Der Herold rief die Senatoren zur Sitzung. Seufzend machte sich Gaius Marius auf den Weg. Wie gern hätte er seine Wut jetzt an jemandem ausgelassen, wäre er auf jemandem herumgetrampelt. In diesem Moment traf sein Blick den des Gaius Julius Caesar, der lächelte, als wisse er genau, was in Gaius Marius vorging.
Irritiert starrte Gaius Marius ihn an. Dieser Julius Caesar war jetzt, da sein Bruder Sextus tot war, der älteste Sproß der Caesarenfamilie im Senat, und er vertrat dort eine eigenständige Meinung, auch wenn er nur ein Hinterbänkler war. Hochgewachsen und breitschultrig, hielt er sich kerzengerade wie ein Offizier, und sein feines, silbermeliertes Haar umrahmte ein von Furchen durchzogenes edles Gesicht. Er war nicht mehr jung, sicher über fünfundfünfzig, sah aber aus, als würde er einmal zu jenen unverwüstlichen Mumien gehören, die die Aristokratie mit so schöner Regelmäßigkeit hervorbrachte und die noch jenseits der Neunzig zu jeder Senats- und Volksversammlung schwankten, um dort goldene Worte der Vernunft zu sprechen. Die Sorte, die auch mit einem Opferbeil nicht totzukriegen war und die letzten Endes Rom zu dem gemacht hatte, was es war, trotz der zahllosen Priester vom Schlage eines Caecilius Metellus. Besser als der ganze Rest der Welt.
»Welcher Metellus wird uns heute mit seinen Worten beglücken?« fragte Caesar, als sie nebeneinander die Stufen zum Tempel hinaufstiegen.
»Einer, der sich seinen Namen erst verdienen muß«, antwortete Gaius Marius. Seine gewaltigen Augenbrauen zuckten auf und ab wie auf Nadeln gespießte Tausendfüßler. »Quintus Caecilius Metellus, der kleine Bruder unseres verehrten Pontifex Maximus.«
»Wieso er?«
»Weil er nächstes Jahr für das Konsulat kandidieren will, soviel ich weiß. Da will er sich jetzt schon ein bißchen ins Gespräch bringen.« Gaius Marius trat zur Seite, um dem älteren Caesar den Vortritt in das irdische Domizil des großen Gottes Jupiter Optimus Maximus zu lassen.
Caesar nickte. »Du hast wohl recht.«
Der große Saal in der Mitte des Tempels wurde vom trüben Licht draußen nur spärlich erhellt, aber das ziegelrote Gesicht der Götterstatue leuchtete gleichsam aus sich heraus. Die Statue war uralt, der berühmte etruskische Bildhauer Vulca hatte sie vor vielen hundert Jahren aus Terrakotta geformt, und im Lauf der Zeit hatte man sie mit einem elfenbeinernen Gewand, goldenen Haaren, goldenen Sandalen und einem goldenen Blitzstrahl geschmückt. Sogar Arme und Beine hatte man mit einer silbernen Haut überzogen, Finger und Zehennägel waren aus Elfenbein, und nur das Gesicht wahrte noch die ursprüngliche Farbe des rauhen, erdigen Tons. Es war bartlos, nach der Mode, die die Römer von den Etruskern übernommen hatten. Die aufeinandergepreßten Lippen waren zu einem idiotischen Grinsen verzerrt, das fast bis zu den Ohren reichte und den Gott aussehen ließ wie einen Vater, der verzweifelt bemüht ist, über die Untaten seiner Kinder hinwegzusehen.
An den großen Tempelsaal schloß sich zu beiden Seiten ein weiterer Raum an, links der Tempel der Minerva, der Tochter des Jupiter, rechts der seiner Frau Juno. In beiden Tempeln waren herrliche Statuen der Göttinnen in Gold und Elfenbein aufgestellt und daneben jeweils ein weiteres Götterbild. Als nämlich der Tempel erbaut worden war, hatten sich zwei der alten Götter geweigert auszuziehen, und so hatten die Römer alte und neue Götter einfach nebeneinandergestellt.
»Darf ich dich für morgen Nachmittag zum Essen einladen?« fragte Caesar.
Gaius Marius sah ihn überrascht an und überlegte, was er antworten sollte. Was hatte Caesar vor? Wieso lud er ihn ein, ausgerechnet ihn? Eines konnte man mit Bestimmtheit sagen: Ein Snob war Caesar nicht. Wer seine Vorfahren in der männlichen Linie bis zu Julus, Aeneas, Anchises und der göttlichen Venus zurückverfolgen konnte, hatte das gar nicht nötig.
»Ich danke dir, Gaius Julius«, antwortete Marius. »Ich nehme deine Einladung gerne an.«
Als Lucius Cornelius Sulla am Neujahrstag lange vor dem Morgengrauen erwachte, war er schon fast wieder nüchtern. Er stellte fest, daß er an seinem Stammplatz zwischen seiner Stiefmutter zur Rechten und seiner Mätresse zur Linken lag und daß die beiden Damen - wenn man sie schmeichelhafterweise so nennen durfte - vollständig bekleidet waren und ihm den Rücken zukehrten. Dem entnahm er, daß seine Liebesdienste in der vergangenen Nacht nicht gefordert gewesen waren, wofür auch die enorme und genußvoll peinigende Erektion sprach, die ihn geweckt hatte. Einen Augenblick lang versuchte er, sein drittes Auge, das ihn schamlos und aufrecht über seinen Bauch hinweg anstarrte, durch einen strengen Blick zum Einlenken zu bewegen, aber wie immer verlor er den ungleichen Wettstreit. Also blieb nur eins: den undankbaren Burschen befriedigen. Sulla streckte die rechte Hand aus und schob das Kleid seiner Stiefmutter nach oben, mit der linken Hand tat er dasselbe bei seiner Mätresse. Im selben Moment schossen die beiden Frauen, die sich nur schlafend gestellt hatten, wie Furien in die Höhe und begannen, ihn mit Schlägen und Bissen zu traktieren.
»Was habe ich denn getan?« brüllte er und krümmte sich unter ihren Fäusten zusammen, die Hände schützend über die Lenden gehalten. Die fürstliche Erektion war wie ein leerer Weinschlauch in sich zusammengefallen.
Die Frauen wollten ihm diese Frage unbedingt beantworten und zwar beide zugleich. Doch da erinnerte er sich schon selbst. Auch gut, die beiden kreischenden Weiber waren sowieso nicht zu verstehen. Metrobius, Fluch seinen Augen! Aber was für Augen! Tiefschwarz und glänzend wie polierte Pechkohle, umkränzt von schwarzen Wimpern, die so lang waren, daß man sie um einen Finger wickeln konnte. Haut, zart und hell wie Sahne, schmale Schultern, bedeckt von üppigen schwarzen Locken, und der süßeste Arsch der Welt. Vierzehn Jahre alt, aber mit der Erfahrung von tausend Jahren Laster, ein Schüler des alten Skylax, des Schauspielers - ein Lustknabe, eine süße Versuchung, ein kleiner Tiger.
Eigentlich bevorzugte Sulla inzwischen Frauen, aber Metrobius war ein Fall für sich. Als Cupido verkleidet war der Junge mit dem als Venus geschminkten Skylax zum Fest gekommen, auf dem Rücken ein herziges gefiedertes Flügelpaar und um die Lenden einen winzigen Streifen Schappseide, gefärbt mit billigem falschen Safran, der in dem heißen, stickigen Raum zerlaufen war und auf der Innenseite seiner Schenkel orangegelbe Spuren hinterlassen hatte, Spuren, die die Aufmerksamkeit nur noch mehr auf kaum verhüllte Reize lenkten.
Sulla hatte die Augen nicht von ihm abwenden können, und der Junge schien gleichermaßen fasziniert von Sulla. Es gab auch wenige Männer, die eine so schneeweiße Haut wie Sulla hatten, Haare von der Farbe der aufgehenden Sonne und Augen so hell, daß sie beinahe weiß wirkten. Ganz zu schweigen von seinem Gesicht, das vor einigen Jahren in Athen geradezu einen Aufruhr verursacht hatte. Damals hatte ein gewisser Aemilius den mittellosen, gerade sechzehn Jahre alten Sulla mit dem Postschiff nach Patrai geschmuggelt und sich dann auf dem längstmöglichen Weg von Patrai nach Athen entlang der Küste des Peloponnes nach Belieben mit dem Jungen vergnügt.