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Als letzter erschien Lucius Equitius, der immer noch überall herumerzählte, er sei ein Bastard von Tiberius Gracchus, und den Metellus Numidicus als Zensor nicht in die Liste der Ritter hatte einschreiben wollen. Die Menge begann wieder zu jubeln, die Begeisterung machte sich in wildem Geschrei Luft. Hier stand ein Nachfahre des geliebten Tiberius Gracchus. Und Marius erkannte, wie zutreffend sein Bild von dem riesigen, sanften Stier war. Die Menge drängte sich langsam immer näher an die Rednerbühne und an Lucius Equitius heran. Die Menschen wußten nichts von ihrer Kraft. In kleinen Wellen rückten sie unaufhaltsam vor und schoben die Wähler immer dichter zusammen. Panik kam auf bei denen, die wählen wollten, sie spürten die lähmende Angst und den hilflosen Schrecken, die alle Menschen befallen, wenn sie von einer Kraft umringt sind, gegen die sie nichts ausrichten können.

Während alle anderen wie gelähmt dastanden, trat der wirklich gelähmte Gaius Marius entschlossen vor. Mit ausgestreckten Armen zeigte er der Menge seine Handflächen, eine Geste, die »Halt! Keinen Schritt weiter!« bedeutete. Die Menge blieb sofort stehen. Der Druck ließ nach, und jetzt wurde Gaius Marius bejubelt, der Erste Mann in Rom, der dritte Gründer Roms, der Sieger über die Germanen.

»Schnell, du Narr!« fauchte er Saturninus an. »Sag, du hast Donner gehört - oder irgend etwas anderes, warum die Versammlung aufgehoben ist! Wenn wir die Wähler nicht wegschaffen, wird die Menge sie allein durch ihre Anzahl umbringen.« Er befahl den Herolden, ihre Trompeten zu blasen. In der überraschten Stille, die darauf eintrat, hob er noch einmal die Arme. »Donner!« brüllte er. »Die Wahl findet morgen statt! Geht nach Hause, Bürger Roms! Geht nach Hause!«

Und die Menschen gingen nach Hause.

Glücklicherweise hatten die meisten Senatoren in der Curia Zuflucht gesucht. Dorthin folgte ihnen Marius, sobald er sich einen Weg bahnen konnte. Saturninus war, wie er bemerkte, von der Rednerbühne gestiegen und badete in der Menge. Er lachte, reckte seine Arme empor, wie einer jener seltsamen Mystiker aus Pisidien, die an das Handauflegen glaubten. Und Glaucia, der Stadtprätor? Er hatte die Rednerbühne erklommen und beobachtete mit breitem Grinsen Saturninus’ Weg durch die Menge.

Kreidebleiche, verzerrte Gesichter wandten sich Marius zu, als er die Curia betrat.

»Wir stecken ganz schön in der Klemme!« sagte der Senatsvorsitzende Scaurus, wie immer in aufrechter Haltung, aber auch deutlich blasser als sonst.

Marius ließ den Blick über die Senatoren schweifen, die in Gruppen zusammenstanden, und sagte in festem Ton: »Geht nach Hause, ich bitte euch! Die Menge wird euch nichts tun, trotzdem nehmt besser den Weg über das Argiletum, auch wenn ihr in Richtung Palatin müßt. Wenn ihr euch nur über einen sehr langen Heimweg beklagen müßt, seid ihr gut weggekommen. Jetzt geht! Geht!«

Marius klopfte ein paar Senatoren, mit denen er noch sprechen wollte, auf die Schultern. Nur Sulla, Scaurus, der Zensor Metellus Caprarius, der pontifex maximus Ahenobarbus, Crassus Orator und sein Vetter Scaevola, beides kurulische Ädilen, blieben zurück. Marius registrierte mit Interesse, wie Sulla zu dem jungen Caepio und Metellus dem Ferkel hinüberging, ihnen etwas zuflüsterte und sie mit einem offensichtlich freundschaftlichen Schlag auf die Schultern verabschiedete. Ich muß herausfinden, was da vor sich geht, dachte Marius, aber später. Wenn ich Zeit habe. Falls ich je Zeit haben werde. »Tja, so etwas haben wir noch nicht erlebt«, fing er an. »Das kann einem schon Angst einjagen.«

»Ich glaube nicht, daß sie etwas im Schilde führen«, sagte Sulla.

»Das glaube ich auch nicht«, sagte Marius. »Aber sie sind trotzdem wie ein riesiger Stier, der seine Kräfte nicht einschätzen kann.« Er gab seinem ersten Schreiber ein Zeichen. »Hol mir jemand, der für mich zum Forum läuft. Ich brauche den Vorsteher der Liktoren, auf der Stelle.«

»Was schlägst du vor? Was sollen wir tun?« fragte Scaurus. »Sollen wir die Wahl der Volkstribunen verschieben?«

»Nein, wir können sie ebensogut jetzt hinter uns bringen«, sagte Marius bestimmt. »Im Augenblick ist unser Stier noch ein gehorsames Tier, aber wer kann schon sagen, wie wütend er wird, wenn wir die Hungersnot nicht beenden können? Wir sollten nicht warten, bis wir ihm Heu um die Hörner wickeln müssen, als Zeichen, daß er bösartig ist, denn wenn er böse ist, wird er einen von uns auf die Hörner nehmen. Ich lasse den Vorsteher der Liktoren kommen, weil ich glaube, daß ein leichter Zaun unseren Stier morgen noch zurückhalten kann. Die Staatssklaven sollen die ganze Nacht lang arbeiten und um den Versammlungsplatz sowie zwischen dem Versammlungsplatz und der Senatstreppe einen harmlos aussehenden Zaun ziehen, so einen, wie wir sonst bei Leichenfeiern auf dem Forum aufstellen, um die Zuschauer zurückzuhalten. Der Anblick wird ihnen vertraut sein, sie werden den Zaun nicht als Zeichen unserer Furcht deuten. Außerdem werde ich alle verfügbaren Liktoren an diesem Zaun aufstellen, alle in dunkelrote Tunikas gekleidet, unbewaffnet bis auf Knüppel. Unser Stier darf keinesfalls auf die gefährliche Idee kommen, er sei größer und stärker als wir. Auch Stiere können nämlich denken! Und morgen finden die Wahlen statt, auch wenn nur fünfunddreißig Wähler erscheinen. Das bedeutet, daß ihr alle auf dem Heimweg noch ein paar Besuche machen und die Senatoren in eurer Nachbarschaft für morgen zusammentrommeln müßt. Auf diese Weise können wir sicherstellen, daß zumindest ein Mitglied von jedem Tribus anwesend ist. Auch eine Wahl mit magerer Wahlbeteiligung ist gültig. Habt ihr das alle verstanden?«

»Verstanden«, sagte Scaurus.

»Wo war Quintus Lutatius heute?« fragte Sulla den Senatsvorsitzenden.

»Krank, glaube ich«, antwortete Scaurus. »Er wird wohl wirklich krank sein - an Mut fehlt es ihm gewiß nicht.«

Marius wandte sich an Metellus Caprarius, den Zensor. »Du, Gaius Caecilius, wirst morgen die schwierigste Aufgabe haben«, sagte er. »Wenn Equitius seine Kandidatur verkündet, werde ich dich fragen, ob du zustimmst. Was wirst du antworten?«

Caprarius zögerte keinen Augenblick. »Ich werde mit Nein antworten, Gaius Marius. Ein ehemaliger Sklave soll Volkstribun werden? Undenkbar.«

»Gut, das ist alles, ich danke euch«, sagte Marius. »Macht euch auf den Weg und schafft mir morgen alle eure schlotternden Kollegen her. Lucius Cornelius, du bleibst. Ich übergebe dir die Verantwortung für die Liktoren, du solltest also hier sein, wenn ihr Vorsteher eintrifft.«

Als der nächste Morgen graute, stand die Menge wieder da. Der Versammlungsplatz war mit einem einfachen Zaun aus Pfosten und Schnüren abgegrenzt, wie er üblicherweise aufgestellt wurde, wenn auf dem Forum Gladiatorenkämpfe zu Ehren eines Toten stattfanden. Im Abstand von ein paar Metern reihten sich die Liktoren in dunkelroten Tuniken mit dicken Knüppeln in den Händen entlang des Zaunes. Auch das machte keinen besonderen Eindruck. Und als Gaius Marius vortrat und erklärte, diese Maßnahmen sollten verhindern, daß jemand von der Menge zerquetscht wurde, jubelten sie ihm wie am Vortag zu. Was die Menschen allerdings nicht sehen konnten, war die Gruppe, die in der curia hostilia postiert war. Lange vor dem Morgengrauen hatte Sulla seine fünfzig vornehmen jungen Männer aus der Ersten Vermögensklasse dorthin gebracht. Sie trugen Schilde, Helme und Harnische, Schwerter und Dolche baumelten an ihren Hüften. Der junge Caepio zitterte vor Aufregung, obwohl er nur ihr stellvertretender Führer war. Die Kommandos gab Sulla selbst.

»Wir verhalten uns ruhig, bis ich einen Befehl gebe«, sagte Sulla. »Wer sich ohne meinen Befehl von der Stelle rührt, den bringe ich eigenhändig um.«

Auf der rostra war alles für die Wahl bereit. Eine erstaunlich große Zahl von Wählern hatte sich eingefunden, auch die Hälfte der Senatoren war gekommen. Die patrizischen Senatoren standen wie immer auf den Senatstreppen. Catulus Caesar war auch dabei, und er sah so krank aus, daß man ihm einen Stuhl gebracht hatte. Der Zensor Caprarius stand auch auf der Treppe, obwohl er als Plebejer eigentlich auf den Versammlungsplatz gehört hätte. Aber er hatte diesen Platz gewählt, weil er da besser gesehen wurde.