»Der Augur Servilius ist ein tingitanischer Affe«, sagte Sulla.
»Ich stimme dir zu. Er wird verlieren.«
Marius behielt recht. Die Richter verurteilten Servilius nach einem Seitenblick auf Caepios Bande einstimmig, obwohl die leidenschaftlichen Plädoyers seiner Verteidiger Crassus Orator und Mucius Scaevola sie zu Tränen gerührt hatten.
Es war keine Überraschung, daß der Prozeß in einem Kampf endete. Marius und Sulla schauten aus gebührender Entfernung zu und hatten ihren Spaß daran, als Ahenobarbus dem frohlockenden Catulus Caesar einen Schlag auf den Mund verpaßte.
»Pollux und Lynkeus!« sagte Marius. Erfreut beobachteten sie, wie die beiden eine ernsthafte Schlägerei begannen. »Oh, gib’s ihm, Quintus Lutatius Pollux!« röhrte er.
»Keine schlechte Anspielung auf die Klassiker, wo die Ahenobarber doch immer behaupten, Pollux habe ihnen rote Tinte in ihre Bärte gegossen«, sagte Sulla. In diesem Moment landete Catulus Caesar einen gut gezielten Schlag, und Blut strömte aus Ahenobarbus’ Nase und Mund.
»Hoffentlich ist das die letzte Prügelei auf dem Forum«, sagte Marius und wandte sich ab, denn es war offensichtlich, daß Ahenobarbus den kürzeren ziehen würde. »Zumindest für dieses schreckliche Jahr.«
»Hm, ich weiß nicht, Gaius Marius. Uns steht noch die Wahl der Konsuln bevor.«
»Zum Glück findet die nicht auf dem Forum statt.«
Zwei Tage später feierte Marcus Antonius seinen Triumph, und wiederum zwei Tage später wurde er für das kommende Jahr zum ersten Konsul gewählt. Sein Mitkonsul war niemand anderer als Aulus Postumius Albinus, dessen Einmarsch in Numidien vor zehn Jahren den Krieg gegen Jugurtha ausgelöst hatte.
»Die Wähler sind solche Arschlöcher!« sagte Marius erregt zu Sulla. »Als zweiten Konsul haben sie einen Mann gewählt, der geradezu ein Paradebeispiel ist für großen Ehrgeiz, gepaart mit absoluter Unfähigkeit in jeder Beziehung. Was soll’s! Ihr Gedächtnis ist so kurz wie ihre Schwänze!«
»Tja, es ist schon was dran an dem Satz, daß Verstopfung zu geistiger Verblödung führt.« Sulla grinste, obwohl ihm gar nicht zum Lächeln zumute war. Er wollte im nächsten Jahr für das Amt des Prätors kandidieren, aber heute spürte er in der Zenturienversammlung eine Stimmung, die marianischen Kandidaten für die Zukunft nichts Gutes verhieß. Doch wie soll ich mich von diesem Mann trennen, der so viel für mich getan hat? fragte er sich unglücklich.
»Wenigstens wird es ein eintöniges Jahr, und Aulus Albinus kann nicht viel kaputtmachen, glücklicherweise«, fuhr Marius fort, von Sullas geheimen Gedanken hatte er keine Ahnung. »Zum ersten Mal seit einer langer Zeit hat Rom keine nennenswerten Feinde. Wir können uns ausruhen. Und Rom kann sich ausruhen.«
Sulla riß sich zusammen. Er wollte nicht mehr an das Amt des Prätors denken, denn das war, wie er wußte, eine Illusion. »Was ist mit der Prophezeiung?« fragte er unvermittelt. »Martha hat ausdrücklich gesagt, du würdest siebenmal Konsul von Rom sein.«
»Ich werde siebenmal Konsul sein, Lucius Cornelius.«
»Du glaubst daran.«
»Ja.«
Sulla seufzte. »Ich wäre schon froh, wenn ich nur Prätor würde.«
Mit einer Gesichtslähmung lassen sich wunderbar spöttische Laute erzeugen, und einen solchen Laut gab Marius nun von sich. »Quatsch!« sagte er energisch. »Du bist der geborene Konsul, Lucius Cornelius. Und eines Tages wirst du der Erste Mann in Rom sein.«
»Ich danke dir für dein Vertrauen, Gaius Marius«, Sulla lachte ein wenig gequält mit, fast so wie Marius selbst. »Immerhin, bedenkt man den Altersunterschied zwischen uns, werde ich wohl kaum mit dir um den Titel konkurrieren«, sagte er.
Marius lachte. »Das wäre ein Kampf der Titanen! Aber die Gefahr besteht nicht«, entgegnete Marius mit großer Überzeugung.
»Wenn du dich aus dem Amt zurückziehst und das Haus nicht mehr betrittst, wirst du nicht länger der Erste Mann in Rom sein, Gaius Marius.«
»Ja, das stimmt. Aber, Lucius Cornelius, ich hatte eine gute Zeit. Und sobald diese schrecklichen Heimsuchungen vorbei sind, stehe ich wieder auf der Tribüne.«
»Und in der Zwischenzeit, wer soll da der Erste Mann in Rom sein?« fragte Sulla. »Scaurus? Catulus?«
»Nemo!« brüllte Marius und lachte schallend. »Niemand! Das ist der größte Spaß. Niemand von denen kann in meine Fußstapfen treten!«
Sulla fiel in das Lachen ein. Er legte den Arm um Marius’ Schultern, drückte ihn herzlich, und Arm in Arm machten sie sich auf den Heimweg von der Saepta. Vor ihnen erhob sich der kapitolinische Hügel, ein breiter Strahl kühler Herbstsonne fiel auf den von vier Pferden gezogenen Wagen der Siegesgöttin, der auf dem Giebeldreieck des Tempels des Jupiter Optimus Maximus stand. Die Sonnenstrahlen spiegelten sich in der Vergoldung und tauchten ganz Rom in gleißendes Gold.
»Mir brennen die Augen!« rief Sulla in echtem Schmerz. Aber er konnte die Augen nicht abwenden.
FINIS
Anhang 1: Die handelnden Personen
Caepio
Quintus Servilius Caepio (Konsul 106 v. Chr.), raubte das Gold von Tolosa
Quintus Servilius Caepio [Caepio] (Prätor 91 v. Chr.), sein Sohn
Livia Drusa, Frau des Caepio (Schwester des Marcus Livius Drusus)
Quintus Servilius Caepio Junior, Sohn des Caepio mit Livia Drusa
Servilia Major [Servilia], ältere Tochter des Caepio mit Livia Drusa
Servilia Minor [Lilla], jüngere Tochter des Caepio mit Livia Drusa
Servilia Gnaea [Gnaea], eine Verwandte Porcia Licimana, Gnaeas Mutter
Die Brüder Caesar
Quintus Lutatius Catulus Caesar (Konsul 102 v. Chr.), ältester Bruder, zur Adoption weggegeben
Lucius Julius Caesar (Konsul 90 v. Chr., Zensor 89 v. Chr.), mittlerer Bruder
Gaius Julius Caesar Strabo Vopiscus Sesquiculus, jüngster Bruder (Alle drei sind Söhne von Sextus Julius Caesar, dem älteren Bruder des Großvaters des berühmten Caesar)
Caesar
Gaius Julius Caesar (Prätor 92 v. Chr.)
Aurelia, seine Frau (Tochter der Rutilia, Nichte des Publius Rutilius Rufus)
Julia Major [Lia], seine ältere Tochter
Julia Minor [Ju-ju], seine jüngere Tochter
Gaius Julius Caesar Junior [auch Pavo], sein Sohn Gaius Julius Caesar, sein Vater
Sextus Julius Caesar (Konsul 91 v. Chr.), sein älterer Bruder
Claudia, Sextus Julius Caesars Frau
Gaius Matius Junior [Pustula], Freund von Caesar Junior
Lucius Decumius, Angehöriger der vierten Klasse und Anführer eines Kreuzwegevereins oder einer Bruderschaft
Cinna
Lucius Cornelius Cinna (Konsul 87 und 86 v. Chr.)
Annia, seine Frau
Lucius Cornelius Cinna Junior, sein Sohn
Cornelia Cinna Major [Cornelia Cinna], seine ältere Tochter
Cornelia Cinna Minor [Cinnilla], seine jüngere Tochter
Gnaeus Domitius Ahenobarbus Junior, Mann der Cornelia Cinna
Drusus
Marcus Livius Drusus (plebejischer Ädil 94 v. Chr., Volkstribun 91 v. Chr.)
Servilia Caepionis, seine Frau (Schwester des Caepio)
Livia Drusa, seine Schwester (Frau des Caepio und des Cato Salonianus)
Marcus Livius Drusus Nero Claudianus, sein Adoptivsohn Cornelia Scipionis, seine Mutter
Mamercus Aemilius Lepidus Livianus, sein leiblicher Bruder (zur Adoption weggegeben)
Marcus Porcius Cato Salonianus (Prätor 92 v. Chr.), sein Schwager
Porcia, seine Nichte (Tochter von Livia Drusa und Cato Salonianus)
Marcus Porcius Cato Junior, sein Neffe (Sohn von Livia Drusa und Cato Salonianus)
Cratippus, sein Verwalter