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Verwirrt presste Nicci ihre Finger an die Stirn. »Ich denke, am besten fängst du noch einmal ganz von vorne an.«

Tovi war bereits im Begriff, ins Koma zu fallen, also verstärkte Nicci den feinen, in ihren Körper strömenden magischen Strahl, um ihr ein wenig heilsame Erleichterung zu verschaffen, ohne aber ihre schwere Verletzung ganz zu heilen. Nicci wollte sie auf keinen Fall kurieren, sie brauchte sie, wie sie war: unfähig, sich selbst zu helfen. Nach außen hin mochte sie wie die typische freundliche Großmutter erscheinen, ihrem Wesen nach war sie eine giftige Viper.

Nicci schlug die Beine übereinander. Es würde eine lange Nacht werden. Endlich kam Tovi wieder zu sich, und Nicci straffte sich. »Du hast also Richard, in seiner Funktion als Lord Rahl, einen ewigen Bund geschworen«, fuhr Nicci fort, als wäre ihr Gespräch nie unterbrochen worden, »und dadurch wart ihr alle vor dem Traumwandler geschützt.«

»Das ist richtig.«

»Und was geschah dann?«

»Wir konnten fliehen. Und während wir wieder darangingen, das Werk unseres Herrn und Meisters zu vollbringen, hielten wir ständig Verbindung zu Richard. Wir mussten irgendeinen Dreh finden.«

Nicci wusste nur zu gut, wer ihr Herr und Meister war.

»Was meinst du mit einem Dreh?«

»Um tun zu können, was wir tun mussten, um den Hüter zufrieden zu stellen, galt es, eine sichere Möglichkeit zu finden, um zu verhindern, dass Richard Rahl sich einmischte. Und die haben wir gefunden.«

»Und die wäre?«

»Etwas, das die Bande zu ihm aufrechterhalten würde, was immer wir auch taten. Der Einfall war brillant.«

»Und was ist es nun?«

»Leben.«

Nicci runzelte die Stirn, unsicher, ob sie richtig gehört hatte. Sie legte eine Hand auf Tovis Wunde und schenkte ihr ein wenig konzentrierte Erleichterung.

Als Tovi sich nach der Schmerzattacke wieder beruhigt hatte, fragte Nicci mit ruhiger Stimme: »Was willst du damit sagen?«

Endlich reagierte Tovi. »Das Leben. Es ist für ihn das höchste Gut.«

»Und?«

»Denk nach, Schwester. Um uns dem Zugriff des Traumwandlers zu entziehen, müssen wir Richard jederzeit über die Bande verbunden sein. Wir dürfen nicht auch nur einen einzigen Augenblick der Unschlüssigkeit riskieren. Und doch, wer ist letztendlich unser wahrer Herr und Meister?«

»Der Hüter des Totenreichs. Ihm haben wir einen Eid geschworen.«

»Richtig. Und falls wir etwas tun sollten, das Richards Leben gefährdet, wie zum Beispiel den Hüter auf die Welt des Lebendigen loszulassen, würden wir unseren Banden zu Richard zuwiderhandeln. Das aber hätte zur Folge, dass Jagang, noch bevor wir den Hüter aus den Grenzen des Totenreichs befreien könnten, in dieser Welt über uns herfallen könnte.«

»Schwester Tovi, du tätest gut daran, dich etwas klarer auszudrücken, denn sonst verliere ich die Geduld, und ich versichere dir, das wird dir nicht gefallen. Ich will wissen, was gespielt wird, damit ich mitspielen kann. Ich möchte endlich wieder wissen, wohin ich gehöre.«

»Natürlich, natürlich. Du musst wissen, in Richards Augen stellt das Leben das allerhöchste Gut dar. Er hat ihm sogar eine Statue gewidmet. Wir sind in der Alten Welt gewesen; wir haben seine dem Leben gewidmete Statue mit eigenen Augen gesehen.«

»Das hatte ich deinen Worten bereits entnommen.«

Sie wälzte ihren Kopf wieder herum, sodass sie Nicci ansehen konnte. »Und, meine Liebe, was haben wir in dem Treueschwur, den wir abgelegt haben, gelobt zu tun?«

»Den Hüter zu befreien.«

»Und was winkt uns als Lohn, wenn wir unsere Aufgabe erfüllen?«

Nicci starrte in die kalten Augen der Frau. »Unsterblichkeit.«

Ein Feixen ging über ihr Gesicht. »Genau.«

»Willst du etwa behaupten, weil das Leben für Richard das höchste Gut darstellt, habt ihr vor, ihm Unsterblichkeit zu gewähren?«

»Aber ja. Denn damit arbeiten wir auf sein edelstes Ideal hin: Leben.«

»Aber vielleicht möchte er gar nicht unsterblich sein?«

Tovi gelang es, mit einer Achsel zu zucken. »Mag sein. Nur haben wir gar nicht die Absicht, ihn zu fragen. Erkennst du nicht, wie brillant Schwester Ulicias Plan ist? Wie wir wissen, ist – wie gesagt –sein höchstes Ideal das Leben; was immer wir auch sonst tun mögen, das seinen Vorstellungen widerspricht, es kann für ihn unmöglich die gleiche Bedeutung haben wie sein allerhöchstes Gut. Somit respektieren wir die Bande zu Lord Rahl auf höchst eindrucksvolle Weise: indem wir einerseits die Bande aufrechterhalten – um den Traumwandler aus unseren Gedanken fern zu halten – und gleichzeitig darauf hinarbeiten, dem Hüter einen Weg in die Welt des Lebens zu eröffnen. Ein wahrhaft teuflischer Kreis: Das eine zieht das andere stets noch zwingender nach sich.«

»Aber es ist der Hüter, der euch Unsterblichkeit verheißt, ihr könnt sie nicht gewähren.«

»Nicht, wenn wir sie durch den Hüter zu erlangen suchen.«

»Wie könntet ihr jemals Unsterblichkeit gewähren? Diese Art von Macht besitzt ihr nicht.«

»Oh, das kommt noch, ganz gewiss.« »Und wie?«

Tovi bekam einen Hustenanfall, sodass Nicci sich mit einem schnellen Eingriff an ihrer Verletzung zu schaffen machen musste, um sie wenigstens am Leben zu erhalten. Es dauerte fast zwei Stunden, bis sie sie wieder bei Bewusstsein und ruhig gestellt hatte. »Ich musste deine Wunde teilweise zusammenflicken, aber bevor ich deine Wunde ganz schließen und deine volle Gesundheit wiederherstellen kann – damit du den gerechten Lohn für dein Leben empfangen kannst –, muss ich die ganze Geschichte hören. Wie könnt ihr allen Ernstes glauben, ihr könntet jemandem Unsterblichkeit gewähren? Diese Art von Macht besitzt ihr nicht.«

»Wir haben die Kästchen der Ordnung in unseren Besitz gebracht und planen, mit ihrer Hilfe alles Leben zu vernichten ... bis auf solches natürlich, von dem wir uns umgeben wissen wollen. Dank der Macht der Ordnung herrschen wir über Leben und Tod, und damit haben wir auch die Macht, Richard Rahl Unsterblichkeit zu gewähren. Verstehst du? Den Banden ist damit Genüge getan.«

Nicci drehte sich der Kopf. »Was du da sagst, Tovi, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Diese Dinge sind weit komplizierter, als du sie darstellst.«

»Nun, damit ist der Plan noch lange nicht erschöpft. Wir haben unter dem Palast der Propheten Katakomben entdeckt.«

Nicci hatte von der Existenz solcher Katakomben nichts gewusst, aber da sie wollte, dass Tovi mit ihrer Geschichte fortfuhr, ließ sie sie einfach weitersprechen.

»Das war der Moment, als alles anfing, als wir auf die Idee kamen. Du musst wissen, wir waren damals schon eine Weile durch die Lande gezogen, immer auf der Suche nach Möglichkeiten, den Hüter zufrieden zu stellen ...« Sie bohrte ihre Finger so fest in Niccis Arm, dass es schmerzte. »Er sucht uns in unseren Träumen heim, er kommt und quält uns, zwingt uns, ihm zu Willen zu sein und alles dafür zu tun, ihn endlich zu befreien.«

Nicci musste ihre krallengleiche Hand mit Gewalt von ihrem Arm lösen. »Katakomben?«

»Richtig. Die Katakomben. Wir entdeckten alte Katakomben und darin jede Menge Bücher, darunter eines mit dem Titel Feuerkette.«

Eine Gänsehaut kroch Niccis Arme hoch. »Feuerkette, was soll das bedeuten? Ist das so etwas wie ein Zauber?«

»Oh, es ist weit mehr als etwas so Simples wie ein Zauber. Der Begriff stammt aus alter Zeit. Die Zauberer damals hatten eine neue Methode entwickelt, eine Methode, wie sich das Gedächtnis beeinflussen ließe – oder anders ausgedrückt, wie sich tatsächliche Ereignisse mittels subtraktiver Magie verändern ließen, sodass sich alle nicht miteinander in Verbindung stehenden Teilereignisse spontan und voneinander unabhängig neu ordneten. Insbesondere, wie man ein Individuum in den Augen aller anderen verschwinden lassen kann, indem man dafür sorgt, dass den Menschen der Name der betreffenden Person entfällt, selbst wenn sie ihr noch wenige Augenblicke zuvor begegnet sind.