien noch nicht gewählt, und auf dem Forum Romanum versammelten sich immer noch große Massen von Proletariern. Man hoffe aber, daß die Volkstribunen demnächst gewählt würden und am zehnten Tag des Monats ihr Amt antreten könnten. In Anbetracht der gespannten Lage komme ein Triumphzug durch die Stadt derzeit nicht in Frage.

Antonius bangte um seine Kandidatur, denn solange sein Triumph nicht stattgefunden hatte, mußte er außerhalb des pomerium, der geheiligten Stadtgrenze, bleiben. Als Träger von imperium galt für ihn dasselbe wie für einen ausländischen König: Er durfte Rom nicht betreten. Und wenn er Rom nicht betreten durfte, konnte er seine Kandidatur für das Amt des Konsuls nicht öffentlich ankündigen.

Sein Sieg über die Piraten hatte ihm aber bei den Kornhändlern und anderen Geschäftsleuten große Sympathien eingebracht, denn die Schiffahrt auf dem Mittelmeer war seither so sicher und berechenbar wie seit fünfzig Jahren nicht mehr. Er konnte sich deshalb gute Chancen selbst gegen Gaius Marius ausrechnen. Und obwohl Gaius Memmius in Fimbrias Betrügereien verwickelt war, standen auch seine Chancen nicht schlecht. Sie beide waren, wie Catulus Caesar zum Senatsvorsitzenden Scaurus bemerkte, bei den Rittern, die die Mehrheit der Ersten und Zweiten Klasse ausmachten, so beliebt, wie es sich die boni nur wünschen konnten - und beide waren Gaius Marius unbedingt vorzuziehen.

Denn natürlich erwarteten alle, daß Gaius Marius in letzter Minute nach Rom zurückkehren und seine siebte Kandidatur anmelden wurde. Die Nachricht von seinem Schlaganfall hatte sich als zutreffend erwiesen, aber der Schlaganfall schien keine schlimmen Folgen gehabt zu haben. Die vielen Besucher, die nach Cumae gereist waren, kehrten mit der Überzeugung zurück, daß Gaius Marius ganz der alte war. Niemand zweifelte daran: Gaius Marius wurde mit Sicherheit kandidieren.

Den Konservativen gefiel die Idee außerordentlich, den Wählern zwei Kandidaten zu präsentieren, die gemeinsam Konsul werden wollten. Antonius und Memmius hatten gute Chancen, Marius‘ eisernen Griff um den Stuhl des Konsuls zu lösen. Aber Antonius blieb stur: Nicht einmal um der Kandidatur willen wollte er sein imperium ohne Triumph zurückgeben, und das hätte er tun müssen, um die Stadtgrenzen überschreiten zu können.

»Ich kann auch nächstes Jahr noch als Konsul kandidieren«, erklärte er Catulus Caesar und Scaurus, als sie ihn auf dem Marsfeld aufsuchten. »Der Triumph ist wichtiger - wahrscheinlich werde ich in meinem ganzen Leben keinen so erfolgreichen Krieg mehr führen.« Und davon war er nicht abzubringen.

»Nun gut«, sagte Scaurus zu Catulus Caesar, als sie niedergeschlagen Antonius’ Feldlager verließen, »dann müssen wir die Regeln eben großzügig auslegen. Gaius Marius hält sich an keine Regel, wenn es darauf ankommt. Warum sollen wir uns daran halten, wo jetzt so viel auf dem Spiel steht?«

Catulus Caesar trug dem hohen Haus ihren Vorschlag vor. Es waren gerade genug Senatoren im Schutz des Tempels des Jupiter Stator in der Nähe des Circus Flaminius zusammengekommen, daß der Senat beschlußfähig war.

»Wir durchleben harte Zeiten«, sagte Catulus Caesar. »Üblicherweise müssen sich alle Kandidaten für kurulische Ämter dem Senat und dem Volk von Rom auf dem Forum Romanum vorstellen und dort ihre Kandidatur öffentlich erklären. Die Getreideknappheit und die ständigen Demonstrationen auf dem Forum Romanum machen jede Versammlung an diesem Ort leider unmöglich. Daher schlage ich den verehrten Senatoren vor, für die Kandidatenvorstellung in diesem Jahr ausnahmsweise die Zenturien in der saepta auf dem Marsfeld einzuberufen. Wir müssen etwas tun, damit die Wahlen endlich abgehalten werden können! Wenn wir die Vorstellung der Kandidaten in die saepta verlegen, ist das zumindest ein Anfang - ab dann zählt die Zeitspanne zwischen der Ankündigung der Kandidaturen und der Wahl. Außerdem wäre dies ein Akt der Gerechtigkeit gegenüber Marcus Antonius, der als Konsul kandidieren möchte, aber die geheiligten Stadtgrenzen nicht übertreten darf, solange er seinen Triumph nicht gefeiert hat. Und den Triumph kann er wegen der Unruhen in unserer hungrigen Stadt nicht feiern. Auf dem Marsfeld könnte er seine Kandidatur verkünden. Wir erwarten alle, daß die Massen nach Hause gehen werden, wenn erst die Volkstribunen gewählt sind und ihre Ämter angetreten haben. Marcus Antonius kann seinen Triumph feiern, sobald die neuen Volkstribunen im Amt sind, danach können wir die Wahlen für die kurulischen Ämter abhalten.«

»Warum bist du so sicher, daß die Massen nach Hause gehen werden, wenn die neuen Volkstribunen im Amt sind?« fragte Saturninus.

»Ich denke, du müßtest diese Frage selbst am allerbesten beantworten können, Lucius Appuleius!« fauchte Catulus Caesar. »Du bist es doch, der sie immer wieder auf das Forum treibt. Du hetzt sie Tag für Tag auf, machst ihnen Versprechungen, die du niemals halten kannst, ebensowenig wie diese hochverehrte Versammlung! Wie sollen wir Getreide kaufen, wo es doch gar keines gibt?«

»Auch wenn meine Amtszeit abgelaufen ist, werde ich noch auf dem Forum stehen und zu den Menschen sprechen«, sagte Saturninus.

»Das wirst du nicht«, sagte Catulus Caesar, »wenn du erst wieder privatus bist, Lucius Appuleius, werde ich hundert Männer einen Monat lang darauf ansetzen, ein Gesetz auszugraben oder irgendeinen Präzedenzfall, woraus hervorgeht, daß du nicht auf der Rednerbühne oder irgendwo sonst auf dem Forum sprechen darfst!«