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Nathan ließ sich schwer auf seinen Stuhl sinken. »Bei den Gütigen Seelen.«

Ann schien weder zufrieden noch sonderlich beeindruckt. »Das ist ja alles gut und schön, und gewiss werden wir uns eingehend mit diesem Buch beschäftigen und herausfinden müssen, ob von deinen Ausführungen irgendetwas zumindest ansatzweise einen Sinn ergibt. Aber dieses Buch ist nicht das eigentliche Problem. Du hättest bei unseren Soldaten bleiben sollen, denn du musst unsere Truppe in der letzten entscheidenden Schlacht anführen. Du musst sofort dorthin zurück, in diesem Punkt sind die Prophezeiungen absolut eindeutig. Dort heißt es, solltest du dies unterlassen, wird die Welt unter einen Schatten fallen.«

Aber Richard achtete gar nicht auf Ann, sondern sah stattdessen seinem Großvater fest in die Augen. »Und jetzt rate mal, was das Gegenmittel zu einem solchen Feuerkettenereignis ist.«

Zedd, von Richards Art der Fragestellung verwirrt, zuckte mit den Achseln. »Woher soll ich das wissen?«

»Es gibt nur eines, und das wurde eigens zu diesem Zweck erschaffen.«

»Und das wäre?«

»Die Kästchen der Ordnung.«

Zedd klappte der Unterkiefer runter. »Richard, das ist einfach völlig ...«

Richard langte in seine Tasche, förderte sein Mitbringsel zutage und knallte es vor den Augen der drei auf den Tisch.

Zedds Augen weiteten sich. »Verdammt, Richard, das ist eine Schlingpflanze.«

»Du erinnerst dich vielleicht an eine Stelle aus dem Buch der Gezählten Schatten: Und wenn die drei Kästchen der Ordnung ins Spiel gebracht werden, werden die Schlingpflanzen zu wachsen beginnen.«

»Aber ... aber«, stammelte Zedd, »die Kästchen der Ordnung befinden sich doch im Garten des Lebens – unter strengster Bewachung.«

»Nicht nur das«, warf Nathan ein, »ich persönlich habe die Männer der Ersten Rotte mit Waffen ausgerüstet, die selbst gegen die mit der Gabe Gesegneten von tödlicher Wirkung sind. Kein Unbefugter könnte sich dort Zutritt verschaffen.«

»Da muss ich ihm Recht geben«, beharrte Zedd. »Es ist völlig unmöglich.«

Richard wandte sich herum und nahm den Gegenstand vorsichtig entgegen, den Cara mitgebracht hatte. Behutsam stellte er die Statuette mit dem Namen Seele so auf den Tisch, dass die Figur den dreien auf der anderen Seite des Tisches das Gesicht zuwandte – trotzig das Haupt erhoben, so als sei sie entschlossen, sich allen Bestrebungen zu widersetzen, von ihnen zu einem Hirngespinst abgestempelt zu werden. »Sie gehört Kahlan. Sie hat sie im Garten des Lebens zurückgelassen – anstelle der Kästchen und gewissermaßen als Beweis ihrer Existenz. Das Feuerkettenereignis hat sie aus dem Gedächtnis aller gelöscht, und wer sie sieht, hat sie bereits vergessen, ehe sein Verstand auch nur Gelegenheit hatte, sie zu registrieren.«

Mit einer abfällig wedelnden Handbewegung wies Ann auf Buch, Schlingpflanze und Statuette. »Aber das hier, das sind doch nach wie vor alles nur Vermutungen, Richard. Wer in aller Welt könnte sich denn ein solches Komplott ausgedacht haben?«

»Ausgebrütet hat den Plan Schwester Ulicia«, warf Nicci ein. »Und geholfen haben ihr dabei die Schwestern Cecilia, Arminia und Tovi.«

Ann runzelte die Stirn. »Woher wollt Ihr das wissen?«

»Tovi hat es mir gegenüber selbst zugegeben.«

»Sie hat es zugegeben ... Aber warum sollte sie so etwas tun? Wie habt Ihr sie überhaupt erreicht?«

»Sie war im Begriff, sich mit einem der Kästchen der Ordnung aus dem Staub zu machen«, sagte Richard. »Dabei wurde sie hinterrücks von dem Mann überfallen, dem ich das Schwert der Wahrheit überlassen habe. Er verletzte sie mit dem Schwert und brachte das Kästchen der Ordnung, das sie bei sich trug, in seinen Besitz.«

Unfähig, auch nur ein Wort hervorzubringen, schlug Zedd sich mit der Hand vor die Stirn und ließ sich schwer in seinen Sessel sacken.

»Des Weiteren verriet mir Tovi«, fuhr Nicci fort, »dass sie hier in Aydindril waren und im Grab der Mutter Konfessor eine Leiche verscharrt haben, um sicherzustellen, dass niemand Richard Glauben schenkt, falls er auf den Gedanken kommen sollte, sie zum Beweis, dass er die Wahrheit spricht, zu exhumieren. Das Kleid hatten sie aus dem Palast der Konfessoren. Sie wollten unter allen Umständen sichergehen, dass alle glauben, Richard bilde sich das alles nur ein. Ich denke, in diesem Zusammenhang solltet Ihr auch wissen, dass wir zu den Ruinen einer Stadt namens Caska, unten im Süden D’Haras, im ›Herzen der Leeres gereist sind, wo wir auf Kundschafter der Imperialen Ordnung stießen. An einem von ihnen habe ich ein Experiment durchgeführt. Ich benutzte ebenjenen subtraktiven Zauber, mit dessen Hilfe ich auf Euer aller Wunsch Richard von seinen angeblichen Wahnvorstellungen ›kurieren‹ sollte.«

Ann, inzwischen vorsichtig geworden, neigte den Kopf fragend zur Seite. »Und?«

»Er hat es nicht länger als ein paar Augenblicke überlebt.« Zedd, mittlerweile fast so weiß wie sein widerspenstiges Haar, vergrub das Gesicht in den Händen.

»Ich bin sicher, einiges davon wird sich als ganz ... nützlich erweisen«, meinte eine ziemlich verwirrt aussehende Ann, »und es ist gut, dass Ihr es herausgefunden habt. Aber wie ich bereits sagte, die Tatsache bleibt trotz allem bestehen, dass du unbedingt bei unseren Truppen sein musst, Richard, wie es in der alles entscheidenden Prophezeiung heißt, die wir dir enthüllt haben: ›Wenn der fuer grissa ost drauka in der entscheidenden Schlacht nicht die Führung übernimmt, wird die bereits jetzt am Rande der Finsternis stehende Welt unter einen fürchterlichen Schatten fallen.‹ All die anderen Dinge, die ihr hier zur Sprache bringt, mögen zweifellos ganz faszinierend sein, aber unsere allerwichtigste Mission ist und bleibt diese Prophezeiung. Wir können uns ein Scheitern ganz einfach nicht erlauben, da sich sonst besagter Schatten über die Welt legen wird.«

Daumen und Mittelfinger an die Schläfen gepresst, senkte Richard den Blick zum Boden, übte sich in Geduld und ermahnte sich, dass sie alle schließlich nur das Richtige zu tun versuchten. Schließlich sah er auf und blickte ihnen fest in die Augen. »Begreift ihr nicht?« Er wies auf die Schlingpflanze auf dem Tisch. »Das hier ist die letzte, entscheidende Schlacht. Die Schwestern der Finsternis haben die Kästchen der Ordnung ins Spiel gebracht, ihr Ziel ist es, den Hüter des Totenreichs in die Welt der Lebenden zu rufen, das Leben in die Obhut des Todes zu übergeben, mit dem Ziel, dadurch selbst Unsterblichkeit zu erlangen. Die Welt steht am Rande ewiger Finsternis. Begreift ihr nicht? Wäre es nach euch und eurer Entschlossenheit gegangen, den Prophezeiungen Geltung zu verschaffen, und hättet ihr euch nach einem Text gerichtet, der eurer Überzeugung nach vorherbestimmt war, dann hätte ich den Versuch, mich zu ›kurieren‹, nicht überlebt. Im Gegenteil, mit eurem Bestreben, die Prophezeiung zu erfüllen, hättet ihr den Erfolg der Schwestern der Finsternis und das Ende allen Lebens erst garantiert. Ihr wärt schuld daran gewesen, dass die Welt des Lebens geendet hätte. Nur der freie Wille – sowohl Niccis als auch meiner – hat verhindern können, was ihr mit eurem blinden Glauben an die Prophezeiungen über die Menschheit gebracht hättet.«

Ann, die als Letzte noch immer stand, ließ sich schwer in ihren Sessel fallen. »Bei den Gütigen Seelen, er hat Recht«, sagte Zedd leise bei sich. »Soeben hat der Sucher drei alte Narren vor sich selbst bewahrt.«