Saturninus schüttelte sich vor Lachen, sein röhrendes Gelächter erfüllte den Senat. Aber dennoch war niemand hier so dumm zu glauben, er lache vor Vergnügen. »Such du nur, solange es dir Spaß macht, Quintus Lutatius! Das wird nichts nützen. Denn auch nach Ablauf dieses Amtsjahres werde ich kein privatus sein, weil ich mich nämlich wieder zum Volkstribunen wählen lasse! Ja, ich habe von Gaius Marius gelernt, und ich werde euch keinen Grund liefern, daß ihr nach meinem Blut lechzen könnt! Mit welchen gesetzlichen Bestimmungen wollt ihr mich hindern? Nichts kann mich davon abhalten, daß ich mich jedes Jahr wieder zur Wahl stelle!«
»Es gibt Gebräuche, Traditionen«, sagte Scaurus. »Außer dir und Gaius Gracchus haben sich bisher alle daran gehalten. Kein Volkstribun hat eine dritte Amtszeit angestrebt. Und Gaius Gracchus sollte dir eine Warnung sein! Nur ein Sklave war bei ihm, als er im Hain der Furrina starb.«
»Ich werde bessere Gesellschaft haben«, gab Saturninus zurück. »Wir Männer aus Picenum halten zusammen. Stimmt’s, Titus Labienus? Stimmt’s, Gaius Saufeius? So schnell werdet ihr uns nicht los!«
»Fordere die Götter nicht heraus«, sagte Scaurus. »Sie nehmen gerne den Kampf mit den Menschen auf, Lucius Appuleius!«
»Ich habe keine Angst vor den Göttern, Marcus Aemilius! Die Götter stehen mir bei!« Und mit diesen Worten verließ Saturninus die Versammlung.
»Ich wollte es ihm sagen«, sagte Sulla im Vorbeigehen zu Scaurus und Catulus Caesar. »Er sprengt auf einem halbverrückten Pferd dem Abgrund entgegen.«
»Der auch«, sagte Catulus Caesar zu Scaurus, als Sulla außer Hörweite war.
»Und der halbe Senat«, sagte Scaurus. In aller Ruhe blickte er um sich. »Das ist wirklich ein sehr schöner Tempel, Quintus Lutatius! Wir haben ihn Metellus Macedonicus zu verdanken. Aber heute ist es ein einsamer Ort, ohne Metellus Numidicus.« Er zuckte die Achseln, seine Miene hellte sich auf. »Komm, wir müssen noch den hochverehrten zweiten Konsul festhalten, bevor er sich in den hintersten Winkel seiner Höhle verkriecht! Er kann Mars ebensogut wie Jupiter Optimus Maximus das Opfer darbringen. Wir werden ein ganz feierliches Staatsopfer daraus machen, mit lauter weißen Opfertieren, dann haben wir den göttlichen Segen für die Kandidatenvorstellung auf dem Marsfeld!
»Wer wird die Rechnung für einen weißen Stier, ein weißes Schaf und ein weißes Schwein übernehmen?« Catulus Caesar schaute zu dem jungen Metellus und dem jungen Caepio hinüber, die gemeinsam in einer Ecke standen. »Unsere Quästoren vom Schatzamt werden lauter quietschen als alle drei heiligen Opfertiere zusammen.«
»Ach, ich glaube, Lucius Valerius, unser weißer Hase, kann bezahlen«, grinste Scaurus. »Er hat schließlich beste Verbindungen zu Mars!«
Am letzten Tag des November traf in Rom ein Schreiben von Gaius Marius ein, in dem er für den nächsten Tag eine Versammlung in der curia hostilia anberaumte. Diesmal konnten die ständigen Unruhen auf dem Forum Romanum die eingeschriebenen Väter nicht abschrecken, zu gespannt waren sie, Gaius Marius wiederzusehen. Die Curia war bis auf den letzten Platz besetzt. An den Kalenden des Dezember kamen alle, noch bevor der Morgen graute, denn jeder wollte der erste sein. Gerüchte schwirrten durch die Luft, wahrend sie warteten.
Er kam als letzter. Er erschien so groß, so breitschultrig, so aufrecht wie immer, sein Auftreten ließ in keiner Weise an einen Krüppel denken. Seine linke Hand steckte wie immer in den Falten seiner purpurgesäumten Toga. Aber sein Gesicht. Die ganze Welt konnte es auf seinem Gesicht sehen! Auf der rechten Seite sein straffes früheres Selbst, auf der linken Seite eine traurige Karikatur davon.
Marcus Aemilius Scaurus, der Senatsvorsitzende, hob die Hände und begann zu klatschen. Die kahlen Dachsparren, die rötlichen Rundungen der Terrakottafliesen, die Wände und Dach bedeckten, warfen ein Echo in das alte Gemäuer zurück. Einer nach dem anderen fielen die Senatoren in das Klatschen ein. Als Marius auf seinem elfenbeinernen Amtsstuhl Platz nahm, hatte der Applaus donnernde Lautstärke erreicht. Er lächelte nicht, jedes Lächeln betonte die groteske Asymmetrie seines Gesichtes auf unerträgliche Weise. Wenn er lachte, sah er Tränen in den Augen seines Gegenübers, von Julia bis Sulla. Darum stand er jetzt nickend vor seinem Amtsstuhl und verbeugte sich majestätisch, bis der Beifall verstummte.
Scaurus erhob sich mit breitem Lächeln. »Gaius Marius, wie schön, dich zu sehen! Die letzten Monate waren hier im Senat so trübe wie ein Regentag. Als Vorsitzender heiße ich dich mit größtem Vergnügen zu Hause willkommen.«
»Ich danke dir, Senatsvorsitzender, und euch, eingeschriebene Väter, meine Magistratskollegen.« Marius’ Stimme war klar, kein Wort kam verzerrt aus seinem Mund. Gegen seinen Willen zog der Anflug eines Lächelns seinen rechten Mundwinkel nach oben, der linke hing traurig nach unten. »Wenn es euch ein Vergnügen ist, mich zu Hause willkommen zu heißen, so ist mein Vergnügen, endlich zu Hause zu sein, wohl zehnmal so groß. Wie ihr seht, war ich krank.« Er zog hörbar den Atem ein, seine Stimme bebte vor Trauer. »Wenn ich auch die Krankheit überwunden habe, so bin ich doch davon gezeichnet. Bevor ich dieses Haus zur Ordnung rufe und wir uns den Geschäften widmen können, die dringend unserer Aufmerksamkeit bedürfen, möchte ich eine Erklärung abgeben. Aus zweierlei Gründen werde ich mich nicht um die Wiederwahl als Konsul bewerben. Erstens meine ich, daß die Notlage, in der sich unser Staat befand und die mir die einmalige Ehre verschaffte, so viele Male hintereinander Konsul zu werden, nun endgültig und für immer ihr glückliches Ende gefunden hat. Zweitens glaube ich, daß mir mein Gesundheitszustand nicht erlauben wurde, meinen Pflichten ordnungsgemäß nachzukommen. Ganz offensichtlich trage ich die Verantwortung für das gegenwärtige Chaos in Rom. Der erste Konsul müßte in dieser Situation in Rom sein, wozu ist er schließlich da? Ich klage weder Lucius Valerius noch Marcus Aemilius noch irgendeinen anderen Amtsträger dieser Versammlung an. Der erste Konsul muß die Führung innehaben, und ich konnte meine Führung nicht wahrnehmen. Daraus habe ich gelernt, daß ich nicht mehr als Konsul kandidieren darf. Der erste Konsul muß gesund sein.«
Niemand antwortete. Niemand rührte sich. Sein verzerrtes Gesicht hatte vermuten lassen, daß so etwas in der Luft lag, aber die Fassungslosigkeit war ein Beweis dafür, wie sehr er in den letzten fünf Jahren den Senat beherrscht hatte. Ein Senat ohne Gaius Marius auf dem Stuhl des Konsuls! Undenkbar! Selbst der Senatsvorsitzende Scaurus und Catulus Caesar waren schockiert.
Dann ertönte eine Stimme aus der letzten Reihe hinter Scaurus. »G-g-gut! Jetzt ka-ka-kann mein Va-Va-Vater na-nach Hause koko-kommen.«
»Vielen Dank für dieses Kompliment, junger Metellus.« Marius blickte ihn direkt an. »Du setzt voraus, daß ich allein der Grund bin, warum dein Vater noch im Exil auf Rhodos ist. Das ist aber, wie du wissen müßtest, nicht der Fall. Die Gesetze dieses Staates halten Quintus Caecilius Metellus Numidicus im Exil fest. Und ich fordere jedes einzelne Mitglied dieser hochverehrten Versammlung auf, sich diese Tatsache ins Gedächtnis zurückzurufen! Auch wenn ich nicht Konsul bin, darf keine Verordnung, kein Beschluß des Volkes, kein Gesetz übertreten werden!«
»Jung und dumm«, flüsterte Scaurus zu Catulus Caesar. »Wenn er das nicht gesagt hätte, hätten wir Quintus Caecilius Anfang nächsten Jahres in aller Stille zurückholen können. Jetzt wird es nicht klappen! Der junge Metellus hätte einen ganz anderen Spitznamen verdient!«
»Und zwar?« fragte Catulus Caesar.
»Metellus Pi-Pi-Pius!« Scaurus war wütend. »Metellus, der brave Sohn, der ständig darum kämpft, daß sein Papa nach Hause kommt. Und es dauernd ver-ver-vermasselt!«