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Als Saturninus zum zweiten Mal seine Kandidatur verkündete, jubelte ihm die Menge geradezu hysterisch zu. Die übrigen Kandidaturen wurden wieder stillschweigend zur Kenntnis genommen. Bis als letzter Lucius Equitius kam.

Marius drehte sich zu den Senatstreppen. Er zog die Augenbraue in der gesunden Gesichtshälfte in einer stummen Frage nach oben. Metellus Caprarius antwortete mit einem entschiedenen Kopfschütteln. Eine laute Frage wäre unmöglich gewesen, da die Menge immer noch Lucius Equitius zujubelte, als wollte sie nie mehr aufhören.

Die Herolde bliesen ihre Trompeten. Marius trat vor. Stille. »Dieser Mann, Lucius Equitius, steht für die Wahl als Volkstribun nicht zur Verfügung!« schrie er, so laut er konnte. »Es gibt Zweifel an seinem Status als Bürger. Der Zensor muß das klären, bevor sich Lucius Equitius um ein öffentliches Amt des Senats und des Volkes von Rom bewerben kann!«

Saturninus stieß Marius zur Seite und stand jetzt am äußersten Rand der rostra. »Es gibt keinerlei Zweifel!«

»Ich erkläre im Auftrag des Zensors, daß Zweifel bestehen«, wiederholte Marius ungerührt.

Saturninus wandte sich an die Menge. »Lucius Equitius ist ein Römer, wie ihr alle!« kreischte er. »Schaut ihn euch an, schaut ihn euch doch an! Als ob Tiberius Gracchus vor uns stünde!«

Lucius Equitius aber starrte in eine Ecke, die außerhalb des Blickfeldes der Menge lag, selbst außerhalb des Blickfelds derer, die in der ersten Reihe standen. Dort holten Senatoren und Söhne von Senatoren Messer und Prügel unter ihren Tuniken hervor und bewegten sich langsam auf die rostra zu, als hätten sie es auf Lucius Equitius abgesehen.

Lucius Equitius, der tapfere Veteran, der zehn Jahre in den Legionen gekämpft hatte - zumindest erzählte er es so -, zuckte zurück, drehte sich zu Marius um und umklammerte seinen rechten Arm. »Hilf mir!« schlotterte er.

»Am liebsten wurde ich dir mit dem Stiefelabsatz helfen, du dummer Unruhestifter«, grollte Marius. »Wir müssen heute unter allen Umständen die Wahlen durchführen. Du kannst nicht hier oben bleiben, sonst wird man dich lynchen. Am besten lasse ich dich zu deinem eigenen Schutz in die Zellen der Lautumiae eskortieren, und dort wartest du ab, bis alle nach Hause gegangen sind.«

Zwei Dutzend Liktoren standen auf der Rednerbühne, viele trugen Rutenbündel als Zeichen, daß sie zu Gaius Marius gehörten. Sie nahmen Lucius Equitius in die Mitte und machten sich auf den Weg in Richtung der Lautumiae. Die Menge wich vor ihnen zurück, vor der Autorität der einfachen, purpurumschlungenen Rutenbündel.

Es ist unglaublich, dachte Marius, während er mit den Augen den Weg der Liktoren durch die Menge verfolgte. Wenn man sie jubeln hört, muß man glauben, daß sie diesen Mann inbrünstiger als jeden Gott verehren. Für sie muß es so aussehen, als hätte ich diese Kreatur verhaften lassen. Und was tun sie? Was sie immer tun, wenn sie eine Gruppe von Liktoren mit Rutenbündeln sehen, hinter denen eine purpurgesäumte Toga herstolziert: Sie weichen zurück. Auch nicht für einen Lucius Equitius greifen sie die Macht der Ruten und der purpurgesäumten Toga an. Das ist Rom. Was ist dagegen schon ein Lucius Equitius? Er ist doch nur ein pathetischer Abklatsch von Tiberius Sempronius Gracchus, und den haben sie aus ganzem Herzen geliebt. Sie jubeln nicht für Lucius Equitius! Sie jubeln zum Andenken an Tiberius Gracchus.

Mit einem ganz neuen Gefühl von Stolz beobachtete Gaius Marius, wie sich für die Liktoren das Meer der Menschen, der Römer aus den unteren Schichten, teilte - Stolz auf das Althergebrachte, auf die Bräuche und Traditionen, die auch nach sechshundertvierundfünfzig Jahren noch so viel Macht besaßen. Diesem Ansturm, der stärker war als die Invasion der Germanen, war man mit nichts anderem als ein paar Rutenbündeln auf der Schulter gewachsen! Und ich, dachte Gaius Marius, stehe hier mit meiner purpurgesäumten Toga und habe überhaupt keine Angst, nur weil ich diese Toga trage. Ich stehe hier und weiß, daß ich größer bin als jeder König, der je auf dieser Welt geherrscht hat. Denn ich habe keine Armee, innerhalb dieser Stadt tragen die Liktoren keine Beile zwischen den Ruten, ich habe keine persönliche Wache mit Schwertern. Und dennoch geben sie dem Symbol meiner Autorität den Weg frei - ein paar Stöckchen und ein formloses Stück Stoff, das mit ein bißchen Purpur gesäumt ist. Ja, ich bin lieber Konsul von Rom als König der Welt.

Die Liktoren kamen von den Lautumiae zurück, kurz darauf war auch Lucius Equitius wieder da. Die Menge hatte ihn stillschweigend aus der Zelle befreit. Er hüpfte ohne großes Aufsehen auf die rostra, fast so, meinte Marius, als wollte er sich entschuldigen. Und da stand er, ein zitterndes Wrack, und wünschte sich an jeden anderen Platz der Welt außer diesem. Für Marius war die Botschaft der Masse eindeutig - füll meinen Eimer, ich bin hungrig, versteck mein Futter nicht.

Inzwischen beeilte sich Saturninus mit der Wahl. Er war besorgt und wollte wiedergewählt sein, bevor etwas Unvorhergesehenes passieren konnte. Insgeheim malte er sich seine Zukunft in den leuchtendsten Farben aus. Der Jubel der Menge stieg ihm zu Kopf. Jubelten sie nicht nur deshalb Lucius Equitius zu, weil er wie Tiberius Gracchus aussah? Jubelten sie nicht Gaius Marius zu, diesem gebrochenen alten Dummkopf, weil er Rom vor den Barbaren gerettet hatte? Ja, aber ihm jubelten sie anders zu als Lucius Equitius oder Gaius Marius! Was für ein Material stellten sie für seine Zwecke dar! Das hier war nicht der Pöbel aus den letzten Löchern der Subura, diese Menge bestand aus respektablen Bürgern, deren Bäuche zwar leer waren, die aber ihre Prinzipien nicht aufgegeben hatten.

Nacheinander traten die Kandidaten vor, und alle Tribus gaben ihre Stimmen ab. Die Wahlaufseher kritzelten eifrig, Marius und Saturninus beobachteten alles genau. Schließlich war der Zeitpunkt gekommen, wo man die Sache mit Lucius Equitius klären mußte. Marius schaute Saturninus an. Saturninus schaute Marius an. Marius blickte hinüber zu den Senatstreppen.

»Ich frage dich, den Zensor Gaius Caecilius Metellus Caprarius«, rief Marius. »Soll ich weiterhin diesem Mann die Kandidatur verwehren, oder ziehst du deine Einwände zurück?«

Caprarius wandte sich hilflos an Scaurus, der starrte auf den graugesichtigen Catulus Caesar, der wiederum starrte auf den pontifex maximus. Der blickte zu Boden. Eine lange Pause trat ein. Die Menge beobachtete schweigend das Geschehen, voller Faszination, aber ohne die leiseste Ahnung, was sich abspielte.

»Laß ihn kandidieren!« rief Metellus Caprarius.

»Laß ihn kandidieren«, sagte Marius zu Saturninus.

Die Stimmen wurden ausgezählt. Lucius Appuleius Saturninus war zum dritten Mal an erster Stelle als Volkstribun gewählt worden, außer ihm wurden Cato Saloninanus, Quintus Pompeius Rufus, Publius Funus und Sextus Titius gewählt. Auf den zweiten Platz kam, mit nur drei oder vier Stimmen hinter Saturninus, der ehemalige Sklave Lucius Equitius.

»Was für ein dienstbares Kollegium wir mit den Volkstribunen dieses Jahr haben werden!« höhnte Catulus Caesar. »Nicht nur ein Cato Salonianus, sogar ein echter Freigelassener!«

»Die Republik ist tot!« Ahenobarbus, der pontifex maximus, warf Metellus Caprarius einen verächtlichen Blick zu.

»Ja, was hätte ich denn tun sollen?« blökte Metellus Ziegenbock. Weitere Senatoren kamen herbei, und Sullas kämpferische Senatorensöhne, jetzt ohne ihre kriegerische Ausrüstung, tauchten aus dem Inneren der Curia auf. Die Senatstreppen schienen momentan der sicherste Platz zu sein - auch wenn immer deutlicher wurde, daß sich die Menschenmassen nun, wo ihre Helden gewählt waren, zerstreuten.