Ein Jubelsturm begeisterter Zustimmung brach los.
Richard sprang von der Kiste herab und reichte Nicci eine Hand, um ihr herunterzuhelfen. Richard wandte sich zu Cara. »Ich muss sofort aufbrechen, wir sind sehr in Eile. Schaut, Cara, Ihr sollt wissen, dass ich durchaus damit einverstanden wäre, wenn Ihr es vorziehen würdet, bei... der Armee zu bleiben.«
Eine dunkle Wolke zog über Caras Stirn herauf, und sie verschränkte trotzig die Arme. »Habt Ihr den Verstand verloren?« Sie blickte über ihre Schulter zu dem General. »Ich hab’s Euch ja gesagt, der Mann ist verrückt. Seht Ihr jetzt, was ich alles mitmachen muss?«
General Meiffert nickte mit ernster Miene. »Es ist mir wirklich schleierhaft, wie Ihr das alles schafft, Cara.«
»Übung«, vertraute sie ihm an, ehe sie ihm mit den Fingern über die Wange strich und ihn dabei auf eine Art anlächelte, wie Richard sie noch nie jemanden hatte anlächeln sehen. »Gebt auf Euch Acht, General.«
»Sehr wohl, Madam.« Er schenkte Nicci ein Lächeln, dann neigte er den Kopf. »Ganz, wie Ihr befehlt, Herrin Nicci.«
Richard war in Gedanken bereits woanders. »Nun macht endlich. Wir müssen los.«
66
Rikka hatte die Führung übernommen, und Cara und Nicci bildeten die Nachhut, als Richard entschlossenen Schritts den holzgetäfelten Flur entlangmarschierte, bis er schließlich die Einmündung erreichte und in einen gemauerten Seitenkorridor einbog, dessen luftige Gewölbedecke sich zu einer Höhe von nahezu zweihundert Fuß emporschwang. Gekehlte Säulen auf beiden Seiten säumten ihn in gleichmäßigen Abständen, und durch die großen, in die obere Mauerpartie eingelassenen Fenster waren die massiven äußeren Strebepfeiler zu erkennen, welche die stolzen Burgmauern stützten. Durch die ganz oben sowie unweit darunter eingelassenen Rundfenster fielen in schrägem Winkel Streifen trüben Lichts. Ihre Stiefelschritte hallten wie Hammerschläge durch die kalten Hallen.
Richards Umhang, der aussah, als wäre er aus gesponnenem Gold gewoben, blähte sich hinter ihm wie in den ersten Böen eines aufkommenden Sturms. Die güldenen Symbole auf dem Saum des schwarzen Capes schimmerten matt im gedämpften Licht, und wann immer er einen der einfallenden Lichtstreifen passierte, erzeugten die silbernen Embleme auf seinen Stiefeln, dem breiten, mehrschichtigen Ledergürtel und seinen ledergepolsterten Armreifen ein verwirrendes Spiel aus Schlaglichtern, das vom Eintreffen des Kriegszauberers kündete.
Normalerweise reichte das ungestüme Temperament einer Mord-Sith, um den meisten Menschen das Blut in den Adern stocken zu lassen, der kalte Zorn in Caras hübschem Gesicht dagegen schien sogar fähig, das bereits stockende Blut zu Eis gefrieren zu lassen. Einen nicht minder Furcht erregenden Anblick bot die einstige Herrin des Todes, die auf seiner anderen Seite ging. Vom Augenblick ihrer ersten Begegnung an hatte Richard die Luft rings um sie her, aufgeladen von ihrer ungeheuren Energie, beinahe knistern hören können, und so war es auch jetzt.
Richard lief vorüber an gepolsterten Sesseln und in Mauernischen stehenden Tischen. Winklig ausgelegte Teppiche ragten da und dort in den Flur hinein und luden Passanten ein, diese ruhigen, gemütlichen Winkel aufzusuchen. Richard mied sie, denn ihm gefiel der harte Klang seiner Stiefel auf dem polierten Granit. Da auch keine seiner Begleiterinnen auf die Teppiche trat, schaukelte sich das aus dem langen Flur zurückgeworfene Echo auf, bis man fast den Eindruck haben konnte, eine ganze Armee falle in die Burg der Zauberer ein. Ohne in ihrem Tempo nachzulassen, wandte sich Rikka zu ihm herum und wies nach rechts. »Sie sind dort drinnen, Lord Rahl.«
Richard bog, ohne sein Tempo zu drosseln, um die Ecke und marschierte genau durch die Mitte der beiden gewaltigen Türflügel, die, von einem Gitter schwerer Eichenstreben in je ein Dutzend Glasscheiben unterteilt, geöffnet in die noble Bibliothek hineinragten. Die dreißig Meter breite Rückwand der Bibliothek war bis unter die Decke mit Regalen voll gestellt, vor denen man auf Messingschienen gleitende Leitern sah, über die sie zu erreichen waren. Im Schein des durch die hohen Fenster einfallenden Lichts glänzten schwere Mahagonipfeiler, weiter unten jedoch war das Licht düsterer und musste von Lampen unterstützt werden, deren Strahl den Raum zu unterteilen schien. Unmittelbar gegenüber der Tür stand ein Mahagonitisch von gewaltigen Ausmaßen, dessen geschwungene Beine im Umfang mächtiger waren als Richard, rechts und links davon erhoben sich zwei das Deckengewölbe stützende Pfeiler. Die beiden Enden des Raumes ganz rechts sowie ganz links blieben in den Schatten. Ann machte ein überraschtes Gesicht. »Was hast du hier verloren, Richard? Du solltest draußen bei unseren Truppen sein.«
Ohne überhaupt auf sie einzugehen, griff Richard nach dem in rotem Leder gebundenen Buch, das unter seinem Arm klemmte, und fegte damit, es wie einen Besen benutzend, die über weite Teile der Tischplatte verstreuten Bücher vor ihnen beiseite, bis vor den drei mit der Gabe Gesegneten eine breite, leere Fläche blank polierten Holzes entstand.
Er warf das rote, ledergebundene Buch auf den Tisch; der dabei entstehende Knall hallte beinahe wie ein Donnerschlag. Die vergoldeten Buchstaben auf dem Rücken, Feuerkette, schimmerten im Dämmerlicht.
»Was ist denn das nun wieder?«, fragte Zedd mit einem Anflug von Verzweiflung. »Der Beweis«, erklärte Richard. »Oder zumindest ein Teil davon. Ich hatte doch versprochen, Beweise vorzulegen.«
»Dieses Buch ist sehr alt«, klärte Nicci sie auf, »und enthält eine Formel zur Erschaffung von etwas, das mit dem Begriff Feuerketten-Ereignis bezeichnet wird.«
Zedds haselnussbraune Augen blickten auf. »Und was, bitte schön, muss man sich darunter vorstellen?«
»Das Ende der Welt, wie wir sie kennen«, stellte Richard mit erbitterter Endgültigkeit fest. »Was diese Leute damals taten, beinhaltete, wie sich herausstellte, den unabsichtlichen Versuch, einen Widerspruch zu erzeugen, was gegen das neunte Gesetz der Magie verstieß. Zu guter Letzt gelangten sie jedoch zu der Erkenntnis, dass es katastrophale Folgen haben würde, sollte jemand es tatsächlich wagen, ein Feuerkettenereignis auszulösen.«
Die Stirn in tiefe Falten gelegt, sah Nathan zu Nicci, offenkundig in der Hoffnung, von der einstigen Schwester eine etwas kenntnisreichere und fundiertere Antwort zu erhalten. »Wovon redet der Junge überhaupt?«
»Die Zauberer aus alter Zeit hatten eine neue Methode entdeckt, wie sich mithilfe subtraktiver Magie das Gedächtnis beeinflussen ließe, wobei sich die daraus resultierenden entkoppelten Einzelereignisse in der Folge sämtlich spontan und voneinander unabhängig neu ordnen würden – und zwar zu einer Art falschem Gedächtnis, das die durch den Zerstörungsprozess entstandenen Lücken wieder auffüllen sollte. Sie untersuchten die Methode, wie man ein Individuum für alle anderen verschwinden lassen konnte, indem man die Menschen dazu brachte, die betreffende Person ganz einfach zu vergessen – selbst dann, wenn sie diese noch wenige Augenblicke zuvor gesehen hatten, ja sogar bereits während sie sie noch vor Augen hatten. Die Erinnerung der Menschen an die Zielperson wird dabei aufgelöst. Man fand jedoch heraus, dass mit dem Auslösen eines solchen Ereignisses eine ganze Flut von Geschehnissen in Gang gesetzt wird, die weder beeinflussbar noch vorhersehbar sind. Ganz ähnlich einem verheerenden, außer Kontrolle geratenen Flächenbrand frisst sie sich immer weiter durch Verbindungen zu anderen Personen, deren Gedächtnis noch nicht verändert wurde, bis dieser Prozess schließlich zur Auflösung der Welt des Lebens insgesamt führt.«
»Und was den Prophezeiungswurm anbelangt«, nahm Richard den Faden auf, »so mag er durchaus real sein, dennoch ist in diesem Fall besagte Feuerkette schuld am Verschwinden der Prophezeiungen. Teil dieses Prozesses ist es, dass die das Ereignis auslösende Person ebenfalls eine Leerstelle in den Prophezeiungen ausfüllt, eine Stelle, die von einem Propheten zwecks künftiger Bearbeitungen freigelassen wurde. Diese Lücke wird nun mit einer ergänzenden Prophezeiung gefüllt, in der die Feuerkettenformel bereits enthalten ist. Auf diese Weise infiziert und vernichtet ein Feuerkettenereignis sämtliche zugeordneten Prophezeiungen auf diesem Zweig, angefangen bei den – entweder über die Zielperson oder den zeitlichen Zusammenhang – verwandten Prophezeiungen, was in diesem Fall, der Person Kahlans, beides zutrifft. Dadurch wird sie – durch etwas, das man Feuerkettenkorollarium nennt – ebenfalls aus der Prophezeiung gelöscht.«