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Victor schwang drohend seine Keule. »Erst will ich die Kerle erwischen, die dies getan haben.« Die Knöchel rings um den stählernen Griff traten weiß hervor. »Könnt Ihr sie aufspüren?«, fragte er Richard. »Ich halte das für keine gute Idee«, gab Nicci zu bedenken.

»Gute Idee oder nicht«, erwiderte Richard, »ich sehe keine Spuren.« Er sah in Niccis blaue Augen. »Vielleicht möchtet Ihr mich ja zu überzeugen versuchen, dass ich mir das hier auch nur einbilde?«

Sie wich seinem Blick nicht aus, unterließ es aber auch, seine Frage zu beantworten. Victor starrte hoch zu Ferran. »Ich hatte seiner Mutter versprochen, auf ihn aufzupassen. Was soll ich seiner Familie jetzt erzählen?« Tränen der Wut und des Schmerzes blitzten in seinen Augen, als er mit der Keule hinter sich auf die anderen menschlichen Überreste deutete. »Was soll ich deren Müttern, Frauen und Kindern erzählen?«

»Dass das Böse sie ermordet hat«, erklärte Richard. »Und dass du nicht ruhen wirst, bis du weißt, dass der Gerechtigkeit Genüge getan ist. Und dass sie gerächt werden.«

Victor nickte. Sein Zorn verebbte, und seine Stimme war erfüllt von Elend. »Wir müssen sie begraben.«

»Nein«, entschied Nicci mit grimmiger Miene. »Sosehr ich dein Bedürfnis verstehe, dich um sie zu kümmern, deine Freunde weilen nicht mehr hier unter diesen zerfetzten und zerstörten Körpern, deine Freunde weilen jetzt bei den Gütigen Seelen. Es ist unsere Pflicht, ihnen nicht dorthin zu folgen.«

Sofort kochte Victors Zorn erneut hoch. »Aber wir müssen doch ...«

»Nein«, fiel Nicci ihm ins Wort. »Sieh dich um, dies war ein blutiges Gemetzel. Wir dürfen uns nicht da hineinziehen lassen. Wir können für diese Männer nichts mehr tun. Wir müssen fort von hier.« Nachdrücklich packte sie Richards Arm. »Wir wissen zu wenig über das, womit wir es zu tun haben, aber was immer das hier angerichtet haben mag – ich fürchte, in deinem geschwächten Zustand wird uns dein Schwert nicht davor beschützen können, und im Augenblick kann ich das ebenso wenig. Falls dieses Etwas sich noch immer in diesem Wald befindet, ist jetzt wohl kaum der rechte Augenblick, ihm die Stirn zu bieten. Wir sind die Einzigen, die für Gerechtigkeit und Rache sorgen können, aber um das tun zu können, müssen wir am Leben bleiben.«

Mit dem Handrücken wischte sich Victor die Tränen des Kummers und des Zorns aus dem Gesicht. »Ich gebe es nur ungern zu, aber ich denke, Nicci hat Recht.«

»Was immer hinter Euch her gewesen sein mag, Lord Rahl«, sagte Cara, »ich möchte nicht, dass Ihr hier seid, falls es zufällig noch einmal zurückkommen sollte.«

Immer noch nicht bereit, die Suche nach dem, was diese Männer getötet hatte, aufzugeben, legte Richard die Stirn in Falten und musterte die Mord-Sith mit einem Gefühl wachsender Besorgnis. »Wie kommt Ihr darauf, dass dieses Wesen es auf mich abgesehen hatte?«

»Das hab ich dir doch längst erklärt«, antwortete Nicci an ihrer Stelle mit zusammengebissenen Zähnen. »Dies ist weder der geeignete Zeitpunkt noch der rechte Ort, um darüber zu diskutieren. Wir können nicht mehr hoffen, hier noch irgendetwas auszurichten, diese Männer sind rettungslos verloren.«

Rettungslos. War Kahlan etwa auch rettungslos verloren? Er durfte es niemals so weit kommen lassen, dass er das wirklich glaubte.

Sein Blick wanderte nach Norden. Er wusste nicht einmal, wo er nach ihr suchen sollte. Der Umstand, dass der aus seiner Vertiefung getretene Stein nördlich ihres Lagers gefunden worden war, bedeutete schließlich nicht, dass, wer immer Kahlan verschleppt hatte, in diese Richtung aufgebrochen war. Die Betreffenden waren möglicherweise nach Norden marschiert, um einer Begegnung mit Victor und seinen Leuten sowie den Soldaten, die den Nachschubkonvoi bewachten, aus dem Weg zu gehen, vielleicht aber wollten sie auch einfach nur unbemerkt bleiben, bis sie die unmittelbare Umgebung verlassen hätten. Anschließend konnten sie jede Richtung eingeschlagen haben.

Nur welche?

Richard wusste, dass er Hilfe brauchte, und versuchte zu überlegen, wer ihm bei einer derart vertrackten Angelegenheit würde helfen können. Wer würde ihm glauben? Zedd möglicherweise, auch wenn er nicht annahm, dass sein Großvater ihm genau die Hilfe würde geben können, die er unter diesen Umständen benötigte. Zudem war es ein schrecklich weiter Weg, erst recht, wenn sich am Ende herausstellte, dass Zedds Fähigkeiten diesem Problem nicht gewachsen waren.

Wer würde bereit und willens sein, ihm zu helfen, und besäße das erforderliche Wissen? Unvermittelt wandte er sich herum zu Victor. »Wo kann ich Pferde auftreiben?«

Die Frage erwischte Victor in einem unbedachten Augenblick. Er ließ seine schwere Keule sinken und wischte sich mit der anderen Hand das Regenwasser aus der Stirn, während er nachdachte. Schließlich furchte sich seine Stirn erneut.

»Die nächstbeste Möglichkeit wäre wahrscheinlich in Altur’Rang«, sagte er, nachdem er einen Augenblick überlegt hatte.

Entschlossen schob Richard sein Schwert zurück in die Scheide. »Dann nichts wie los. Wir müssen uns beeilen.«

Die Müdigkeit vergessen, ließen die vier die rettungslos verlorenen Männer mit eiligen Schritten hinter sich zurück. Sosehr es sie auch betrübte, diesen Ort zu verlassen, war jedem von ihnen doch klar, dass es viel zu gefährlich wäre, hier zu bleiben und die Männer zu beerdigen. Jetzt, da sein Schwert wieder in der Scheide steckte, erlosch auch sein Zorn, und an seine Stelle trat die erdrückende Bürde der Trauer um die Toten. Selbst der Wald schien in ihre Trauer einzustimmen. Weit schlimmer aber war die bange Frage, was mit Kahlan geschehen sein mochte. Wenn sie sich in der Gewalt dieser bösen Macht befand ...

Denk an die Lösung, erteilte sich Richard einen Rüffel. Wenn er sie finden wollte, würde er Hilfe benötigen, und um Hilfe zu holen, brauchte er Pferde – das war jetzt sein unmittelbares Problem. Ihnen blieb noch ein halber Tag Helligkeit, und er war fest entschlossen, nicht eine Minute davon zu vergeuden. Er führte sie in kräftezehrendem Tempo mitten durch den dichten Wald fort, doch niemand beklagte sich.

7

Auf ihrem Marsch nach Altur’Rang hatten sie den ganzen Nachmittag über ein gleichmäßig forsches Tempo angeschlagen. Nach dem brutalen Gemetzel unter den Männern hatte keiner der vier übermäßig großen Appetit verspürt, trotzdem wussten sie, dass sie essen mussten, wenn ihre Kraftreserven für den Fußmarsch reichen sollten, also hatten sie auf ihrem Weg durch die weglose Wildnis Trockenfleisch und Reisekekse zu sich genommen, wenn auch nur mit leisem Widerwillen. Richards Erschöpfung war mittlerweile so weit fortgeschritten, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Um den Weg abzukürzen, aber auch, um zu verhindern, dass sie gesehen wurden, hatte er die anderen durch dichten Wald geführt, auf einer Route weit abseits aller Pfade, wo das Vorankommen meist überaus beschwerlich war. Der Marsch an diesem Tag war eine schlimme Strapaze gewesen, Kopfschmerzen plagten ihn, sein Rücken schmerzte und seine Beine nicht minder. Aber wenn sie zeitig aufbrachen und das kräftezehrende Tempo beibehielten, konnten sie Altur’Rang womöglich schon nach einem weiteren Tagesmarsch erreichen. Und wenn sie sich erst Pferde beschafft hatten, würde das Reisen weniger beschwerlich werden und vor allem schneller vonstatten gehen.

Richard tat, als sei er mit dem Bau eines Unterschlupfes für die Nacht beschäftigt, war aber mit den Gedanken nicht wirklich bei der Sache. Wie immer um sein Wohlergehen besorgt, beobachtete Cara ihn im schwindenden Licht immer wieder aus den Augenwinkeln.

Während er seine Arbeit versah, grübelte Richard über die vage, gleichwohl durchaus reale Möglichkeit nach, dass Soldaten der Imperialen Ordnung die Wälder nach ihnen durchkämmen könnten. Gleichzeitig beschäftigte ihn nach wie vor die bohrende Frage, was Victors Männer getötet haben konnte – und sie womöglich in diesem Moment verfolgte. Er dachte darüber nach, welche zusätzlichen Vorsichtsmaßnahmen er treffen könnte, und überlegte, wie er sich gegen etwas zur Wehr setzen sollte, das zu einem derart brutalen Gewaltakt fähig war. Vor allem aber versuchte er immer wieder der Frage nach Kahlans Aufenthaltsort nachzugehen. In Gedanken spielte er jedes Detail seiner Erinnerung durch und grübelte darüber nach, ob sie nun verletzt war oder nicht. Er quälte sich mit der Frage, was er womöglich falsch gemacht hatte, und sah sie vor sich, von Angst und Zweifeln und der bangen Frage erfüllt, wieso er nicht kam, um ihr zur Flucht zu verhelfen, wieso er sie nicht längst gefunden hatte und ob er sie überhaupt jemals finden würde, ehe ihre Häscher sie umbrachten. Nur mit größter Mühe gelang es ihm, die bohrende Vorstellung aus seinen Gedanken zu verbannen, dass sie womöglich längst tot war – und was man einer Gefangenen ihres Ranges Schlimmes antun könnte, Dinge, die vielleicht unendlich viel grausamer waren als eine simple Hinrichtung, wagte er gar nicht erst, sich auszumalen. Jagang hatte allen Grund, ihr zu wünschen, dass sie seine Foltern lange überlebte, denn nur ein Lebender konnte Schmerz empfinden. Von Anfang an hatte Kahlan Jagangs ehrgeizige Pläne immer wieder durchkreuzt, seine Siege bisweilen sogar in Misserfolge umgemünzt. So hatten die allerersten Expeditionsstreitkräfte der Imperialen Ordnung in der Neuen Welt – neben zahlreichen anderen Gräueltaten – die gesamte Einwohnerschaft der großen galeanischen Stadt Ebinissia hingemetzelt. Kahlan war am Schauplatz dieses grässlichen Verbrechens eingetroffen, kurz nachdem eine Truppe junger galeanischer Rekruten ihn entdeckt hatte. Trotz ihrer zehnfachen Unterlegenheit waren diese jungen Männer in ihrem blinden Zorn ganz versessen auf den Ruhm erfolgreicher Rache und wild entschlossen gewesen, ebenjenen Soldaten auf dem Schlachtfeld die Stirn zu bieten, die ihre Angehörigen gefoltert, vergewaltigt und ermordet hatten.