»Großartig«, schrie Saufeius und gab damit den Ton an.
»Wir werden gewinnen, Lucius Appuleius, wir gewinnen!« stimmte Labienus ein.
Begeistert klopften sie Saturninus auf die Schultern, majestätisch stand er in ihrer Mitte und dachte an seine glänzende Zukunft.
Und genau in diesem Moment brach Lucius Equitius in Tränen aus. »Aber was willst du denn tun?« heulte er und wischte sich mit einem Zipfel seiner Toga über das Gesicht.
»Was ich tun will? Hast du mich nicht verstanden, du Schwachkopf? Ich werde die Macht in Rom an mich reißen, was denn sonst!«
»Mit dem Haufen?«
»Wer stellt sich ihnen in den Weg? Und außerdem, sie werden mit Tausenden und Abertausenden wiederkommen. Wart’s nur ab, Lucius Equitius! Niemand wird etwas gegen uns unternehmen können!«
»Auf dem Marsfeld steht eine ganze Armee von Seesoldaten, zwei Legionen!« Lucius Equitius schniefte und zitterte.
»Noch nie ist eine römische Armee innerhalb der Stadtgrenzen von Rom aufmarschiert. Niemand, der einer römischen Armee befehlen würde, innerhalb der Stadtgrenzen von Rom aufzumarschieren, würde das überleben.« Verächtlich blickte Saturninus auf Lucius Equitius, dieses unvermeidliche Werkzeug. Sobald er an der Macht war, mußte Lucius Equitius gehen, und wenn er Tiberius Gracchus noch so ähnlich sah.
»Gaius Marius würde den Befehl geben«, schluchzte Equitius.
»Gaius Marius wird auf unserer Seite sein, du Narr!« sagte Saturninus abfällig.
»Die Sache gefällt mir nicht, Lucius Appuleius!«
»Sie muß dir auch nicht gefallen. Wenn du für mich bist, hör auf mit dem Geplärre. Wenn du gegen mich bist, werde ich das Geplärre beenden!« Bei diesen Worten machte Saturninus mit dem Finger eine Bewegung quer über die Kehle.
Gaius Marius gehörte zu den ersten, die auf die Hilferufe von Gaius Memmius’ Freunden herbeieilten. Nur wenige Minuten nachdem Glaucia und seine Genossen in Richtung Quirinal davongerannt waren, erreichte er den Ort des Geschehens und sah an die hundert Wähler der Zenturien in ihren Togen. Sie standen dicht gedrängt um das herum, was von Gaius Memmius übriggeblieben war. Die Schar teilte sich, um den ersten Konsul vortreten zu lassen, Schulter an Schulter mit Sulla starrte Gaius Marius auf den zu Brei zerschlagenen Kopf. Dann blickte er auf den blutgetränkten Knüppel, der daneben lag. Reste von Haaren, Muskeln, Haut und Knochen klebten noch daran.
»Wer hat das getan?« fragte Sulla.
Ein Dutzend Männer antworteten wie im Chor: »Gaius Servilius Glaucia.«
Sulla sog die Luft tief ein. »Er selbst?«
Alle nickten.
»Wißt ihr, wohin er gegangen ist?«
Diesmal gab es verschiedene Antworten. Sulla fand schließlich heraus, daß Glaucia und seine Bande durch das Sanqualis-Tor auf den Quirinal entkommen waren. Da Gaius Claudius dabeigewesen war, schien es sehr wahrscheinlich, daß sie zu seinem Haus in der Alta Semita gerannt waren.
Marius stand wie versteinert, den Kopf immer noch gesenkt, und blickte stumm auf Gaius Memmius hinab. Sulla berührte ihn leicht am Arm. Da zuckte er zusammen und wischte sich mit einer Falte seiner Toga die Tränen aus dem Gesicht. Wenn er mit der linken Hand nach einem Taschentuch gesucht hätte, wäre seine Unbeholfenheit zu offensichtlich geworden.
»Auf dem Schlachtfeld ist so etwas normal. Auf dem Marsfeld vor den Stadtmauern Roms ist es abscheulich!« rief er den Umstehenden zu.
Andere ältere Senatoren kamen dazu, unter ihnen der Senatsvorsitzende Marcus Aemilius Scaurus. Er streifte Marius’ tränenüberströmtes Gesicht mit einem Blick, sah zu Boden, und da stockte ihm der Atem.
»Memmius? Gaius Memmius?« fragte er ungläubig.
»Ja, Gaius Memmius«, sagte Sulla. »Von Glaucia höchstpersönlich umgebracht. Alle Zeugen bestätigen das.«
Marius weinte wieder. Er versuchte gar nicht, die Tränen zu verbergen, als er Scaurus ansah. »Vorsitzender des Senats«, sagte er, »ich rufe den Senat sofort im Tempel der Bellona zusammen. Bist du einverstanden?«
»Ich bin einverstanden«, sagte Scaurus.
Nach und nach kamen Marius’ Liktoren. Der erste Konsul, für den sie verantwortlich waren, hatte sie trotz seiner Behinderung um mehrere hundert Schritte hinter sich gelassen.
»Lucius Cornelius«, wandte sich Marius an Sulla, »nimm meine Liktoren, suche die Herolde, sag die Kandidatenvorstellung ab und schicke den Oberpriester des Mars zum Tempel der Venus Libitina. Er soll uns die heiligen Äxte, die zwischen die Rutenbündel gesteckt werden, in den Tempel der Bellona bringen. Dann ruf den Senat zusammen. Ich werde mit Marcus Aemilius vorausgehen.«
»Das war doch ein fürchterliches Jahr«, sagte Scaurus. »Ja wirklich, trotz aller Veränderungen in der letzten Zeit erinnere ich mich an kein so fürchterliches Jahr seit dem letzten Lebensjahr von Gaius Gracchus.«
Marius Tränen waren getrocknet. »Dann war es wohl wieder an der Zeit, nehme ich an«, sagte er.
»Hoffen wir, daß es nicht noch zu schlimmeren Gewalttaten kommt.«
Doch Scaurus hoffte vergebens, auch wenn zunächst alles ruhig schien. Der Senat kam im Tempel der Bellona zusammen. Die Senatoren besprachen den Mord an Memmius, viele hatten Glaucias Tat mit eigenen Augen beobachtet.
»Und trotzdem«, sagte Marius fest entschlossen, »Gaius Servilius muß für dieses Verbrechen vor Gericht gestellt werden. Kein römischer Bürger darf ohne Gerichtsverfahren verurteilt werden, es sei denn, er erklärt Rom den Krieg, und das ist heute nicht der Fall.«
»Ich fürchte doch, Gaius Marius«, keuchte Sulla, als er hereinstürzte.
Alle starrten ihn an. Niemand sagte ein Wort.
»Lucius Appuleius und eine Gruppe von Männern, darunter der Quästor Gaius Saufeius, haben das Forum Romanum besetzt«, berichtete Sulla. »Sie haben Lucius Equitius dem Pöbel vorgeführt, und Lucius Appuleius hat verkündet, daß er den Senat sowie die Erste und Zweite Vermögensklasse abschaffen will. Statt dessen soll das Volk unter seiner Führung regieren. Noch haben sie ihn nicht zum König von Rom ausgerufen, aber auf allen Straßen und Plätzen zwischen hier und dem Forum - das heißt überall! - ist davon die Rede.«
»Darf ich das Wort ergreifen, Gaius Marius?« fragte der Senatsvorsitzende.
»Sprich, princeps senatus.«
»Wir haben einen Staatsnotstand«, sagte Scaurus mit leiser, aber deutlicher Stimme, »genau wie in den letzten Tagen von Gaius Gracchus. Damals wollten Marcus Fulvius und Gaius Gracchus ihre gefährlichen Ziele mit Gewalt durchsetzen, und auch damals fand eine Debatte in diesem Hause statt, mit derselben Frage: Braucht Rom einen dictator, um mit einer so akuten Krise fertig zu werden? Wie es weiterging, ist in den Geschichtsbüchern festgehalten. Der Senat lehnte es ab, einen Diktator zu ernennen, statt dessen verabschiedete er so etwas wie eine letzte Anordnung - das Senatus consultum de re publica defendenda. Durch diesen Beschluß ermächtigte der Senat die Konsuln und Magistrate, den Staat mit allen ihnen nötig erscheinenden Mitteln zu verteidigen. Man sprach ihnen im voraus Immunität gegen Strafverfolgung zu und verbot den Volkstribunen, ihr Veto einzulegen.«
Er hielt inne und blickte ernst in die Runde. »Ich schlage vor, Senatoren, daß wir in der gegenwärtigen Krise denselben Weg einschlagen - und einen Senatsbeschluß zur Verteidigung der Republik fassen.«
»Wir werden abstimmen«, sagte Marius. »Alle, die dafür sind, stellen sich auf der linken Seite auf, alle, die dagegen sind, gehen nach rechts.« Er selbst stellte sich als erster auf die linke Seite.
Niemand stand auf der rechten Seite. Der Senat beschloß sein zweites Senatus consultum de re publica defendenda ohne Gegenstimmen, anders als beim ersten Mal.