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Richard hinderte ihn mit seinem erhobenen Schwert daran. Die Klinge vor der Brust, befolgte der Hufschmied widerwillig den stummen Befehl und blieb stehen.

Was auf den ersten Blick einen verwirrenden Anblick geboten hatte, zeichnete sich nun nur allzu deutlich ab. In einem Beet aus Farnen zu Richards Füßen lag, ohne die dazugehörige Hand, aber noch immer von einem braunen Flanellärmel bedeckt, der Unterarm eines Mannes. Unweit davon stand ein schwerer Schnürstiefel, aus dessen Schaft ein zersplitterter, von Sehnen und Muskeln befreiter Schienbeinknochen ragte. Gleich daneben, etwas seitlich versetzt, lag in einem Dickicht aus jungen Hartriegelsträuchern ein Stück eines menschlichen Torsos, derart zerfetzt, dass Teile der Wirbelsäule sowie einige bleiche Rippenknochen zu erkennen waren. Richard kam ein Gedanke. Er sah über seine Schulter zu Nicci. »Vielleicht Schwestern der Finsternis?«

Ohne den Blick von dem Blutbad abzuwenden, schüttelte Nicci langsam den Kopf. »Einige Merkmale scheinen ähnlich, aber wenn man das Gesamtbild berücksichtigt, hat dies mit ihrer Art zu töten nichts gemein.«

Er wusste nicht recht, ob er sich durch diese Aussage nun beruhigt fühlen sollte oder nicht. »Richard«, sagte Nicci leise unmittelbar hinter seinem Rücken. »Ich halte es für das Beste, wenn wir sofort von hier verschwinden.«

Die Warnung ihres direkten, ruhigen Tonfalls hätte nicht eindringlicher sein können, doch Richard war so erfüllt vom Zorn des Schwertes in seiner geballten Faust und seiner leidenschaftlichen Wut über den sich ihm bietenden Anblick, dass er sie gar nicht hörte. Wenn es noch Überlebende gab, musste er sie unbedingt finden. »Es ist niemand mehr am Leben«, murmelte Nicci wie als Antwort auf seine Gedanken. Wenn die Gefahr noch in der Nähe lauerte, musste er es wissen! »Wer könnte so etwas getan haben?«, fragte Victor leise, der merklich kein Interesse verspürte, diesen Ort zu verlassen, ehe er nicht den Schuldigen beim Wickel hatte.

»Sieht nicht so aus, als wären es Menschen gewesen«, erwiderte Cara in stillem Vorwurf. Als Richard schließlich zwischen die menschlichen Überreste trat, lastete die unnatürliche Stille des alles wie ein Leichentuch umhüllenden Waldes wie ein schweres Gewicht auf ihm, keine Vögel riefen, keine Insekten summten, die Eichhörnchen hatten ihr Geschnatter eingestellt. Der dämpfende Effekt des Nieselregens und des düsteren, bedeckten Himmels schien die Totenstille nur noch zu unterstreichen. Blut tropfte von Blättern, von Zweigen und den Spitzen niedergetretener Gräser, Baumstämme waren über und über damit bespritzt. Eine Hand, die erschlafften Finger leicht geöffnet und der Waffe längst beraubt, lag mit der Innenfläche nach oben auf den großen Blättern eines Gebirgsahorns an einer steinigen Böschung. Richard erblickte die Fußspuren, dort, wo sie alle diesen Ort betreten hatten, sowie einige seiner eigenen Fußabdrücke, wo er erst kurze Zeit zuvor zusammen mit Nicci, Cara und Victor aufgebrochen war. Ein Großteil der menschlichen Überreste lag in jungfräulichem Wald, in den keiner von ihnen je seinen Fuß gesetzt hatte. An keiner Stelle des Blutbades waren merkwürdige Fußspuren zu erkennen, aber an einigen unerklärlichen Stellen war der Waldboden tief zerfurcht einige dieser Rillen fraßen sich förmlich durch die mächtigen Wurzeln. Eine Hand in die Schulter seines Hemdes gekrallt, versuchte Cara ihn zurückzuhalten. »Lord Rahl, ich möchte, dass Ihr diesen Ort augenblicklich verlasst.«

Er befreite seine Schulter mit einem Ruck aus ihrem Klammergriff. »Still.«

Konzentriere dich nicht auf das, was du siehst, halte Ausschau nach dem, was dies verursacht hat und was noch kommen könnte. Dies ist der Augenblick der Wachsamkeit.

Es hätte einer solchen Warnung kaum bedurft. Er hielt das mit Silberdraht umwickelte Heft des Schwertes so fest umklammert, dass er die erhabenen Buchstaben des Wortes WAHRHEIT, gebildet aus einem in das Silber eingearbeiteten Golddraht, deutlich spürte. Auf der einen Seite grub sich das güldene Wort in seine Handfläche, auf der anderen in seine Fingerspitzen.

Unmittelbar vor seinen Füßen starrte ihm, aus einem Sumachgestrüpp, ein Männerkopf entgegen, ein stummer Schrei entstellte die erstarrten Gesichtszüge des Mannes. Richard kannte ihn, Nuri war sein Name gewesen. Alles, was dieser junge Bursche je gelernt hatte, all seine Erfahrungen, seine Planungen für die Zukunft, die Welt, die er für sich zu schaffen begonnen hatte, hatte hier sein Ende gefunden – für ihn wie für alle dieser Männer. Das eine Leben, das ihnen vergönnt gewesen war, war für immer dahin. Der quälende Schmerz über diesen Verlust, diese grässliche Endgültigkeit, drohte den Zorn des Schwertes zu überlagern und ihn vor Kummer zu erdrücken. Alle diese Männer hatten die Liebe und Wertschätzung derer erfahren, die ihrer Rückkehr harrten, jeder einzelne von ihnen würde von den Lebenden betrauert werden, mit einem Gram, der diese Menschen unauslöschlich zeichnen würde. Richard zwang sich weiterzugehen. Dies war nicht der Augenblick, um sich der Trauer hinzugeben, dies war der Augenblick, die Schuldigen zu finden, sich an ihnen zu rächen und sie zu bestrafen, ehe sie Gelegenheit hatten, diese Untat an anderen zu wiederholen.

Erst dann würden die Lebenden den Verlust dieser geliebten Seelen betrauern können. Doch sosehr er seine Suche auch ausweitete, Richard fand keinen einzigen Leichnam – keinen Leichnam im Sinne eines vollständigen, identifizierbaren Körpers –, stattdessen war der gesamte Bereich, wo die Männer gewartet hatten, mit ihren zerfetzten Überresten bedeckt. Selbst im umliegenden Wald waren noch Leichenteile zu finden, so als hätten einige von ihnen zu fliehen versucht. Wenn dies stimmte, dann war keiner der Betreffenden weit gekommen. Wohl fand er Spuren der Geflüchteten, aber keine irgendwelcher Verfolger. Als er um den Stamm einer steinalten Föhre trat, sah er sich plötzlich der oberen Hälfte eines männlichen Torsos gegenüber, der verkehrt herum an einem zersplitterten Ast baumelte. Die Überreste hingen ein gutes Stück über Richards Kopf. Was von dem armlosen Torso noch übrig war, hing wie an einem Fleischerhaken aufgespießt am Stumpf eines abgebrochenen Astes. Das Gesicht war in unvorstellbarem Entsetzen erstarrt. Da der Mann verkehrt herum hing, stand das bluttriefende Haar von seinem Schädel ab, als wäre es vor Angst erstarrt. »Bei den Gütigen Seelen«, entfuhr es Victor leise. Sein Gesicht war wutverzerrt. »Das ist Ferran.«

Richard fiel auf, dass sich auf dem Boden rings um die Lache aus Ferrans Blut keinerlei Fußspuren befanden. Auch Kahlans Spuren waren auf mysteriöse Weise verschwunden ... Das qualvolle Grauen, sich die Frage stellen zu müssen, ob Kahlan vielleicht dasselbe zugestoßen sein könnte, hätte um ein Haar seine Knie nachgeben lassen. Vor diesem quälenden Schmerz vermochte ihn nicht einmal der Zorn des Schwertes zu bewahren.

Nicci, die unmittelbar hinter ihm stand, streckte ihren Kopf vor. »Richard«, beschwor sie ihn fast im Flüsterton, »wir müssen sofort von hier verschwinden.«

Neben ihr erschien Cara. »Der Meinung bin ich auch.«