Kahlan traf auf diese von Captain Bradley Ryan angeführten Rekruten, unmittelbar bevor sie in eine lehrbuchmäßige Feldschlacht marschieren wollten, die, wie ihr sofort klar wurde, ihren sicheren Tod bedeutet hätte. Sie wusste, wie die erfahrenen Soldaten der Imperialen Ordnung kämpften, wusste, dass diese jungen Rekruten, wenn sie ihnen erlaubte, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen, geradewegs in einen gewaltigen Fleischwolf hineinmarschieren würden, in dem sie bis zum letzten Mann umkommen würden. Also hatte sie das Kommando über diese jungen Rekruten übernommen und sich an die Arbeit gemacht, ihnen ihre naiven Vorstellungen von einem fairen Kampf auszutreiben. Es gelang ihr, ihnen klar zu machen, dass es für sie nur ein einziges Ziel gab: das Töten der Eindringlinge. Wie die jungen Galeaner es schafften, sich über die Leichen dieser brutalen Rohlinge zu erheben, war ganz egal, was zählte, war, dass sie es schafften. Bei diesem tödlichen Unterfangen gab es keinen Ruhm zu ernten, es ging ums nackte Überleben. Und so kämpften diese blutjungen Rekruten am nächsten Tag an ihrer Seite, befolgten ihre Befehle, lernten von ihr und mussten entsetzliche Verluste hinnehmen, letztendlich aber töteten sie die fünfzigtausend Mann starke Vorhut der Imperialen Ordnung bis zum letzten Mann – eine in der Geschichte nahezu beispiellose militärische Glanzleistung.
Es war der erste von zahlreichen Schlägen, die Kahlan Jagang beibrachte. In Richards Abwesenheit – Nicci hatte ihn kurz zuvor in die Alte Welt verschleppt – war sie anschließend aufgebrochen, um sich Zedd und den Streitkräften des d’Haranischen Reiches anzuschließen und hatte bei der Entwicklung von Schlachtplänen geholfen, mit dem Erfolg, dass Jagangs Armee hunderttausende Soldaten verlor.
Kahlan hatte die Armee der Imperialen Ordnung ausgeblutet und entscheidend dazu beigetragen, dass ihr Vormarsch vor der Stadt Aydindril zum Erliegen kam – kurz vor dem Erreichen ihres Endziels, der Eroberung D’Haras und der Unterwerfung der Neuen Welt durch die brutale Herrschaft der Glaubensgemeinschaft des Ordens.
Jagangs Hass auf Kahlan wurde nur von seinem Hass auf Richard übertroffen. Erst vor kurzem hatte er einen äußerst gefährlichen Zauberer auf sie angesetzt, sodass Richard und Kahlan sich nur mit knapper Not ihrer Gefangennahme hatten entziehen können.
Er wusste, dass man in den Reihen der Imperialen Ordnung größten Gefallen daran fand, dafür zu sorgen, dass gefangen genommene Feinde abscheulichste Qualen erlitten – und außer ihm selbst gab es niemanden, den Jagang lieber foltern lassen würde als die Mutter Konfessor. Er würde weder Zeit noch Mühen scheuen, ihrer habhaft zu werden. Für Kahlan würde sich Kaiser Jagang die unaussprechlichsten Torturen aufsparen. Plötzlich merkte Richard, dass er, eine Hand voll Tannenzweige in den Händen, am ganzen Körper zitterte und fror. Cara beobachtete ihn schweigend. Er ließ sich abermals auf die Knie hinunter und ging daran, die Zweige an ihren Platz zu stopfen, während er mit aller Gewalt versuchte, diese entsetzlichen Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen. Auch Cara nahm ihre Arbeit wieder auf. Unter Aufbietung aller Kräfte konzentrierte er sich ganz auf die Fertigstellung ihres Unterschlupfes. Je eher sie Schlaf fanden, desto ausgeruhter würden sie beim Aufwachen sein und umso kraftvoller würden sie ausschreiten können. Obwohl sie sich weitab aller Straßen und ein gutes Stück abseits der Pfade befanden, hatte Richard nach wie vor darauf bestanden, kein Lagerfeuer zu entzünden, da er befürchtete, Soldaten auf Erkundungsgang könnten es erspähen.
Nicci schleppte einen Arm voll Balsamzweige herbei, während Richard noch immer damit beschäftigt war, diese zu verarbeiten. Auch Victor schleppte eine schwere Ladung Balsamzweige heran und legte sie zu Richards Füßen ab. »Braucht Ihr noch mehr?«
Richard tippte den Haufen mit der Stiefelspitze an, um anhand seiner Dichte abzuschätzen, wie weit er reichen und wie dicht er das noch verbliebene Gestänge bedecken würde. »Nein, ich denke, mit diesen hier und denen, die Nicci gerade bringt, sollten wir auskommen.«
Nicci ließ eine weitere Ladung neben der von Victor auf den Boden fallen. Es erschien ihm sonderbar, Nicci eine solche Arbeit verrichten zu sehen; selbst mit einem Büschel Tannenzweigen in den Armen hatte ihre Erscheinung etwas Stattliches. Gewiss, auch Cara war eine auffallend schöne Frau, doch wegen ihres üblicherweise dreisten Auftretens wirkte die Errichtung eines Unterschlupfes oder das Herstellen eines dornenbewehrten Dreschflegels zum Töten irgendwelcher Eindringlinge bei ihr ganz natürlich. Bei Nicci dagegen wirkte diese Schufterei im Wald unnatürlich, so als wollte sie sich darüber beklagen, sich die Hände schmutzig zu machen, wenngleich sie es nie tat. Nicht dass sie sich jemals gesträubt hätte zu tun, was er von ihr verlangte, nur wirkte sie dabei einfach völlig fehl am Platz. Wegen ihres vornehmen Auftretens schien es einfach unter ihrer Würde, Zweige für einen Unterschlupf im Wald herbeizuschaffen. Nachdem sie einen ausreichend großen Vorrat an Zweigen für Richard herbeigeschleppt hatte, stand sie, die Arme zitternd um den Körper geschlungen, schweigend unter den tröpfelnden Bäumen, während er mit von der Kälte tauben Fingern rasch die restlichen Zweige einflocht. Beim Befestigen der Zweige sah er Cara gelegentlich ihre Hände unter die Achselhöhlen schieben. Nur Victor war äußerlich nicht anzumerken, ob er fror. Vermutlich, überlegte Richard, genügte ihm meist schon sein glutvoller Blick, um sich zu wärmen. »Warum legt ihr drei euch nicht ein wenig schlafen?«, schlug Victor vor, während Richard den letzten Zweig am Unterschlupf befestigte. »Wenn keiner was dagegen hat, übernehme ich erst einmal die Wache. Ich bin nicht sehr müde.«
Dem übellaunigen Unterton in seiner Stimme entnahm Richard, dass er vermutlich noch eine ganze Weile nicht müde werden würde. Er konnte Victors Verbitterung durchaus verstehen, bestimmt würde der arme Kerl seine ganze Wache damit verbringen, darüber nachzugrübeln, was er Ferrans Mutter und den Angehörigen der anderen Männer erzählen sollte.
Verständnisvoll legte ihm Richard eine Hand auf die Schulter. »Wir wissen nicht, womit wir es zu tun haben. Zögere also nicht, uns zu wecken, sobald du etwas auch nur im Entferntesten Ungewöhnliches hörst oder siehst. Und vergiss nicht, in den Unterschlupf zu kriechen und dir deinen Anteil an der Nachtruhe zu gönnen; der Reisetag morgen wird lang. Wir müssen alle bei Kräften sein.«