Wie immer in solchen Fällen, rührte keiner der Zuschauer auch nur einen Finger. Sensationsgierig sahen sie zu, keiner schritt ein. Natürlich, das sei zu ihrer Ehrenrettung gesagt, hätte sich niemand träumen lassen, daß hier etwas anderes als das übliche Gezänk zweier Kandidaten stattfinden wurde. Die Waffen waren zwar eine Überraschung, aber es war schon öfter vorgekommen, daß Freunde der Kandidaten Waffen getragen hatten.
Zwei große Männer hoben den heftig um sich schlagenden Memmius auf und hielten ihn fest, Glaucia rappelte sich auf und stieß seine ruinierte Toga mit einem Fußtritt zur Seite. Er sagte kein Wort. Dann griff er sich einen Prügel von einem, der in seiner Nähe stand, und blickte Memmius einen Augenblick lang an. Er hob den Knüppel mit beiden Händen wie einen Hammer und ließ ihn mit voller Wucht auf Gaius Memmius’ so auffallend schönen Kopf niedersausen. Keiner versuchte auch nur, ihn aufzuhalten. Gaius stürzte zu Boden, und Glaucia schlug unablässig auf seinen Kopf ein, bis er ihn in einen blutigen Brei verwandelt hatte.
Voll ungläubigen Erstaunens starrte Glaucia auf das, was er angerichtet hatte. Er warf den blutigen Prügel zur Seite und blickte zu seinem Freund Gaius Claudius, der mit aschfahlem Gesicht danebenstand.
»Wirst du mich verstecken, bis ich flüchten kann?« fragte er.
Claudius nickte wortlos.
Die Zuhörer begannen zu murmeln und drängten sich immer näher an die Gruppe heran. Von der Saepta kamen Männer gelaufen. Glaucia wandte sich um und rannte den Quirinal hinauf, seine Männer folgten ihm.
Saturninus lief gerade auf der Saepta hin und her und warb für Glaucias ungesetzliche Kandidatur, als die Nachricht bekannt wurde. Wütende Blicke, die ihm verstohlen zugeworfen wurden, sagten ihm deutlich, was die meisten fühlten, als sie von dem Mord an Memmius erfuhren. Als Glaucias bester Freund war auch er ins Zwielicht geraten. Unter den jungen Senatoren und Söhnen von Senatoren regten sich immer lauter erzürnte Stimmen, und einige Söhne von mächtigen Rittern gesellten sich zu ihren Altersgenossen. In ihrer Mitte stand der rätselhafte Sulla.
»Wir machen uns besser aus dem Staub«, sagte Gaius Saufeius, der am Vortag als Stadtquästor gewählt worden war.
»Du hast recht, das ist wohl besser.« Saturninus spürte die brodelnde Wut und fühlte sich immer unwohler.
Begleitet von seinen Gefolgsleuten aus Picenum, Titus Labienus und Gaius Saufeius, verließ Saturninus die Saepta. Er wußte, wohin sich Glaucia geflüchtet haben mußte - in Gaius Claudius’ Haus auf dem Quirinal. Doch als sie dort ankamen, fanden sie die Eingänge verriegelt und versperrt. Sie mußten lange und laut brüllen, bis Gaius Claudius endlich aufmachte und die drei Freunde einließ.
»Wo ist er?« fragte Saturninus.
»In meinem Arbeitszimmer«, sagte Gaius Claudius. Seine Augen waren vom Weinen gerötet.
»Titus Labienus«, sagte Saturninus, »mach dich auf den Weg und suche Lucius Equitius, ja? Wir brauchen ihn, die Menge ist doch so hingerissen von ihm.«
»Was hast du vor?« fragte Labienus.
»Das erfährst du, wenn du mir Lucius Equitius gebracht hast.« Glaucia saß mit aschfahlem Gesicht in Gaius Claudius’ Arbeitszimmer. Als Saturninus eintrat, blickte er auf, sagte aber nichts.
»Warum, Gaius Servilius? Warum?«
Glaucia zitterte. »Ich hab’ es nicht gewollt«, sagte er. »Ich habe - ich habe einfach die Nerven verloren.«
»Und du hast unsere Aussichten auf Rom verspielt«, sagte Saturninus.
»Ich habe die Nerven verloren«, wiederholte Glaucia.
Glaucia hatte bereits die Nacht vor der Vorstellung der Kandidaten für die kurulischen Ämter in diesem Haus verbracht, denn Gaius Claudius hatte ihm zu Ehren ein Fest gegeben. Gaius Claudius, der kein sehr standfester Mann war, bewunderte die Frechheit, mit der Glaucia sich über die Bestimmungen des Wahlgesetzes hinwegsetzte, und am besten, so fand er, konnte er seiner Bewunderung dadurch Ausdruck verleihen, daß er Glaucia mit einem unvergeßlichen Abschiedsfest auf den Weg zum Stimmenfang schickte. Dafür gab er gerne einen Teil seines ungeheuren Reichtums aus. Die fünfzig Männer, die Glaucia später auf dem Weg zur Saepta begleiteten, hatten auch alle an dem Fest teilgenommen, einem Fest nur für Männer, ohne Frauen. Im Laufe des Abends war aus dem Festessen ein Trinkgelage von äußerster Widerlichkeit geworden. In der Dämmerung konnte keiner mehr ganz aufrecht gehen, aber sie mußten Glaucia auf der Saepta unterstützen, Knüppel und Prügel schienen ihnen eine gute Unterstützung. Glaucia fühlte sich ebenso unwohl wie die anderen, er nahm ein Brechmittel, badete und hüllte sich dann in die gebleichte Toga. Mit glasigen Augen machte er sich auf den Weg. Tausend kleine Hämmer schienen seinen Kopf zu bearbeiten.
Die Begegnung mit dem munter strahlenden und lachenden Memmius, der seinen hübschen Kopf schon wie ein Sieger trug, war zuviel für Glaucias angespannte Nerven. So reagierte er auf Memmius’ Anruf mit grausamem Spott, und als Memmius ihm die Toga vom Leib riß, verlor er völlig die Kontrolle. Was er getan hatte, war nicht mehr rückgängig zu machen.
Die stumme Gegenwart von Saturninus in Gaius Claudius’ Arbeitszimmer war ein Schock. Schlagartig begriff Glaucia die Ungeheuerlichkeit seiner Tat, ihre Auswirkungen und Folgen. Er hatte nicht nur seine eigene Karriere zerstört, sondern sehr wahrscheinlich auch die seines besten Freundes. Ein unerträglicher Gedanke.
»Sag doch etwas, Lucius Appuleius«, weinte er.
Saturninus blinzelte. Langsam tauchte er aus seinen Gedanken auf, wie aus einem Traum. »Meines Erachtens haben wir nur noch eine Chance«, sagte er ruhig. »Wir müssen die Menge auf unsere Seite bringen. Wir müssen die Menge dazu benutzen, unsere Forderungen beim Senat durchzusetzen - ein sicheres Amt, mildernde Umstände für dich, die Garantie, daß keiner von uns belangt werden wird. Titus Labienus soll Lucius Equitius herholen, denn es wird leichter sein, die Menge auf unsere Seite zu bringen, wenn er dabei ist.« Er rieb sich die Hände und seufzte. »Sobald Labienus zurück ist, gehen wir zum Forum. Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
»Soll ich mitkommen?« fragte Glaucia.
»Nein. Du bleibst mit deinen Leuten hier. Sag Gaius Claudius, er soll Waffen an seine Sklaven verteilen. Und laßt niemanden herein. Macht nur auf, wenn ihr Labienus, Saufeius oder mich rufen hört.« Saturninus stand auf. »Bei Sonnenuntergang muß ich die Herrschaft über Rom haben. Wenn nicht, bin ich auch erledigt.«
»Laß mich fallen!« sagte Glaucia plötzlich. »Lucius Appuleius, du mußt das nicht für mich tun! Recke deine Arme voll Schrecken über meine Tat empor, stell dich an die Spitze derer, die meine Verurteilung fordern. Das ist der einzige Weg. Rom ist noch nicht bereit für eine neue Form der Regierung! Die Menge ist hungrig, ja. Sie haben die stümperhafte Regierung satt, ja. Sie wollen mehr Gerechtigkeit, ja. Aber sie sind nicht so weit, daß sie Köpfe einschlagen und Kehlen durchschneiden würden. Sie werden dir zujubeln, bis sie heiser sind. Aber sie werden für dich nicht töten.«
»Du täuschst dich«, sagte Saturninus. Er fühlte sich, als schwebte er über dem Erdboden, leicht, frei, unverwundbar. »Gaius Servilius, diese Menschenmengen, die sich auf dem Forum drängen, sind zahlreicher und mächtiger als eine Armee! Hast du nicht bemerkt, wie die von der konservativen Clique in die Knie gingen? Hast du nicht bemerkt, wie Metellus Caprarius vor Lucius Equitius gekuscht hat? Es gab kein Blutvergießen. Das Forum war schon rot von Blut, weil ein paar hundert Männer aneinandergeraten waren, und neulich standen Hunderttausende dort! Niemand kann diesen Menschen trotzen. Es wird gar nicht nötig sein, sie zu bewaffnen oder sie aufzuhetzen, daß sie Köpfe einschlagen und Kehlen durchschneiden. Ihre Macht liegt allein in der Masse! Einer Masse, die ich beherrschen kann, Gaius Servilius! Ich muß nur meine Redekunst einsetzen, muß für ihre Sache sprechen, und Lucius Equitius muß ein paarmal winken. Wer kann sich gegen einen Mann stellen, der diese Masse wie eine riesige Belagerungsmaschine zu handhaben versteht? Die Strohpuppen aus dem Senat vielleicht?«